Rezension über:

Maike Steinkamp: Das unerwünschte Erbe. Die Rezeption "entarteter" Kunst in Kunstkritik, Austellungen und Museen der SBZ und der frühen DDR (= Schriften der Forschungsstelle 'Entartete Kunst'; Bd. 2), Berlin: Akademie Verlag 2008, XII + 478 S., ISBN 978-3-05-004450-7, EUR 59,80
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Rezension von:
Andrea Schmidt-Niemeyer
Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Schmidt-Niemeyer: Rezension von: Maike Steinkamp: Das unerwünschte Erbe. Die Rezeption "entarteter" Kunst in Kunstkritik, Austellungen und Museen der SBZ und der frühen DDR, Berlin: Akademie Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/14767.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Maike Steinkamp: Das unerwünschte Erbe

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Untersuchungen zur Kunst- und Kulturgeschichte der NS-Zeit gibt es etliche, insbesondere zum Thema "Entartete Kunst". Aus der Zeit der DDR hingegen sind es gegenwärtig weniger, da erst seit der Vereinigung zeitgenössische Quellen im größeren Umfang zugänglich sind. Im zweiten Band der Publikationsreihe der Forschungsstelle "Entartete Kunst" werden nun beide totalitären Zeiträume miteinander verknüpft. Wobei sich Maike Steinkamp trotz der explizit im Untertitel erwähnten "entarteten Kunst" in ihrer Bonner Dissertation von 2007, der diese Abhandlung zugrunde liegt, in erster Linie mit den Ereignissen der DDR beschäftigt.

Steinkamp legt den Schwerpunkt auf die Frage, wie die politisch motivierten Debatten in den späten 40er- und frühen 50er-Jahre die Ankaufs- und Ausstellungspolitik der Museen der SBZ bzw. DDR beeinflussten. Sie möchte belegen, dass die Museen zur Stabilisierung des (kultur)politischen Kurses der SED entscheidend herangezogen wurden. Um eine stärkere Fokussierung auf Veränderungen in diesen Institutionen zu ermöglichen, konzentriert sie sich auf die Vorgänge der Ostberliner Sammlungen, insbesondere der Nationalgalerie unter der Federführung von Ludwig Justi. "Entartete Kunst" wird mit expressionistischer Kunst gleichgesetzt - für Steinkamp keine Verengung der Darstellung, da sie den Begriff Expressionismus analog der Bedeutung in den Jahren nach 1945 verwendet, in denen dieser "für die verschiedensten Ausdrucksformen der ersten Jahrhunderthälfte benutzt" (4) wurde.

Um dies alles in einen größeren Kontext einzubetten und auch für den mit der Materie weniger vertrauten Leser verständlich zu machen, befasst sich der erste Teil ausführlich mit der Museumslandschaft der Weimarer und der nationalsozialistischen Zeit. Dem Siegeszug der expressionistischen Kunst an den deutschen Museen folgte unmittelbar deren Demontage und Vernichtung unter den Nationalsozialisten. Ebenso wie bei den nachfolgenden Ausführungen hebt Steinkamp hierbei die Ereignisse in Berlin hervor. Dieser Einleitung folgt eine Analyse der Phase unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. In den ersten Monaten kam es zu einer umfassenden Neuorientierung und einem - in allen Besatzungszonen - sehr vielversprechenden Umgang mit der ursprünglich diffamierten Kunst. Dies zeigte sich auch in der Wiedereinstellung der von den Nationalsozialisten entlassenen Museumskräften, die damit an ihre Grundsätze vor 1933 wieder anknüpfen konnten. So bemühte sich der bereits erwähnte Ludwig Justi in Berlin, eine Galerie des 20. Jahrhunderts aufzubauen und damit die Konzeption des ehemaligen Kronprinzenpalais aufzugreifen.

Zunehmende Spannungen zwischen den Siegermächten führten zu einer erneuten Politisierung von Kunst und damit zum Ende der liberalen Kulturpolitik in der SBZ. Anknüpfend an die Expressionismusdebatte der Dreißigerjahre, insbesondere unter George Lukács, warf man den zuvor rehabilitierten Künstlern eine reaktionäre Grundhaltung vor, die mit dem Aufbau eines sozialistischen Staates unvereinbar sei. Kern der Untersuchung Steinkamps bildet dabei die Formalismus-Debatte der Jahre 1948/49, die in zunehmend aggressiver Weise Gegenständlichkeit und Volksnähe einforderte und sich am Kunstkonzept der Sowjetunion orientierte. Dieselben Werke, die nur kurze Zeit zuvor als antifaschistisches Erbe begriffen wurden, verschwanden nun als dekadent verunglimpft wieder aus den Sammlungen. Neben Berlin werden die Museen in Rostock und Halle eingehender behandelt - wobei Berlin eine besonders schwierige Ausgangslage hatte, da man hier nicht nur mit dem politischen Druck zu kämpfen hatte, sondern auch mit der Teilung der Stadt und der damit einhergehenden Spaltung der Museumslandschaft.

Nach Gründung der beiden deutschen Staaten verfestigten sich die ideologischen Differenzen, und die Museen der DDR wurden in die Pflicht genommen "Bildungsstätten ersten Ranges" (264) zu sein und der sozialistischen Entwicklung zu dienen. Der sogenannte "Formalismus" galt nicht nur als Feind der Kunst, sondern auch des Volkes - das bedeutete unter anderem für Berlin das endgültige Ende der anvisierten "Galerie des 20. Jahrhunderts" - doch gelang es Justi die Sammlung der Nationalgalerie zumindest der eingeforderten politisch-ideologischen Interpretation zu entziehen und er verweigerte sich damit der Konstruktion einer "sozialistischen Kunstgeschichte".

Expressionistische Kunst verschwand aus den DDR-Museen ganz oder wurde nur noch als - abschreckendes - Illustrationsobjekt "bürgerlicher Kunst" gebilligt. Ein zweites Mal innerhalb kürzester Zeit wurde die Avantgarde der Weimarer Zeit politisch diffamiert und damit für ideologische Ziele instrumentalisiert. Erst Stalins Tod brachte den Wendepunkt in diese restriktiven Debatten. Steinkamp belegt in ihrem kurzen Ausblick auf die Jahrzehnte nach 1953, dass man in der DDR bemüht war, expressionistische Kunst allmählich in die Sammlungen zu reintegrieren und als kunsthistorisches Erbe auch interpretatorisch zu vereinnahmen.

Der These, diese Arbeit sei "ein erster Schritt zur Aufarbeitung der künstlerischen und kulturpolitischen Situation der der SBZ / DDR und ihre Auswirkungen auf die kulturellen Institutionen nach 1945" (6) kann die Rezensentin nur bedingt folgen. Eher fügt sich Steinkamps Untersuchung in eine Fülle bereits existenter Untersuchungen [1] ein, wie auch die umfangreiche Bibliografie des Bandes belegt. Spannend und für weitere Forschungen relevant sind jedoch die neuen Erkenntnisse bezüglich der Entwicklung der Museen der SBZ / DDR. Dass sich hier Steinkamp auf einige wenige Institutionen beschränkt, scheint nach der Lektüre unerlässlich, da damit Wandlungsprozesse in dem untersuchten Zeitraum eingehender belegt werden können.

Die Abhandlung ist eine kritisches und spannend zu lesendes Kapitel der DDR-Kulturgeschichte und jedem, der sich mit diesem Metier beschäftigt, zur Lektüre empfohlen.


Anmerkung:

[1] Aus den vielen Publikationen seien nur zwei hervorgehoben: Kunstkombinat DDR: Eine Dokumentation 1945-1990, zusammengestellt von Günter Feist unter Mitarbeit von Eckhart Gillen, hg. vom Museumspädagogischen Dienst Berlin, 2., erw. u. aktualisierte Aufl. Berlin 1990, sowie: Kunstdokumentation SBZ / DDR 1945-1990. Aufsätze, Berichte, Materialien, hg. von Günter Feist / Eckhart Gillen / Beatrice Vierneisel, Köln 1996.

Andrea Schmidt-Niemeyer