Rezension über:

Dietmar Willoweit (Hg.): Denker, Forscher und Entdecker. Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in historischen Portraits, München: C.H.Beck 2009, X + 406 S., 22 Abb., ISBN 978-3-406-58511-1, EUR 34,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Manfred Hanisch
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Hanisch: Rezension von: Dietmar Willoweit (Hg.): Denker, Forscher und Entdecker. Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in historischen Portraits, München: C.H.Beck 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/15460.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Dietmar Willoweit (Hg.): Denker, Forscher und Entdecker

Textgröße: A A A

Das Buch wurde vom Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (unter Mitarbeit von Ellen Latzin) anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der 1759 gegründeten Wissenschaftseinrichtung herausgegeben. Es ist nichts anderes, als im Titel steht: Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in insgesamt 22 historischen Porträts von mehr oder weniger markanten Wissenschaftlern, fast alle von Mitgliedern der Bayerischen Akademie verfasst oder von Personen, die, so der Herausgeber, dieser Einrichtung "besonders verbunden" (V) sind. Also ein Buch pro domo - von den Mitgliedern und über die Mitglieder der Akademie? Es sei dahingestellt. Verdienste gibt es, aber auch Mängel.

Die Mängel: Das Vorwort des Herausgebers - eine irgendwie geartete einleitende Einführung fehlt - ist eine knappe Seite lang. Darin ordnet Willoweit das Sammelwerk sehr allgemein in den größeren Zusammenhang von Wissenschaftsgeschichte ein und vertritt die Ansicht, dass sich der Prozess der allmählichen Professionalisierung der Wissenschaft "am eindrucksvollsten an den Lebensläufen hervorragender Gelehrter ablesen" lässt, "die an der Akademie wirkten und in unterschiedlicher Weise sowohl zur Geschichte ihrer jeweiligen Wissenschaft wie auch zur Geschichte der Akademie beigetragen haben." (V) Ob eine ausschließlich biografische Herangehensweise an Wissenschaftsgeschichte ein fruchtbarer Weg ist: Darüber kann man freilich geteilter Meinung sein. Es fehlt ein ereignis- und institutionengeschichtlicher Überblick. Es fehlen die Einordnung und der Vergleich mit der Geschichte anderer Akademien. Es fehlt eine Bibliografie mit den Veröffentlichungen über die Bayerische Akademie. Es fehlen sogar Register, die den Sammelband erschließen. Nicht einmal ein Personenregister ist vorhanden, was alles den Eindruck des Dahingeworfenen aufkommen lässt.

Allerdings: Der Großteil der Desiderata ist durch die Beschränkung auf biografische Porträts von vornherein ausgeblendet. Auch wenn man sich nur darauf konzentriert, so würde der Leser doch gern wissen wollen, warum welcher Wissenschaftler mit einem Aufsatz gewürdigt wird. Der Leser erfährt nichts über die der Auswahl zugrunde liegenden Kriterien.

Jedoch finden sich in der Reihe der behandelten Akademiemitglieder viele, die für die Geschichte der Institution bedeutsam waren. So haben wir einen eingehenden Aufsatz über den Gründer der Akademie, über Johann Georg von Lori (1723-1787). Der Autor Dietmar Willoweit (gleichzeitig der Herausgeber des Werkes) schildert die schwierige Situation aufgeklärter Wissenschaft im katholisch-jesuitischen Bayern in der Zeit des Wechsels vom letzten aus der bayerischen Line stammenden Kurfürsten Max III. Joseph (1745-1777) zu Carl Theodor von der Pfalz (1777-1799). Während Max III. Joseph den Anliegen der Wissenschaft offener gegenüberstand, gilt dies nicht für den ungeliebten, wenig aufgeklärten und Bayern gar nicht landesväterlich behandelnden Carl Theodor. Er verbannte Lori geradezu despotisch nach Neuburg an der Donau. Lori trat zu sehr für die Eigenständigkeit des Kurfürstentums Bayerns ein, als Carl Theodor es gegen die österreichischen Niederlande eintauschen wollte.

So findet sich auch der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854, Artikel verfasst von Joseph Ziche) in der Reihe der behandelten Wissenschaftler. Er war Präsident, als die bayerische Landesuniversität nach München verlegt wurde, und stellte wichtige Weichen für die Akademie in dem neuen Universitätsumfeld.

Auch der problematische Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, der Historiker Karl Alexander von Müller, wird von Winfried Schulze eingehend, nüchtern, kritisch-distanziert behandelt. Damit setzt sich diese Darstellung wohltuend ab von der Selbststilisierung von Müllers nach 1945, die vielfach in der Literatur und insbesondere von seinem nicht unbedeutenden Schülerkreis übernommen wurde.

Eine ganz andere Schüsselfunktion für die Bayerischen Akademie der Wissenschaften spielt dann deren erster Nachkriegspräsident Walther Meissner (Brigitte Röthlein), der die Weichen neu stellen musste.

Der Anspruch des Buches, eine Geschichte der Akademie im Spiegel seiner gleich in welcher Art markant gewordenen Mitglieder darzustellen, wird so eingelöst.

Jedoch ein Großteil der Biografien legt nicht den Schwerpunkt auf die institutionengeschichtliche Verbindung zur Akademie. Es sind Forscherbiografien, die auch leicht in anderen Zusammenhängen hätten veröffentlicht werden können. Aber jede ist sorgfältig recherchiert und viele sind unter Einbeziehung von archivalischen Quellen verfasst. Alle Aufsätze können hier aus Platzgründen leider nicht gewürdigt werden. Zwei seien stellvertretend herausgegriffen, die dafür stehen mögen, wie facettenreich die Forscherbiografien zusammengestellt wurden:

Einmal der mustergültig wissenschaftsgeschichtlich kontextualisierte Aufsatz von Silvia Krauss: "Prinzessin Therese von Bayern (1850-1925). Einziges weibliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften". Dies ist umso bemerkenswerter, als erst 1995, ganze 103 Jahre später, eine Frau als ordentliches Mitglied in die Akademie gewählt wurde.

Und dann der Aufsatz von Thomas O. Höllmann: "Lucian Scherman (1864-1946). Verfemt, verfolgt, vergessen". Der Untertitel sagt schon ziemlich alles. Schermann war Leiter der ethnografischen Sammlungen und wurde als Jude aus der Akademie 1938 ausgeschlossen, emigrierte 1939 und als er 1946 starb, wurde selbst in nachnationalsozialistischer Zeit ihm nicht die übliche Ehre eines Nekrologes im Jahrbuch der Akademie zuteil. Wahrhaftig kein Ruhmesblatt für die Akademie, und das Buch mitnichten nur "pro domo".

Fazit: Der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat einen Jubiläumsband herausgegeben. Über die Konzeption kann man geteilter Meinung sein. Das Buch enthält jedoch durchweg verdienstvolle biografische Beiträge, auch mit neuen Erkenntnissen über einzelne Mitglieder. Ein Teil der mit Aufsätzen gewürdigten Mitglieder war in der Tat von markanter Bedeutung nicht nur für ihre jeweilige Wissenschaft, sondern auch für die Geschichte der Akademie. Der Sammelband ist eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in historischen Porträts. Jedoch: Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist der Sammelband nicht - und er will es auch nicht sein.

Manfred Hanisch