Rezension über:

Marie Luisa Allemeyer: Fewersnoth und Flammenschwert. Stadtbrände in der Frühen Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 166 S., 8 Abb., ISBN 978-3-525-36037-8, EUR 19,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christian Rohr
Fachbereich für Geschichte, Universität Salzburg
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Christian Rohr: Rezension von: Marie Luisa Allemeyer: Fewersnoth und Flammenschwert. Stadtbrände in der Frühen Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/10/14370.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Marie Luisa Allemeyer: Fewersnoth und Flammenschwert

Textgröße: A A A

Historische Katastrophen, gleichgültig, ob rein natürlich oder vom Menschen (mit) verursacht, haben in den letzten Jahren außerordentliches Interesse in einer kultur- und mentalitätsgeschichtlich ausgerichteten Geschichtsforschung gefunden. [1] Auch der Bezug zum Lebensraum Stadt wurde dabei immer wieder explizit hergestellt. [2] Marie Luisa Allemeyer greift aus diesem Themenspektrum in ihrer ursprünglich als Diplomarbeit an der Universität Göttingen eingereichten Studie den Aspekt der Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung von Stadtbränden im 16. bis 18. Jahrhundert heraus. Sie konzentriert sich dabei vornehmlich auf Archivmaterial aus Clausthal, Goslar, Passau, Regensburg und Rostock, eine nur auf den ersten Blick willkürliche Auswahl, denn sie kann dadurch zielführend nord- und süddeutsche Stadt, Groß- und Kleinstadt, protestantische und katholische Lebenswelten miteinander vergleichen. Allemeyer geht davon aus, dass Stadtbrände einen "normalen Ausnahmefall" (9) im Leben der Menschen darstellten. Zudem waren "aufgrund der einschneidenden Wirkung, die [diese] auf die betroffenen und bedrohten Menschen hatte[n], ein Ereignis [...], an dessen Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung frühneuzeitliche Denk- und Handlungsmuster deutlich werden" (137), ein Aspekt, der auch bei der Erforschung von Naturkatastrophen als wichtiger Ansatzpunkt dient.

Das erste Hauptkapitel ist dem Spektrum der Umgangsweisen mit dem Stadtbrand gewidmet, wobei sich zwei Grundtypen der Deutung erkennen lassen, die durchaus auch parallel angewandt wurden: Auf der einen Seite wurden Stadtbrände als "Feuer des Herrn", als Gottesstrafe gesehen, auf der anderen Seite aber als zufälliges, weltliches Unglück, auf das man mit einer Palette von Maßnahmen reagieren konnte: Die Obrigkeit erließ Feuerordnungen, die zunächst im 16. Jahrhundert in der Regel in allgemeine Stadtordnungen integriert waren, im 17. Jahrhundert aber "eine geradezu explosionsartige Verbreitung erfuhren" (37). Dabei ist zu bemerken, dass diese zum Teil schon lange vor dem Dreißigjährigen Krieg Bezüge auf ein göttliches Einwirken aussparten, umgekehrt diese in einigen Verordnungen bis spät ins 17. Jahrhundert einen festen Bestandteil bildeten.

Die Anfänge von Feuerversicherungen als genossenschaftliche Maßnahme gegen die Brandgefahr finden sich schon in Statuten von Gilden aus dem 15. Jahrhundert, etwa in denen der Polycarpus-Gilde in Delmenhorst. Der Bezug zu einem gottgefälligen Leben als wichtige Maßnahme zur Brandabwehr ist in solchen Statuten fast durchwegs enthalten. So bildete es eher die Ausnahme, dass etwa der Hamburger Wilhelm Stiell 1609 dem Oldenburger Grafen Anton Günther den Vorschlag machte, eine Landesbrandkasse zu gründen und dafür alle Häuser der Oldenburger Untertanen taxieren zu lassen. Der Graf lehnte das Modell hingegen ab, da er fürchtete, "mit der Einrichtung einer derartigen Institution seinem Namen zu schaden oder sich womöglich sogar gegen Gott zu versündigen" (47). Erst zum Ende des 17. Jahrhundert erhielten die Befürworter von Feuerversicherungen verstärkten Zulauf unter Gelehrten wie Daniel Defoe oder Gottfried Wilhelm Leibniz. Zugleich wurden technische Maßnahmen zur Abwehr des Feuers wie Feuerspritzen und Wasserdepots weiterentwickelt. Unter den "menschlich gebrauchten Huelff-Mitteln" (56-59), die der Ökonom und "Polyhistor" Paul Jacob Marperger um 1700 anführte, standen Beten, Vorsorgen, Bauen und Versichern gleichrangig nebeneinander; insofern verband Marperger "den metaphysischen und den weltlichen Umgang mit dem Feuer auf der Ebene der konkreten Handlungsweisen" (58).

Im zweiten Hauptkapitel (61-135) geht Allemeyer einen Schritt weiter und analysiert die Konfrontationen, Kollisionen und Konflikte zwischen unterschiedlichen Umgangsweisen mit dem Stadtbrand. Dabei erstrecken sich diese Konflikte auf drei Hauptfragen: nach dem Wesen des Stadtbrandes, nach seiner Verursachung und nach seiner Bekämpfung. Im Diskurs um das Wesen des Stadtbrandes wurde die Frage aufgeworfen, welche Macht - der strafende Gott oder der Teufel - die Herrschaft über das Feuer besäße, wobei sich die Deutung als Gottesstrafe schließlich durchsetzte.

Bei der Bekämpfung des Feuers nahm im katholischen Bereich die Suche nach den "rechten Nothelfern" eine wichtige Rolle ein; so stand es für den Passauer Ratsbürger Wilhelm Schmid außer Zweifel, dass beim schweren Stadtbrand von 1662 Segnung und Prozession das Feuer gelöscht hätten. Doch auch im protestantischen Norden wurde bisweilen die wundersame Errettung vor dem Feuer durch Fürsprecher betont, etwa als bei einem Stadtbrand in Eisleben 1601 ausgerechnet das Lutherhaus unbeschadet erhalten blieb. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch "Grenzüberschreitungen" über konfessionelle Grenzen hinweg (78 f.). So wurde etwa im protestantischen Osnabrück ein katholischer Priester für eine Sakramentsprozession gegen das Feuer geholt. Auch in den protestantischen Gebieten Franken und Sachsen blieb lange Zeit gesegnetes Brot als Schutz gegen das Feuer in Gebrauch, wie dies sonst in Form des "Agatha-Brotes" oder der Hostie in katholischen Territorien zu finden war.

Fast durchgehend wurden rein außerreligiöse Deutungen über die Ursachen des Feuers abgelehnt. Selbst wenn offensichtlich die Unachtsamkeit eines Bürgers zum Ausbruch eines Brandes führte, sah man darin, wie der Magdeburger Pastor Reinhard Bake anlässlich des Feuers von 1613, einen Ausdruck göttlichen Willens und Zorns. Geradezu ein "Denkmodell der Gewaltenteilung zwischen Gott, dem Feuer und dem Menschen" (95) entwickelte der Rostocker Student Christoph Friederich Kiene in einer rund 50 Seiten umfassenden Schrift, die anlässlich des Rostocker Stadtbrandes von 1677 erschien.

Die Rolle des Menschen beim Ausbruch von Stadtbränden lag zwischen Ohnmacht und Mitschuld: Zum einen wurde er vornehmlich als Objekt einer göttlichen Strafmaßnahme angesehen. Zum anderen galt er als Verantwortlicher, sei es durch "schlechte policey", wie dies Andreas Gryphius anlässlich eines Stadtbrandes in Freystadt (Schlesien) 1637 kritisierte, sei es durch Brandstiftung, einem oft verwendeten Anlass für Anklagen gegen bestimmte Personen oder Gruppierungen, oder sei es, weil "liderliches volck" durch sein Verhalten den Brandfortgang gefördert oder sich ihm zumindest nicht entgegengestellt hatte. Es ist bezeichnend, wie oft der Aspekt der mangelnden Beteiligung an den Löscharbeiten in Brandberichten, Predigten sowie in den Geboten und Verboten der Brandordnungen zur Sprache kommt. Ob darin eher ein fatalistisches Verhalten gegenüber einem göttlich verordneten Straffeuer oder gar die Absicht zu sehen ist, durch Passivität missliebigen Bürgern oder der Obrigkeit Schaden zuzufügen (125), lässt sich aus heutiger Sicht wohl nur noch schwer beurteilen.

Schließlich stellten die zwei Grundmuster zur Bekämpfung des Feuers, Beten bzw. Löschen, in vielen Fällen keinen Widerspruch dar, sondern ergänzten sich vielmehr. So sah die Nordhäuser Feuerordnung von 1668 vor, dass die zum Löschen untauglichen Personen sich dem Gebet widmen sollten, um den zornigen Gott zur Gnade zu bewegen (132). Somit lasse sich, so Allemeyers Resümee, inhaltlich "eine weitgehend klare Unterscheidung zwischen den Positionen 'Beten statt Löschen', 'Löschen statt Beten' und 'Beten und Löschen' vornehmen" (Hervorhebung im zitierten Text, 134).

Die Kritik an dieser konzisen und gut lesbaren Darstellung zur Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung von Stadtbränden im deutschsprachigen Raum kann sich auf wenige Details beschränken. So ist etwa in der Legende zu Abb. 5 und 6 fälschlich 1622 (statt 1662) als Datum des großen Stadtbrandes von Passau angegeben, ebenso im Bildnachweis (141). Interessant wäre zudem gewesen, welche Rolle der Wind bei der Verbreitung des Feuers spielte und wie die Menschen diesen in ihre Deutungen einbezogen. Dem hohen Wert der Studie tut dies aber keinen Abbruch. Vielmehr ist Allemeyers Buch als Anknüpfungspunkt für weitere Detailstudien und Vergleiche bestens geeignet, etwa zur Religiosität angesichts von Katastrophen oder zur Entwicklung des Versicherungswesens.


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu zusammenfassend den allgemeinen Literaturüberblick bei Christian Rohr: Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit (Umwelthistorische Forschungen; 4), Köln/Weimar/Wien 2007, 19-49.

[2] Vgl. etwa Martin Körner (Hg.): Stadtzerstörung und Wiederaufbau / Destruction and Reconstruction of Towns / Destruction et reconstruction des villes, Bd. 1: Zerstörungen durch Erdbeben, Feuer und Wasser / Destruction by Earthquakes, Fire and Water / Destructions par des tremblements de terre, le feu et l'eau, Bern/Stuttgart/Wien 1999.

Christian Rohr