Rezension über:

Sabine Holtz / Gerhard Betsch / Eberhard Zwink (Hgg.): Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702 - 1782) (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 63), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, VIII + 311 S., 40 Abb., ISBN 978-3-515-08439-0, 54,00
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Rezension von:
Thomas Ahnert
School of History & Classics, The University of Edinburgh
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Ahnert: Rezension von: Sabine Holtz / Gerhard Betsch / Eberhard Zwink (Hgg.): Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702 - 1782), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/9659.html


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Sabine Holtz / Gerhard Betsch / Eberhard Zwink (Hgg.): Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702 - 1782)

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Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, die anlässlich des 300. Geburtstages des Theologen und Gelehrten Friedrich Christoph Oetinger 2002 an der Universität Tübingen stattfand. Grundsätzlich ist ein Band über Oetinger, der eine sehr interessante, aber allgemein wenig beachtete Figur der Aufklärungszeit ist, sehr willkommen. Der Titel des Bandes deutet jedoch darauf hin, dass nicht Oetinger allein, sondern vor allem sein "Umkreis" das eigentliche Thema des Bandes ist. Dieser "Umkreis" ist aber scheinbar nicht sehr genau definiert, und es wird leider nie recht erklärt, was damit gemeint ist. Viele der Kapitel behandeln zwar Zeitgenossen Oetingers, aber in einigen Fällen haben diese nur sehr entfernt, wenn überhaupt, etwas mit ihm zu tun.

Ein Beispiel ist der informative Beitrag von Karin Reich über die "Mathematik der Aufklärung am Beispiel der Lehrbücher von Christian Wolff und Abraham Gotthelf Kästner". Reich bespricht verschiedene Aspekte zunächst der Lehrbücher Wolffs, dann der Kästners und schließlich die Bedeutung dieser Lehrbücher für den Mathematiker Gauß. Warum sie allerdings gerade diese Personen gewählt hat und was ihre besondere Bedeutung für Oetinger ist, ist nicht ganz ersichtlich. Natürlich waren Wolff und Kästner Zeitgenossen Oetingers, die sich wie er mit Mathematik beschäftigten, aber ein deutlicherer Bezug zu Oetinger wäre vielleicht wünschenswert gewesen.

Ähnliche Fragen stellen sich bei dem lehrreichen Kapitel Gerhard Betschs über "Johann Conrad Creiling (1673-1752) und seine Schule", dessen Kernstück eine detaillierte Untersuchung von Creilings Dissertation "Methodus de Maximis et Minimis" von 1701 bildet. Laut Betsch muss Oetinger "Creiling gehört haben und ihm persönlich begegnet sein", obwohl, wie Betsch hinzufügt, "er [Oetinger] diesen [Creiling] in seiner Autobiographie mit keinem Wort erwähnt" (43). Die Verbindung zu Oetinger wirkt auch hier sehr unbestimmt. Wenn Oetinger tatsächlich Creiling gehört haben muss, dann wäre es schön gewesen, zu erfahren, inwieweit Oetingers Werke Creilings Methoden aufgreifen, ablehnen oder in irgendeiner anderen Weise kommentieren. Ebenso vermisst man in Rüdiger Thieles elegantem, mathematikhistorischem Aufsatz über finale und kausale Naturbeschreibung im achtzehnten Jahrhundert Hinweise auf Oetinger. Dafür zitiert er verschiedene Mathematiker und Philosophen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts - sowie die Politologin Gesine Schwan.

Viele der Beiträge in diesem Band untersuchen die Werke Oetingers und seiner Zeitgenossen aus der Perspektive bestimmter Disziplinen, wie der Mathematik oder der Musik. Allerdings geben sich die Verfasser oft wenig Mühe, die untersuchten Texte in einen allgemeinen historischen Kontext einzuordnen. Oft wüsste man gerne, was eine Person dazu veranlasst hat, ein Werk zu verfassen, wie typisch oder ungewöhnlich es war und welche Kontroversen dieses Werk vielleicht auslöste. Von alldem erfährt man in vielen Fällen leider nur wenig.

Eine Ausnahme ist das sehr gute Kapitel Daniel Hohraths über Johann Georg Bilfinger und den Nutzen der Mathematik für die Fortifikationskunst. Hohrath nimmt ebenfalls nur kurz Bezug auf Oetinger, aber er geht ausführlicher als die meisten anderen Autoren in diesem Band auf den historischen Hintergrund ein und zieht dazu unter anderem die Arbeiten von Gabriele Haug-Moritz und Peter Wilson heran, um den politischen und militärischen Kontext für Bilfingers Arbeit zu beleuchten. Ein weiterer Beitrag, der sich mehr als die meisten anderen mit dem historischen Hintergrund beschäftigt, ist Sonja-Maria Bauers klares und hilfreiches Kapitel über "Das Studium an der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen zur Zeit von Friedrich Christoph Oetinger", in dem sie den Aufbau und die Inhalte des Studiums an der philosophischen Fakultät schildert. Die Ausführungen von Martin Weyer-Menkhoff am Anfang des Buches bieten einen nützlichen, wenn auch knappen Überblick über Oetingers Leben. Warum gerade Oetingers Zeit in Herrenberg ein eigenes Kapitel ganz am Ende des Bandes verdient, ist nicht ganz klar.

Insgesamt wirkt die Zusammenstellung der Beiträge dieses Buches ein wenig willkürlich. Die Verfasser scheinen in den meisten Fällen aus der Perspektive ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin oder Subdisziplin geschrieben zu haben, oft, wie es scheint, ohne sich viel Gedanken über Zusammenhänge mit den anderen Kapiteln zu machen. Das Buch wäre sehr viel wirksamer geworden, wenn die Herausgeber übergreifende Fragen formuliert hätten, zu denen die einzelnen Kapitel einen Beitrag leisteten. Zumindest hätten die Herausgeber die Einleitung stärker nutzen können, um Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aufsätzen herzustellen. Stattdessen beschränken sie sich auf eine knappe Inhaltsangabe. Diese ist zwar sehr nützlich, aber es bleibt der Eindruck, dass die einzelnen Artikel, so interessant sie für sich genommen oft sind, kein sehr kohärentes Ganzes ergeben. Einige kleinere Mängel kommen hinzu. Zum Beispiel finden sich in unterschiedlichen Beiträgen verschiedene Schreibweisen für den Namen ein und derselben Person, Procopius Diwisch, und leider fehlt, wie in vielen anderen deutschsprachigen Publikationen auch, ein Index.

Thomas Ahnert