Rezension über:

Wolfgang Jean Stock / Walter Zahner (Hgg.): Bauherr Kirche. Der Architekt Karljosef Schattner, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, 116 S., ISBN 978-3-422-06892-6, EUR 24,90
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Rezension von:
Robert Stalla / Andreas Zeese
Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, TU Wien
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Robert Stalla / Andreas Zeese: Rezension von: Wolfgang Jean Stock / Walter Zahner (Hgg.): Bauherr Kirche. Der Architekt Karljosef Schattner, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/17614.html


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Wolfgang Jean Stock / Walter Zahner (Hgg.): Bauherr Kirche

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Die Zeiten, in denen das architektonische Werk Karljosef Schattners nur lokale Bewunderer fand, sind lange vorbei. Spätestens Mitte der 1980er-Jahre rückte die neue Baukultur der traditionsreichen bayerischen Bischofsstadt Eichstätt in den Fokus eines nationalen und internationalen Fachdiskurses. Hier waren unter der Ägide des 1924 geborenen, bei Hans Döllgast in München ausgebildeten und seit 1957 als Diözesanbaumeister tätigen Schattner für die 1980 gegründete Katholische Universität zahlreiche mustergültige Neu- und Umbauten entstanden, die sich mit formaler Klarheit und funktionaler Stringenz in das barocke Stadtbild eingliedern und diesem eine moderne Schicht hinzufügen. Bauten weiterer renommierter Kollegen, wie Günter Behnisch und Eberhard Schunck, profilierten die Stadt im Altmühltal als Schauplatz vorzüglicher Architektur der 1980er- und 1990er-Jahre.

"Bauherr Kirche. Der Architekt Karljosef Schattner" - 2009 zu dessen 85. Geburtstag von Wolfgang Jean Stock und Walter Zahner als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst herausgegeben und mit Fotografien von Klaus Kinold reich illustriert - fügt sich in eine lange Publikationsreihe zum Œuvre des Baumeisters ein; erwähnt seien hier nur die Monografien von Ulrich Conrads (1983) [1] und Wolfgang Pehnt (1988) [2] sowie die Dissertation von Frank Dengler (2003). [3] Konzeptionell schließt das Buch an den von Schattner und Kinold veröffentlichten Bildband "Architektur und Fotografie - Korrespondenzen" von 2003 an. [4] Inhaltlich bietet es die Zusammenschau ganz unterschiedlicher Beiträge: neben zwei Aufsätzen sowie Kurzbeschreibungen ausgewählter Projekte auch den Neuabdruck von Schattners Schrift "Neues Bauen in alter Umgebung" (1984) und die Rede des Mainzer Bischofs Karl Lehmann anlässlich der Übergabe des Kunst- und Kulturpreises der deutschen Katholiken an den Architekten (1994). So zielen in der schmalen Publikation geschriebenes Wort und fotografisches Bild gemeinsam auf die Würdigung von einem der "bedeutendsten Diözesanbaumeister Deutschlands" und "wegweisenden kirchlichen Baumeister des letzten Jahrhunderts" (10).

In seiner Einführung "Große Architektur in kleiner Stadt" umreißt Stock die "einzigartige Konstellation von Bauherr und Architekt", die Schattners Wirken in Eichstätt zugrunde lag. Besonders pointiert der Verfasser die Gemengelage aus lokaler Bautradition, internationalem Einfluss und theoretischer Fundierung, die Schattners spezifisches - nicht von "Nachahmung", sondern von "Interpretation" geleitetes - Verständnis von "Bauen im Bestand" prägte. Den sogenannten "Schattner-Charme" (22), für den Stock ganz wesentlich das Arbeiten mit formalen Gegensätzen und der wirkungsvollen Gegenüberstellung von Alt und Neu verantwortlich macht, erklärt er u.a. mit der Auftraggebersituation und dem Tätigkeitsfeld, "der Kirche als Bauherr" und der "überschaubaren Provinz" (18f.).

Die nachfolgende Präsentation exemplarischer Projekte unterstreicht Stocks Thesen. Im Zentrum stehen, vom Umbau des Schlosses Hirschberg bei Beilngries (1987-92) abgesehen, vor allem die Eichstätter Universitätsgebäude: beginnend mit den Bauten an der Sommerresidenz (1960-65) bis hin zum Neubau des Diözesanarchivs (1989-92). Suggestiv verlässt sich das Bildband-Konzept mit den knappen, größtenteils aus "Architektur und Fotografie - Korrespondenzen" (2003) entlehnten Erläuterungstexten und den wenigen Zeichnungen auf die Wirkung der vorzüglichen, weitgehend ganzseitig reproduzierten Schwarz-Weiß-Fotografien. Dem fügt sich auch Schattners - auf geschmackvollem Grau abgedruckter - Text "Neues Bauen in alter Umgebung" ein, der trotz der kommentarlosen Gegenüberstellung von theoretischer Überlegung und praktischer Umsetzung eine Vorstellung von dessen Credo einer architektonischen "Schichtung" zu vermitteln vermag.

Ausführlicher gewünscht hätte man sich Hans-Michael Koetzles Beitrag "Baumeister in Bildern - zur Architekturfotografie von Klaus Kinold", der - mit Schattner befreundet - eine zentrale Rolle bei der publizistischen Verbreitung von dessen Œuvre einnimmt. Die darin konstatierte Koinzidenz von "architektonischer Qualität und fotografischer Exzellenz" (106) erscheint wie ein Leitbild für die Konzeption des vorliegenden Bandes.

"Bauherr Kirche. Der Architekt Karljosef Schattner" versteht sich nicht als wissenschaftliche Würdigung des Eichstätter Baumeisters: In den Beiträgen finden sich nur vereinzelte Fußnoten; bei der Auswahl besprochener Bauten fehlen die frühen Kirchenbauten (Zur Heiligen Familie in Eichstätt, 1963-65; St. Martin in Etzelwang, 1968-70; St. Andreas in Adelschlag, 1972-74); auf eine Werkliste und ein Schriftenverzeichnis Schattners wurde gänzlich verzichtet. So bleiben für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Œuvre des Architekten die bisherigen, oben genannten Veröffentlichungen weiterhin unverzichtbar.

Die Vorzüge des Jubiläumsbandes liegen zuvorderst in der exzellenten Ausstattung, dem überzeugenden Layout und besonders auch in der ansprechenden Kombination von Wort und Bild. Die Synergie zwischen vorgestellten Bauten und ihrer fotografischen Inszenierung rückt aber nicht nur Schattners Werk in den Mittelpunkt. Sie erreicht durchaus mehr: Sie macht neugierig und weckt Lust auf die visuelle und intellektuelle Auseinandersetzung mit Architektur. So mag Schattners Position zur Frage "Bauen im Bestand" als wichtiger Beitrag und vielleicht auch als Bindeglied vergleichbarer Ansätze der 1950er- (Alte Pinakothek, Hans Döllgast) und der 2000er-Jahre (Neues Museum, David Chipperfield) verstanden werden. Angesichts der derzeitigen Kontroverse zum Wiederaufbau kriegszerstörter Innenstädte in Deutschland möchte man fragen, wie Schattner mit der Bebauung des Berliner Schlossplatzes umgegangen wäre. Ebenso sind in dem Buch prinzipielle Fragen zu den Grundlagen und Voraussetzungen architektonischer Qualität berührt, die aktuell etwa von der 2007 eingerichteten "Bundesstiftung Baukultur" thematisiert werden: Welche Rolle spielen Zeit, Kosten und Rendite im öffentlichen Bauwesen, welche das oft beklagte Fehlen eigenverantwortlicher Bauherrn im Zeitalter von Developern und Investmentfonds?

Schattners Werk bietet einen eindrucksvollen Beleg für die Möglichkeiten, welche sich aus der langjährigen, intensiven Zusammenarbeit zwischen einem institutionellen Bauherrn, einem Architekten und einer Stadt eröffnen können. In diesem Sinne kann das vorliegende Buch gerade heute als Anreger und Ideengeber dienen.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Conrads / Manfred Sack (Hgg.): Karljosef Schattner. Unter Mitarbeit von Günther Kühne (= Reissbrett; Bd. 2), Braunschweig (u.a.) 1983.

[2] Wolfgang Pehnt: Karljosef Schattner. Ein Architekt aus Eichstätt, Stuttgart 1988.

[3] Frank Dengler: Bauen in historischer Umgebung. Die Architekten Dieter Oesterlen, Gottfried Böhm und Karljosef Schattner (= Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 151), Hildesheim (u.a.) 2003.

[4] Wolfgang Jean Stock (Hg.): Karljosef Schattner, Klaus Kinold: Architektur und Fotografie - Korrespondenzen, Basel (u.a.) 2003.

Robert Stalla / Andreas Zeese