Rezension über:

Michael Ploetz / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1979. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte (= Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland), München: Oldenbourg 2010, 2 Bde., LXXXVIII + 2128 S., ISBN 978-3-486-59191-0, EUR 138,00
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Rezension von:
Michael Gehler
Stiftung Universität Hildesheim
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Michael Gehler: Rezension von: Michael Ploetz / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1979. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 2 [15.02.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/02/18241.html


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Michael Ploetz / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1979

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In den letzten Jahren wurde das Epochenjahr 1989 verstärkt in den Fokus politik- und geschichtswissenschaftlicher Studien gerückt. Im Lichte von 9/11 sowie der Kriege im Irak und in Afghanistan wird deutlich, auch das Jahr 1979 nicht nur als Ausgangspunkt einer weltpolitischen Veränderung, sondern auch als Zäsur der internationalen Beziehungen zu begreifen: Die Theokratie der Ayatollahs löste das dikatorisch-korrupte Schah-Regime in Persien ab und die Sowjetunion marschierte in Afghanistan ein. Das ist auch Gegenstand dieser Edition.

Mit den beiden Jahresbänden wurde zum 17. Mal eine Sammlung von Dokumenten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts unmittelbar nach Ablauf der 30jährigen Aktensperrfrist veröffentlicht. Daneben hat das Bundeskanzleramt gestattet, "unverzichtbare Gesprächsaufzeichnungen" aufzunehmen. Helmut Schmidt genehmigte den Abdruck wichtiger und amtliche Akten ergänzender Schriftstücke aus seinem Depositum in der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Hauptherausgeber" Horst Möller dankt allen Beteiligten für das Zustandekommen des wahrlich beeindruckenden Werks. Das Hauptverdienst gebührt den beiden Bearbeitern Michael Ploetz und Tim Szatkowski, die mit der wissenschaftlichen Editionsleiterin, Ilse Dorothee Pautsch, die gigantische Arbeit der Sichtung, Selektion, Bewertung und Kontextualisierung der Dokumente geleistet haben. Wenn man noch die weiteren zehn Personen bedenkt, die im Rahmen der Arbeiten genannt werden, ist es kaum verwunderlich, dass vergleichbare Grundlagenforschung an Historischen Instituten oder Seminaren an Universitäten im deutschsprachigen Raum kaum mehr oder gar nicht geleistet wird.

In den Vorbemerkungen werden Auswahl, Folge, Köpfe, Texte und Kommentierung der Dokumente begründet, erklärt und erläutert. Das Dokumentenverzeichnis bietet eine numerierte Aufstellung mit Datum, Absender und Adressaten der Schriftstücke sowie eine knapp gehaltene regestenartige Erläuterung, die einen raschen Zugriff ermöglichen. Fast 400 Dokumente lohnen zu lesen, weil sie teils beachtlichen Informationswert besitzen, teils erheblichen Erkenntnisgewinn bringen. Die Fülle der Quellen kann in dieser Besprechung nicht angemessen gewürdigt werden.

Nur willkürlich können wenige Beispiele genannt werden, z. B. wenn NATO-Botschafter Rolf Friedemann Pauls über ein "privates Treffen" im Ständigen NATO-Rat in Brüssel vom 22. Februar berichtet (Dok. 49, 207-213), in dem er einen Überblick über die Auswirkungen der iranischen Entwicklung auf die Nachbarregionen und die Atlantische Allianz gibt. Die hinter Khomeini stehenden Massen seien nicht nur religiös motiviert. Kleine, gut organisierte linke Minderheiten wirkten innerhalb dieser Massen. Der Besuch Arafats in Teheran sei bezeichnend, da er bei diesem Anlass den Sturz des Schahs als "den ersten Schritt zum Sieg der palästinensischen Revolution" bezeichnet hatte. Die Allianz müsse vor allem darüber besorgt sein, dass der Iran als Sperriegel gegen die Sowjetunion im Nahen und Mittleren Osten wegfalle.

Interessant ist ein Bericht von Botschafter Otto-Axel Herbst an das Auswärtige Amt vom 4. April (Dok. 100, 444-448), in dem die Deutschland-Debatte in Frankreich analysiert wird. Stets tauche die Sorge vor einer deutschen Hegemonialstellung in Europa, mehr aber noch die Angst vor einer neuerlichen Hinwendung Deutschlands nach dem Osten auf. Die geographische Lage Frankreichs und die militärischen Konsequenzen machten es unausweichlich, "daß Deutschland im Grunde für Frankreich zu allen Zeiten wichtiger war als Frankreich für Deutschland". Die seit dem letzten Krieg erfolgten Veränderungen in Europa hätten die Einsicht verstärkt, auf eine gute Partnerschaft angewiesen zu sein. Angst bereitete allerdings die "wachsende wirtschaftliche, militärische und damit politische Stärke" der Bundesrepublik. Dies verbinde sich mit dem Bild einer Frankreichs Unabhängigkeit bedrohenden engen deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit oder eines größer werdenden Gewichts der Bundesrepublik in der NATO. Die Stärke und der politische Manövrierraum der Bundesrepublik würden wachsen, ihre Beziehungen zur Sowjetunion und zur DDR normaler. Der Bericht Herbsts verdeutlicht, wie ausgeprägt die Befürchtung vor einer Abkoppelung der BRD vom Westen in politischen Kreisen Frankreichs war.

Im ausführlichen Geheimbericht über ein Gespräch des Bundeskanzlers Schmidt mit dem chinesischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des ZK der KPCh, Hua Guofeng, vom 22. Oktober 1979 (Dok. 305, 1531-1546) ging es u.a. um Fragen des militärischen Gleichgewichts (1543-1544). Hua äußerte, dass in einer Auseinandersetzung mit der UdSSR die deutschen Truppen "die kampfkräftigsten" seien, weshalb die Sowjetunion "am meisten Angst vor den Deutschen" hätte und sich "mit allen Mitteln der Wiederherstellung der deutschen Einheit widersetzen" würde. Hua hielt Berichte britischer Zeitungen für unrealistisch, wonach Moskau der Wiedervereinigung zustimmen würde, wenn Deutschland neutralisiert werde. Bezug genommen worden war auf einen Artikel "Brezhnev wants united Germany" im Observer vom 21. Oktober 1979. Schmidt bezeichnete den Bericht als "unseriös", hielt es aber für denkbar, dass solche Informationen von sowjetischen Journalisten ausgestreut würden. Dass die Nachricht von einem angeblichen sowjetischen Neutralisierungsplan für die Bundesrepublik und die DDR in der Umgebung von Bruno Kreisky bekannt geworden sei, wurde in Wien als "Ente" bezeichnet (Fussnote 49, 1544).

Der Gesandte Gerd Berendonck berichtete am 31. Dezember aus Moskau über dortige Besprechungen zur sowjetischen Afghanistan-Intervention (Dok. 395, 1975-1977). Der US-Botschafter zitierte aus dem Briefwechsel zwischen Breschnew und Carter. Der Präsident hatte deutlich von der Bedrohung des Friedens durch die UdSSR gesprochen. Ihre Argumente seien keinesfalls stichhaltig. Von außen sei in einem unabhängigen Land eine neue Regierung eingesetzt worden. Carter forderte den sofortigen Rückzug. Breschnews Antwort ließ jegliche Übereinstimmung vermissen. Afghanistan habe mehrfach sowjetische Truppenunterstützung erbeten. Die russischen Truppen würden abziehen, wenn die Angelegenheit geregelt sei. Bei der Aussprache der westlichen Botschafter wurde die Auffassung vertreten, dass sich die UdSSR bei der bestehenden Unsicherheit der SALT II-Ratifizierung und der Probleme der USA im Iran (am 4. November war die US-Botschaft in Teheran besetzt worden) zur Besetzung Afghanistans entschlossen habe, um gewonnene Positionen zu sichern. Unklarheit herrschte, ob sich ihre zukünftige Stoßrichtung gegen Iran oder Pakistan richte, Konsens hingegen, dass das sowjetische Vorgehen negative Rückwirkungen auf die islamische Welt habe.

Solche und viele andere Dokumente finden sich in dieser Edition, die ein umfängliches Personenregister aufweist, das gleichzeitig ein detailliertes Funktionsträgerverzeichnis ist. Hinzu kommt noch ein differenziertes Sachregister, welches die thematische Aufschlüsselung der Dokumente leistet und einen raschen Zugang ermöglicht sowie ein Organigramm des Amtes vom Februar 1979.

In exzellenter Manier wurde sowohl editionstechisch als auch quellenkommentierend gearbeitet. Die Forschung darf sich glücklich schätzen, über ein so sorgfältig bearbeitetes Dokumentationswerk zu verfügen. An diesem Musterbeispiel perfekter deutscher Editionsarbeit gibt es nichts zu kritisieren, außer vielleicht, dass eine inhaltsbezogene Gesamtbewertung der Dokumente wünschenswert gewesen wäre.

Michael Gehler