Rezension über:

Markus Schürer: Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; 23), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 365 S., ISBN 978-3-8258-8367-6, EUR 34,90
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Rezension von:
Sabine von Heusinger
Historisches Institut, Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Sabine von Heusinger: Rezension von: Markus Schürer: Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/10553.html


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Markus Schürer: Das Exemplum oder die erzählte Institution

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Der vorliegende Band entstand als Dissertation an der TU Dresden im Umfeld des SFB 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" und behandelt den Beispielgebrauch bei den Bettelorden. Seit einiger Zeit werden Exempla als interessante Literatur- und Quellengattung herangezogen; vor Kurzem erschien die Studie zu Exempla in neuzeitlichen Fürstenspiegeln von Barbara Maigler-Loeser sowie in diesem Jahr die Dissertation von Shao-Ji Yao zu Exempla in der mittelalterlichen Sangspruchdichtung. [1] Bisher stand aber eine eingehende Untersuchung dieser Gattung für die beiden "großen" Mendikantenorden aus; diese Lücke schließt die Studie von Markus Schürer. Ziel der Studie ist es, darüber hinaus Fragen "nach den Regeln der Kommunikation, der Wissensproduktion und Wissensvermittlung hinter Klostermauern sowie nach der Identität mendikantischer Gemeinschaften mit dem analytischen Instrumentarium der Theorie der Institution zu verbinden" (19).

Die Studie untersucht fünf Werke, die in Form von Drucken, Editionen oder zumindest Teiltranskriptionen vorliegen: 1. Das "Bonum universale de apibus" von Thomas von Cantimpré, benutzt in einem Druck aus dem Jahr 1627; 2. Die "Vitas fratrum" des Gerardus de Fracheto, ediert von B. M. Reichert; 3. Die Exempelsammlung MS. Royal 7 D I der British Library, in der Teiltranskription von S. L. Forte; 4. Der "Dyalogus sanctorum fratrum Minorum", ediert und übersetzt von V. Gamboso; 5. die Exempelsammlung B im Codex Ottobonianus lat. 522, die von L. Oliger teilweise transkribiert wurde. Punktuell wurden für die Teiltranskriptionen der Exempelsammlung MS. Royal 7 D I und der Exempelsammlung B ergänzend die Originale herangezogen.

Im Kapitel I geht Schürer auf die Frühgeschichte des Dominikaner- und Franziskanerordens ein und behandelt ausführlich verschiedene Ansätze zur Erforschung von Institutionen. Dieser theoretische Rahmen spielt im weiteren Verlauf der Untersuchung nur noch eine untergeordnete Rolle. In Kapitel II geht er detailliert auf die Begriffsgeschichte des Exemplums ein, ausgehend von Christoph Daxelmüllers Definition (51). Konsens besteht in der Forschung darüber, dass das Exemplum erstens keine literarische Gattung, sondern eine rhetorische Funktion ist; zweitens ist die Frage nach der Funktionalität des Exemplums im jeweiligen Kontext zentral, von nachgeordneter Bedeutung sind hingegen Inhalt oder Form (53).

Kapitel III untersucht Texte aus dem Dominikanerorden und konzentriert sich auf Entstehung, Inhalt und Gebrauch des "Bonum universale de apibus," der "Vitas fratrum," und der Exempelsammlung MS. Royal 7 D I. Schürer gelingt es, das "koordinierte Zusammenwirken des Generalkapitels [...], der Gesamtheit der Brüder und der jeweiligen Kompilatoren" (107) herauszuarbeiten. Die spezifischen Funktionen der Exempelsammlungen waren die "Sicherung der ordenseigenen Überlieferung und deren Transfer zwischen einander ablösenden Generationen [...] [und] die Gestaltung und ordensinterne Durchsetzung einer kohärenten, genuin dominikanischen Identität" (121).

Kapitel IV analysiert Texte aus dem Franziskanerorden, den anonymen "Dyalogus sanctorum fratrum Minorum" und die Exempelsammlung B im Codex Ottobonianus lat. 522. Im Gegensatz zu den zuvor untersuchten Schriften zeichnet sich der "Dyalogus" durch "Konturlosigkeit und Beliebigkeit einer höchst rudimentären hagiografischen Topik" aus, denen "jede eindeutige Stellungnahme zu bestimmten Fragen des Lebens und der kollektiven Befindlichkeit der eigenen Gemeinschaft [....] fehlt" (265). Schürer erklärt dies mit der franziskanischen Ordensgeschichte: "Armut, wie Franziskus von Assisi sie für seine Gemeinschaft festgeschrieben hatte, [stellte] offenbar keinen Sinnentwurf mit hohem Integrationspotenzial [dar]. Vielmehr war sie ein früh virulentes und späterhin kaum mehr kontrollierbares Problem, das den Orden letztlich in die Spaltung treiben sollte" (305); deshalb wird dieser Themenkreis im "Dyalogus" gemieden. Die Exempelsammlung B als kollektive Hagiografie des Ordens exemplifiziert in Ansätzen Handlungswissen, und sie nennt "Verhaltensmodelle, die besondere Relevanz für die franziskanische Variante religiösen Lebens haben" (306).

Die strikte Trennung der Analyse in die Teilbereiche "Dominikanerorden" (Kap. III) und "Franziskanerorden" (Kap. IV) zieht sich strikt durch die gesamte Untersuchung und kann auch in der Synthese (Kap. V) nicht mehr überwunden werden. So gelingt nur hin und wieder ein Vergleich der Texte über Ordensgrenzen hinweg und bis zum Schluss bleiben die beiden Teile unnötig getrennt nebeneinander stehen. Leider ist der Band zudem etwas ungleichgewichtig geraten: Der Text umfasst genau 300 Seiten (11-311), die Einleitung mit den Teilen "Prolegomena" und "Analytisches Vorfeld" (Kap. I und II) nimmt aber nahezu ein Drittel des Umfangs ein und ist damit deutlich zu lang geraten (11-99). Das ist schade, denn die Stärke von Schürers Werk liegt eindeutig in der analytischen Auswertung der untersuchten Texte, die man aber erst nach den beiden eher langatmigen Einleitungskapiteln erreicht. In Kapitel III und IV zeigt er ein umsichtiges Vorgehen, er stellt seine Argumentation klar dar und überzeugt durch differenzierte Urteile (z. B. 169-174, 225-234, 265 f., 308). Schürer gelingt durchgehend die Balance zwischen Nacherzählung der recht unterhaltsamen Exempla und ihrer wissenschaftlichen Einordnung sowie einer Rückbindung auf seine Fragestellung (z. B. 144-147). Zudem besticht das Werk durch ein hohes sprachliches Niveau, was die Lektüre insgesamt zum Vergnügen macht.

Bedauernswerterweise wurde der materialreiche Band nur durch ein Personenregister erschlossen. Dieses wurde nicht vom Autor erstellt und anscheinend auch nicht korrigiert, denn es ist völlig ungenügend. So fehlen beispielsweise von Seite 110 im Register die Hinweise auf Muño de Zamora und Heinrich VII. völlig; Nicolaus IV. wurde zwar auch unter seinem Geburtsnamen Hieronymus von Ascoli aufgenommen, es gibt aber bei beiden Einträgen keinen Querverweis, dass es sich um ein- und dieselbe Person handelt. Ein Sachregister fehlt völlig, was gerade in Bezug auf die Erzählelemente der Exempla zu bedauern ist, aber auch der wiederholt behandelte Armutsstreit (z. B. 262; 291-296), die interessanten Ausführungen zu "perseverantia" (258) oder "conversio" (259, 289), um nur einige Beispiele zu nennen, werden wohl den meisten "Quer"-Lesern verborgen bleiben.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Markus Schürer eine fundierte Studie zu Gebrauch, Funktion und Interpretation von Exempla in den frühen Schriften des Dominikaner- und Franziskanerordens gelungen ist. Damit wurde ein weiterer Baustein zum Verständnis der "vita religiosa" bereitgestellt.


Anmerkung:

[1] Barbara Maigler-Loeser: Historie und Exemplum im Fürstenspiegel: zur didaktischen Instrumentalisierung der Historie in ausgewählten deutschen Fürstenspiegeln der Frühmoderne, Neuried 2004; Shao-Ji Yao: Der Exempelgebrauch in der Sangspruchdichtung vom späten 12. Jahrhundert bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts. Würzburg 2006.

Sabine von Heusinger