Rezension über:

Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts (= Bd. 12), Berlin: de Gruyter 2008, XV + 681 S., ISBN 978-3-11-018985-8, EUR 98,00
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Rezension von:
Hans-Ulrich Wiemer
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Ulrich Wiemer: Rezension von: Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/11799.html


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Andreas Goltz: Barbar - König - Tyrann

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Für die Herrschaft Theoderichs des Großen steht uns eine so reichhaltige Überlieferung urkundlicher Art - in erster Linie natürlich Cassiodors "Variae" - zur Verfügung, dass die erzählenden Quellen oft weniger Beachtung finden. Das vorliegende Buch macht sie erstmals zum Gegenstand einer systematischen Untersuchung. Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um eine methodisch vorbildliche Studie, die eine empfindliche Forschungslücke schließt und im Wortsinne grundlegende Bedeutung besitzt. Es gibt ein paar Lücken in der Bibliografie - z.B. fehlen alle Arbeiten, die Massimiliano Vitiello Theoderich seit 2005 gewidmet hat -, und man hätte sich gewünscht, dass das Manuskript sorgfältiger Korrektur gelesen worden wäre, aber das stört den ausgezeichneten Gesamteindruck kaum.

Die Konzeption der Untersuchung wird in der Einleitung erläutert: Es geht darum, die Vielfalt überlieferter Aussagen über Theoderich als Ausdruck sowohl unterschiedlicher regionaler und sozialer Milieus als auch sich wandelnder historischer Konstellationen verständlich zu machen. Da die Texte häufig weder genau datiert noch eindeutig mit einem bestimmten Adressatenkreis verbunden und obendrein auch noch teilweise fragmentarisch überliefert sind, setzt die Kontextualisierung der Quellen voraus, dass die Interpretation der Texte mit der historischen Rekonstruktion Hand in Hand geht. Dieses Vorgehen ist mühsam, aber lohnend, denn aus der Analyse des Kontextes, in welchem die in den Quellen greifbaren Aussagen über Theoderich entstanden sind, ergeben sich einerseits Kriterien für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einzelner Nachrichten und andererseits Rückschlüsse auf die regionale und soziale Verbreitung, die bestimmte Vorstellungen zu einer bestimmten Zeit hatten: Das Theoderich-Bild erweist sich selbst als ein zeitweise sehr wirkmächtiger Faktor des historischen Prozesses.

Im 2. Kapitel (27-85) analysiert Goltz die frühen byzantinischen Autoren, deren Werke vor dem Tod des Anastasios erschienen: Malchos, Eustathios, Theodoros Anagnostes und Damaskios. Als gemeinsames Merkmal aller vier (mit Abstrichen bei Malchos) stellt Goltz eine "tendenziell positive Bewertung von Theoderichs Balkanzeit" (71) heraus und erklärt diese mit den guten Beziehungen, die zur Abfassungszeit zwischen Byzanz und Rom geherrscht hätten: In dieser Situation habe man Theoderich im Osten als einen zur Integration fähigen und bereiten Herrscher geschätzt. Im 3. Kapitel (86-306) versucht Goltz zunächst zu zeigen, dass diese Einstellung bald nach dem Regierungsantritt Justins I. in ihr Gegenteil umgeschlagen sei. Belege für diese Einschätzung findet er in der "Chronik" des Marcellinus Comes, die er auf 523 datieren möchte, und im Geschichtswerk des Johannes von Antiocheia, das seiner Auffassung zufolge zur selben Zeit entstand. Daraus wiederum folgt, dass man im Umkreis Justinians schon in den letzten Jahren Theoderichs darüber nachdachte, wie man der Amalerherrschaft in Italien ein Ende machen könne. Einen erneuten Meinungsumschwung konstatiert Goltz für die Zeit des Gotenkrieges: Dass Prokop Theoderich geradezu als Idealherrscher darstellt, obwohl er ihn als Tyrannen bezeichnet, hat man oft festgestellt; weniger bekannt ist dagegen, dass auch Malalas, der seine "Weltchronik" nach Goltz in den 530er-Jahren erstmals veröffentlichte, Theoderich sehr positiv beurteilt, indem er seine Bildung, Legitimität und Gerechtigkeit betont. In diese Reihe stellt Goltz auch Jordanes, auch wenn dieser weite Passagen seiner "Gotengeschichte" Cassiodor entnommen habe. Für Goltz spiegelt sich in diesen Berichten die Selbstrechtfertigung der italischen Eliten, die von Justinian aufgegriffen wurde, um Akzeptanz zu gewinnen: Aus diesem Grund wurde der Krieg mit der Erklärung begründet, man wolle Rache für den Mord an Theoderichs Tochter Amalaswintha üben.

Im 4. Kapitel (307-432) wendet Goltz sich den Zeugnissen aus dem Ostgotenreich selbst zu. Aus der Zeit vor dem Boethius-Prozess sind ausschließlich positive Aussagen überliefert. Gelasius I. redete Theoderich stets mit höchster Ehrerbietung an, woraus Goltz schließen möchte, dass der Papst dem König "mit Zustimmung und Wohlwollen" (310) gegenübergestanden habe. Dass Ennodius von Pavia Theoderich als idealen Herrscher preist, ist sicher richtig, aber schwerlich die ganze Wahrheit; hier hätte man sich mehr Sensibilität für den Panegyricus als Form der Kommunikation zwischen Angehörigen der Eliten und dem Herrscher gewünscht. Für die 1. Redaktion des "Liber Pontificalis" (in den Viten des Gelasius, Symmachus und Hormisdas) ebenso wie für das "Fragmentum Laurentianum" zeigt Goltz, wie sich grundsätzliche Anerkennung Theoderichs als legitimer Herrscher mit Kritik an konkreten Entscheidungen paart. Die negativen Aussagen stammen aus der Zeit nach 525. Goltz deutet die "Consolatio" als Selbstrechtfertigung eines verbitterten "Einzeltäters" und argumentiert, dass die Hinrichtung des Boethius das Verhältnis der Senatoren zu Theoderich nicht nachhaltig getrübt habe; das pro-byzantinische Verhalten der Senatorenschaft im Gotenkrieg sei folglich nicht auf ein seit langem zerrüttetes Vertrauensverhältnis zurückzuführen. In der Vita Johannes' I. dagegen wird Theoderich als Verfolger und Papstmörder verunglimpft, um die Tatsache zu beschönigen, dass dieser Papst sich im Auftrage des Königs für die arianischen Ketzer eingesetzt hatte.

Die wenigen westlichen Zeugnisse, die in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts außerhalb Italiens entstanden sind - einige Briefe des Avitus von Vienne, die Vita des Fulgentius und die des Caesarius von Arles -, bilden den Gegenstand des kurzen 5. Kapitels (433-446): Während Avitus Vorbehalte gegenüber Theoderich erkennen lässt, schildert die afrikanische Vita den Rombesuch des Königs als Gipfel irdischen Glanzes; die gallische schreibt ihm sogar Frömmigkeit und Weisheit zu. Dagegen weisen die im 6. Kapitel (447-551) behandelten italischen Zeugnisse aus der Zeit des Gotenkrieges eine dualistische Struktur auf, insofern eine im Grundtenor positive Darstellung am Ende jäh in ein Verdammungsurteil umschlägt: Dieses merkwürdige Phänomen ist an dem um 550 in Oberitalien schreibenden "Anonymus Valesianus" immer schon aufgefallen. Goltz weist es nun auch für die 2. Redaktion des "Liber pontificalis" nach und erklärt es plausibel als diskursives Konstrukt italischer Eliten, die ihre jahrzehntelange Kooperation mit Theoderich ebenso rechtfertigen wollten wie ihren Übergang auf die Seite Justinians. Wie Cassiodors "Variae" zeigen, war dies freilich zumindest bis zur Kapitulation des Vitigis vor Belisar nicht die einzige Position. Dass der König auch unter byzantinischer Herrschaft keineswegs der damnatio memoriae verfiel, zeigt auch der Umgang mit seinen Bildern, Bauten und Inschriften, die eben nur teilweise umgewidmet wurden, zum Teil aber bis weit über das Ende des Ostgotenreiches hinaus erhalten blieben. Vor diesem Hintergrund rät Goltz zu großer Vorsicht gegenüber allen Angaben, die der beschriebenen Rechtfertigungsstrategie dienen konnten, einschließlich der bekannten Aussage, Theoderich habe von Zenon den Auftrag erhalten, an Kaisers statt zu herrschen, bis dieser selbst nach Italien kommen werde.

Der historische Ertrag der Analyse der Quellen, die vom Ende des 6. bis zum 9. Jahrhundert entstanden sind, fällt naturgemäß geringer aus, da die Darstellung nun immer stärker von Faktoren bestimmt wurde, die dem Lebens- und Wirkungskreis Theoderichs fern standen, nicht zuletzt den benutzten Quellen. Im 7. Kapitel (542-586) sind das einerseits die syrischen Kirchenhistoriker (sowie Johannes von Nikiu), andererseits die griechischen Historiografen Agathias, Euagrios und Theophanes sowie das "Chronicon Paschale". Während die syrische Überlieferung ziemlich einhellig das Bild eines Tyrannen zeichnet, herrschen im griechischsprachigen Bereich positive Urteile vor. Wenig Überraschungen bietet das 8. Kapitel (587-607) über die westlichen Überlieferungen des frühen Mittelalters: Bestimmend wurden hier neben dem "Liber pontificalis" die "Dialoge" Gregors des Großen, der den König zur Strafe für seine Sünden in einen Vulkan gestürzt werden lässt. Gleichwohl hatte sein Name keineswegs überall einen schlechten Klang, sonst hätte Karl der Große wohl kaum sein Reiterstandbild nach Aachen bringen lassen.

Goltz hat eine gründliche und gediegene Arbeit vorgelegt, die in Zukunft als eine Art quellenkritisches Kompendium zur Theoderich-Überlieferung zu dienen vermag (wenn man von Cassiodor absieht). Sie führt sehr umfangreiches und weithin verstreutes Material zusammen, interpretiert es auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes, bringt neue Argumente und Deutungen vor. Ob sich alle Interpretationen, die Goltz vorschlägt, behaupten werden, mag dahingestellt bleiben - der Rezensent möchte meinen, dass das argumentum e silentio mitunter zu stark belastet wird, und hat den Eindruck, dass die "öffentliche Meinung" im frühen Byzanz nicht ganz so monolithisch war, wie Goltz unterstellt. Das größte Verdienst seiner Arbeit besteht nach Ansicht des Rezensenten darin, dass durch sie dem nur allzu verbreiteten Verfahren, historische Rekonstruktionen auf willkürlich für glaubwürdig erklärten Quellen zu errichten, nun auch auf diesem Gebiet ein Riegel vorgeschoben ist. Vielmehr muss auch hier die Überlieferung stets in ihrer ganzen Komplexität berücksichtigt und genetisch analysiert werden. Erst danach, nachdem die Überlieferung durch den Filter der Quellenkritik getrieben worden ist, darf die kreative Phantasie des Historikers beginnen, mit den "Tatsachen" ihr Spiel zu treiben. Dann freilich wird sie sich Fragen stellen, die jenseits des Deutungshorizonts unserer Quellen liegen.

Hans-Ulrich Wiemer