Rezension über:

Christian Fuhrmeister / Stephan Klingen / Iris Lauterbach u.a. (Hgg.): "Führerauftrag Monumentalmalerei". Eine Fotokampagne 1943-1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, XIII + 285 S., ISBN 978-3-412-02406-2, EUR 24,90
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Rezension von:
Ruth Heftrig
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Ruth Heftrig: Rezension von: Christian Fuhrmeister / Stephan Klingen / Iris Lauterbach u.a. (Hgg.): "Führerauftrag Monumentalmalerei". Eine Fotokampagne 1943-1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/12136.html


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Christian Fuhrmeister / Stephan Klingen / Iris Lauterbach u.a. (Hgg.): "Führerauftrag Monumentalmalerei". Eine Fotokampagne 1943-1945

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Das Buch "Führerauftrag Monumentalmalerei" stellt der Öffentlichkeit erstmals eine Sammlung von Farbdiapositiven vor, die lange nur im Kreis von Denkmalpflegern bekannt war. Sie geht zurück auf eine Fotokampagne, die vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) im Auftrag Hitlers zwischen 1943 und 1945 durchgeführt wurde. Auf Veranlassung des RMVP beauftragten die zuständigen Denkmalämter Fotografinnen und Fotografen mit der Dokumentation historisch und kunsthistorisch bedeutsamer Wand- und Deckenmalereien des "Großdeutschen Reiches". Auch die Auswahl der Objekte - Malereien vom 9. bis zum 20. Jahrhundert - und die Durchführung vor Ort fand unter Mitarbeit der Denkmalämter statt, die letztlich neben dem Ministerium selbst als Empfänger der Diapositive vorgesehen waren.

Der Sammelband, der auf einer Tagung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München vom Oktober 2005 basiert [1], nähert sich der umfangreichen Kampagne aus verschiedenen Perspektiven. So finden sich Beiträge aus den Bereichen Kunstgeschichte, Denkmalpflege, Fotogeschichte, Bild- und Medientechnologie sowie Fotogrammmetrie - dankenswerterweise im Anhang ergänzt um zentrale Dokumente sowie Listen der Fotografen, Orte, Bauwerke und Presseartikel. Anlass der Publikation war die Digitalisierung eines Großteils der originalen Diapositive, die das ZI und das Bildarchiv Foto Marburg gemeinsam durchführten. Das Ergebnis steht seit November 2005 in Form von 39.000 farbigen Bilddateien online zur Verfügung. [2]

Der Wert der erfolgten Digitalisierung liegt vor allem in der langfristigen Konservierung der vom physikalisch-chemischen Verfall bedrohten Diapositive. Zielgruppen der online-Datenbank sind, wie Ralf Peters unverblümt referiert, vor allem die Medien- und Tourismusbranche (102). Ob die Digitalisate einen Gewinn für die kunsthistorische Forschung darstellen, der über farbige Illustrationen hinaus auch einen Erkenntniszuwachs verspricht, ist fraglich. Denn längst waren die Bestände zumindest in Denkmalämtern bekannt und wurden auf unterschiedliche Weise für Restaurierungen und Rekonstruktionen genutzt (oder auch nicht genutzt), wie exemplarisch gezeigt wird.

So stellen Georg Peter Kern und Matthias Staschull mit St. Peter in Mainz und der Würzburger Residenz zwei Maßnahmen vor, die weitgehend auf Material des "Farbdiaarchivs zur Wand- und Deckenmalerei" (so der Name des digitalen Archivs heute) verzichteten: Der von Paul Wolff 1943 dokumentierte Zustand in St. Peter stellte nicht den gewünschten restauratorischen Bezugspunkt dar. In Würzburg verglich man für die Restaurierung der Tiepolofresken verschiedene Aufnahmephasen von 1942 bis 1995; Carl Lambs Fotografien von 1944/45 waren dabei nur ein Bestandteil. Bei der Rekonstruktion der Dresdner Frauenkirche hat man die fotografischen Vorlagen komplett verworfen, obwohl sie den Zustand nach der letzten Restaurierung 1940-43 (und zum Teil auch noch ältere Schichten) recht umfassend dokumentieren. Stattdessen entschied man sich für eine Nachempfindung, die Jürgen Tietz eine "erfundene Geschichtlichkeit, ein Stimmungsbild im wahrsten Sinne des Wortes" nennt (229). Rolf Sachsse sieht in diesem Zusammenhang die Denkmalpflege in Deutschland "in die Sümpfe simulatorischer Rekonstruktionen" versinken (15).

Positiv ist zu vermerken, dass sich die Autoren der mangelhaften Aussagekraft hinsichtlich der Farbigkeit durchweg bewusst sind und die Kategorie des "Originals" kritisch hinterfragen. Das Problem mit der Farbe wird u.a. von Experten der Fototechnik und -geschichte thematisiert. Rudolf Gschwind stellt eine Methode vor, die theoretisch zur Rekonstruktion der ursprünglich enthaltenen Farbinformationen führen kann, in diesem Fall aber zum Scheitern verurteilt ist: Erstens, weil die Filmlieferungen der Firma Agfa sehr unterschiedlich ausfielen, und zweitens, weil die erforderlichen Informationen über die im Film verwendeten Farbstoffe heute nicht mehr recherchierbar sind. Manfred Gill und Eberhard Finger schildern sehr eindrücklich die Ursachen für die qualitativen Schwankungen in der Farbfilmproduktion: Die Belieferung der Filmindustrie mit Negativfilm stand im Vordergrund, weshalb die Forschungen zur serienmäßigen Produktion von Positivfilm, die noch am Anfang standen und zudem durch die Konkurrenz mit der amerikanischen Kodak beeinträchtigt wurden, zunächst vernachlässigt worden waren. Immerhin lassen sich zumindest Bildprogramm und Komposition auch ohne verbindliche Farbinformationen rekonstruieren. Der Beitrag von Gunnar Siedler und Gisbert Sacher zeigt sehr anschaulich, wie auch in starker Schrägsicht abgelichtete Objekte mit Hilfe der computergestützten Fotogrammmetrie in eine unverzerrte Ansicht zurückgerechnet werden können.

Ein großes Verdienst des Buches liegt in den Forschungen zur Überlieferung der Sammlung. Stephan Klingen erzählt in spannender Krimimanier die Provenienzgeschichte der Originaldias nach. Auf Umwegen konnte ein Großteil des Materials, das sich nach Kriegsende auf die Orte Tübingen, Freiburg, Mainz, Washington D.C. und Berlin verteilt hatte, nach Jahrzehnten schließlich wieder vereint werden. Tessa F. Rosebrock würdigt in ihrem Beitrag noch einmal gesondert die Aktivitäten der für die Zusammenführung maßgeblichen Person Kurt Martin.

Die größte Lücke klafft im Bereich der Hintergründe des "Führerauftrags". Die eigentlichen Motive des Ministeriums oder Hitlers selbst bleiben weitestgehend im Dunkeln. Der Blick auf andere Fotokampagnen der Zeit hätte hier weiterführen können. Zwar wurden zwei Beiträge über vergleichbare Dokumentationen in den Band aufgenommen, doch stellt weder Christian Brachts Aufsatz über das Marburger Luftbildarchiv deutscher Innenstädte (ebenfalls in Farbe) noch Jan Przypkowskis Bericht über den Bildbestand des Provinzialkonservators in Königsberg die Frage nach den kulturpolitischen Dimensionen dieser Aktionen. Diverse Fotodokumentationen im Auftrag von Städten oder NSDAP-Gauen, z.B. Köln (13), München (14), Propagandaamt Köln-Aachen (88) sowie Fotokampagnen des Kunstschutzes in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten hätten ebenfalls in übergreifende Fragestellungen einbezogen werden können.

Insgesamt aber handelt es sich um eine Publikation, die in vielen Regalen stehen sollte. Für relativ wenig Geld erhält man ein ansprechend gestaltetes Buch, das ein spannendes Thema aus vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Dabei wird kursorisch das propagandistische Potenzial des "Führerauftrags" angesprochen, z.B. von Ralf Peters (85, 99), Frank Pütz (21) oder den Herausgebern (IV). Man muss allerdings Christian Fuhrmeister, der in einem intensiv recherchierten Beitrag mit Rolf Hetsch zumindest einen für die Aktion maßgeblichen Ministeriumsmitarbeiter charakterisiert, leider zustimmen, wenn er sagt: "Die Analyse der kulturpolitischen Dimension kunsthistorischer Arbeit im RMVP bleibt weiterhin ein Desiderat." (107)


Anmerkungen:

[1] Tagung "Dokumentation, Digitalisierung, Kunstgeschichte. Das 'Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei 1943-1945'", 21./22. Oktober 2005, Tagungsort: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Tagungsprogramm: http://www.zikg.lrz-muenchen.de/main/2005/farbdia-archiv-tagung/grogramm.htm

[2] Siehe http://www.zi.fotothek.org/ und integriert in den Bildindex der Kunst und Architektur des Bildarchivs Foto Marburg:

Ruth Heftrig