Rezension über:

Almut Leh / Hans-Joachim Dietz: Im Dienst der Natur. Biographisches Lese- und Handbuch zur Naturschutzgeschichte in Nordrhein-Westfalen (1908-1975), Essen: Klartext 2009, 272 S., ISBN 978-3-8375-0016-5, EUR 29,95
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Rezension von:
Michael Wettengel
Stadtarchiv Ulm / Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wettengel: Rezension von: Almut Leh / Hans-Joachim Dietz: Im Dienst der Natur. Biographisches Lese- und Handbuch zur Naturschutzgeschichte in Nordrhein-Westfalen (1908-1975), Essen: Klartext 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/14567.html


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Almut Leh / Hans-Joachim Dietz: Im Dienst der Natur

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Als am 1. April 1975 in Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft in Kraft trat, wurde die Naturschutzarbeit des Landes auf eine neue Grundlage gestellt. Bis dahin galten die Bestimmungen des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935, das parallel zu den Naturschutzbehörden auf allen Verwaltungsebenen beratende Naturschutzstellen und Beauftragte vorsah, die auf ehrenamtlicher Grundlage als Geschäftsführer der Naturschutzstellen den Naturschutz vor Ort gewährleisteten. Die Entscheidungsbefugnis lag jedoch bei den für den Naturschutz zuständigen Verwaltungsbehörden.

Dieses ehrenamtliche Beauftragten-System ging letztlich auf Hugo Conwentz, den Gründer und ersten Leiter der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen, zurück. Durch einen Ministerialerlass des preußischen Kultusministers wurde 1907 zur Bildung von "Provinzialkomitees" in allen Provinzen, innerhalb einer Provinz von Bezirks- oder Landschaftskomitees aufgerufen, um die Wirksamkeit der neu errichteten Staatlichen Stelle zu erhöhen. Bereits 1908 wurde das Provinzialkomitee für Westfalen in Münster gegründet, die Errichtung des Komitees für die Rheinprovinz fand im folgenden Jahr statt. Das erste rheinische Bezirkskomitee entstand im April 1909 in Aachen, zu einer besonders frühen lokalen Komitee-Gründung kam es schon im Januar desselben Jahres in Dortmund.

Die Arbeit in den Komitees wurde von den Geschäftsführern geleitet, die seit 1924 als "Kommissare" und seit 1935 als "Beauftragte" bezeichnet wurden. Mit dem Reichsnaturschutzgesetz wurde das Beauftragten-System zugleich auf das übrige Reichsgebiet ausgeweitet. Die Beauftragten waren fast durchweg naturwissenschaftlich gebildete Akademiker, in der Regel Lehrer. Sie bildeten die "personelle Basis" des ehrenamtlichen Naturschutzes, und von ihrem Engagement hing der Erfolg der Naturschutzarbeit ab. In Westfalen war sie besonders eindrucksvoll: Etwa 20 Prozent aller preußischen Naturschutzgebiete befanden sich 1932 in dieser Provinz, dessen Provinzialkomitee eine deutlich aktivere Rolle als sein rheinisches Pendant einnahm.

Durch Zeitzeugenbefragungen und umfangreiche Recherchen in Archiven wurden im Auftrag der Stiftung "Archiv, Forum und Museum zur Geschichte des Naturschutzes in Deutschland" umfangreiche Informationen zu den Naturschutzbeauftragten auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen gesammelt. Auf der Grundlage dieser Recherchen wurden in dem vorliegenden Band insgesamt 358 Kurzbiografien veröffentlicht, von denen zwölf Beauftragte zusätzlich in biografischen Porträts eine vertiefte Darstellung fanden. Aufgenommen wurden dabei "all diejenigen, die in den Provinzial- und Landschaftskomitees seit 1908 oder in den Naturschutzstellen der Jahre 1935 bis 1975 unter Geltung des Reichsnaturschutzgesetzes als Geschäftsführer auf Stadt-, Kreis-, Bezirks-, Provinzial- oder Landesebene tätig waren" (99). Bei der Auswahl der 12 vertiefend dargestellten Naturschutzbeauftragten bemühten sich die Verfasser, die unterschiedlichen Landesteile, Verwaltungsebenen und Epochen zu berücksichtigen.

Den Biografien vorangestellt ist ein verwaltungsgeschichtlicher Überblick über Organisation und Wirksamkeit des Naturschutzes auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen vom Kaiserreich bis zum Ende der Gültigkeit des Reichsnaturschutzgesetzes 1975. Besondere Aufmerksamkeit widmen die Verfasser den Auswirkungen der Ehrenamtlichkeit auf die Naturschutzarbeit, die sich in der Nachkriegszeit in einer mangelnden Durchsetzungskraft und zunehmender Überalterung niederschlug. Erst in den 1960er-Jahren vollzog sich ein grundlegender Generationenwechsel und ein Wandel hin zur Hauptamtlichkeit der Bezirksbeauftragten.

Am Schluss des Bandes befinden sich eine tabellarische Aufstellung der Naturschutzbeauftragten und -kommissare von Nordrhein-Westfalen und dessen Vorgängerländern bis auf die Ebene der Kommunen und Kreise seit den Anfängen bis 1975, ein Organigramm des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen, eine Karte der Verwaltungsgliederung des Landes sowie ein Abdruck des Reichsnaturschutzgesetzes und eines Ausweises für Naturschutzbeauftragte. Erklärtes Ziel der Publikation ist es, dem Engagement der Naturschutzbeauftragten "die verdiente Anerkennung" und "Bewunderung" zuteil werden zu lassen.

Diese Intention lässt allerdings wenig Raum für Distanz zum Forschungsgegenstand. So dürfte die überproportional hohe Mitgliedschaft von Naturschutzbeauftragten in der NSDAP, die auch in diesem Buch eingeräumt wird, aus den Selbstzeugnissen der Betroffenen kaum zu erklären sein. Die Schlussfolgerung, es werde "ein durchaus instrumentelles Verhältnis zur NSDAP deutlich, das im Kern auf Naturschutzinteressen gerichtet war" (41), erschließt sich nicht und erweckt eher den Eindruck, das Ergebnis nachträglicher Rechtfertigungen zu sein, denen die Verfasser Glauben geschenkt haben. Die Behauptung, man habe sich unter dem Nationalsozialismus nur den jeweiligen fachlichen Interessen gewidmet, ist eine häufig anzutreffende Rechtfertigungsformel, nicht nur von Naturschützern. Bedauerlicherweise werden die Mitgliedschaften in nationalsozialistischen Organisationen im Biografien-Teil nur ausnahmsweise vermerkt - auch beispielsweise bei Wilhelm Lienenkämper nicht, obwohl sie in diesem Fall im einführenden Abschnitt Erwähnung findet.

Mit Recht wird auf den Generationenwechsel seit den 1960er-Jahren, die neue wissenschaftliche Fundierung des Naturschutzes und, im Zuge der Hauptamtlichkeit, auf die Professionalisierung der Naturschutzbeauftragten aufmerksam gemacht. Ausschlaggebend für die umweltpolitische Wende zu Beginn der 1970er-Jahre waren aber wohl vor allem die internationale Vernetzung, die medial vermittelte globale Umweltkrise, die zu Beginn der 1970er Jahre-diagnostiziert wurde, und eine zivilgesellschaftliche Umweltbewegung, die sich vom traditionellen Naturschutz deutlich unterschied. [1] Aus der Perspektive des amtlichen Naturschutzes erschien, wie die Verfasser zeigen, der Umweltschutz dagegen eher als Konkurrent, so dass die Frage nach der Rolle des Naturschutzes bei dem umweltpolitischen Wandel eher skeptisch zu beurteilen sein dürfte.

Für künftige Forschungen zur Geschichte des Naturschutzes ist dieses informative Buch ein sehr nützliches Nachschlagewerk. Es vermittelt ein gutes und insgesamt zutreffendes Bild von den Naturschutzbeauftragten als wichtiger Trägergruppe der Naturschutzarbeit auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen.


Anmerkung:

[1] Vgl. Jens Ivo Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980, Paderborn u.a., 2006. (vgl. http://sehepunkte.de/2006/07/9990.html); Kai F. Hünemörder: Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950-1973), Stuttgart 2004. (vgl. http://sehepunkte.de/2004/09/5704.html)

Michael Wettengel