Rezension über:

Peter Landau: Grundlagen und Geschichte des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts (= Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht; Bd. 92), Tübingen: Mohr Siebeck 2010, VIII + 476 S., ISBN 978-3-16-149455-0, EUR 69,00
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Rezension von:
Johannes Wischmeyer
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Wischmeyer: Rezension von: Peter Landau: Grundlagen und Geschichte des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Tübingen: Mohr Siebeck 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/17891.html


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Peter Landau: Grundlagen und Geschichte des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts

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Was waren das für Zeiten, als gewöhnliche Juristen noch Bescheid wussten auf die Frage nach dem geschichtlichen Woher, egal ob es um Doppelbesteuerung, Mündlichkeitsgrundsatz oder den Körperschaftsstatus der Kirchen ging. Heute interessieren sich auch an den Universitäten nur noch wenige Spezialisten dafür, wie das Recht die Ordnungen von Staat, Gesellschaft und Religion geformt hat. Die deutschsprachige Rechtsgeschichte sieht einer düsteren Zukunft entgegen, Leuchttürme der Forschung wie das Frankfurter Max-Planck-Institut kommen nicht an gegen den Trend zur Geschichtsvergessenheit. Mag das bereits für die Zivil- und Strafrechtsgeschichte gelten (ein wenig besser sieht es nur im Öffentlichen Recht aus, auch wegen der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Allgemein- und Politikhistorikern), so droht eine "Orchideendisziplin" wie das Evangelische Kirchenrecht historisch auszutrocknen. Nur wenige halten hier den einst selbstverständlichen Kenntnisstand. Der vielleicht Scharfsinnigste unter ihnen ist der Münchner Peter Landau, das bestätigt die jetzt vorliegende Auswahl seiner wichtigsten kanonistischen Aufsätze. Landau - der als international renommierter Rechtshistoriker noch ganz andere Arenen bespielt - ist ein Historist im besten Sinne: Die geltende Rechtsordnung sieht er als legitimiert durch "geschichtlich gewordene Konstituentien des Rechtsbegriffs" (26). Dementsprechend kann er der historisch-systematischen Reflexion mitunter unbefangen normative Ziele setzen: Immer wieder kommt er auf seine Vision eines bekenntnisorientierten, historisch fundierten und gleichzeitig ökumenisch entwicklungsfähigen Kirchenrechts zurück (31).

Das ist angesichts der protestantisch akzentuierten Kanonistiktradition, der sich Landau verpflichtet weiß, nicht selbstverständlich: Instruktiv stellt er den eigentlichen Begründer der frühneuzeitlichen lutherischen Kirchenrechtswissenschaft, Benedict Carpzov (103-127), dem pietistisch beeinflussten Justus Henning Böhmer gegenüber (140-157). Während die obrigkeitsaffine und ekklesiologisch unterbestimmte Lehre Carpzovs nicht gut wegkommt, gilt Landaus Sympathie dem innovativen (z.B. in vielen Details von Philipp Jakob Spener beeinflussten), aber auch aus einem breiten, nicht zuletzt vorreformatorischen Traditionsbestand schöpfenden Böhmer - wie prinzipiell allen protestantischen Kollegen, die anstatt einer Perspektivverengung auf das Staat-Kirche-Verhältnis materialiter um ein kirchliches "ius commune" bemüht sind, an die gemeinsamen kanonistischen Traditionen anknüpfen und dabei auch das Gespräch mit der zeitgenössischen Theologie suchen (140; 156 u.ö.).

Den Übergang der Kanonistik in die Moderne hat Landau in mittlerweile klassischen Studien dokumentiert, etwa zum ähnlich wie Carpzov vorher kaum als innovativer Kanonist gewürdigten Wiguläus von Kreittmayr (329-347) oder, eine aufregende Neudeutung, zum ideellen Umfeld des josephinischen Toleranzpatents (348-363; ein Muss, um über den strapazierten Begriff historisch fundiert mitzudiskutieren). Umsichtig führt Landau durch die Stationen, die das Kirchenrecht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von der Konzeptionsphase bis zu seinem allmählichen Obsoletwerden infolge zahlreicher legislatorischer, administrativer und jurisdiktioneller Akte im 19. Jahrhundert durchlief (175-210). Speziell hat Landau in diesem Zusammenhang nochmals die Pluralisierung der Religionsverfassung durch Friedrich Wilhelm IV. gewürdigt - ein Stufensystem von Rechtsformen für minoritäre Religionsgesellschaften ließ nun Abstriche an deren Gemeinwohldienlichkeit zu (364-381) - und, über Preußen hinausgreifend, Konfliktlinien um die staatliche Kirchenhoheit im Kulturkampf nachgezeichnet (414-435). Zum interdisziplinären wissenschaftsgeschichtlichen Gespräch lädt die informationsgesättigte Übersicht über deutschsprachige kirchenrechtliche Zeitschriften im 19. und 20 Jahrhundert (211-252) ebenso ein wie die Detailstudie zu Aemilius Ludwig Richters im Austausch mit der zeitgenössischen Patristik und Dogmatik mehrmals verändertem Kirchenbegriff (280-296).

Dabei gelingt es Landau auch, verschüttete interkonfessionelle Diskurse zu rekonstruieren: Im 19. Jahrhundert wurde zum Beispiel im Gefolge der Historischen Rechtsschule von Protestanten wie Katholiken ein gewohnheitsrechtlich basiertes Konzept des Kirchenrechts diskutiert. Interessante Lösungsvorschläge finden sich hier, als Legitimationsinstanz konnte etwa der Volksgeist durch die Communio Sanctorum ersetzt werden (62). Präzise arbeitet Landau heraus, wo im protestantischen Kirchenrecht zuerst ein legalistisches Verständnis des ius divinum aufgegeben wurde (beim Erlanger Lutheraner Adolf von Scheurl, 67; nicht nur hier eine großartige Vorlage für künftige Theologiegeschichtsforschung). Stellenweise liegen die Parallelen zwischen gelehrten Juristen und Theologen bis ins Biographische und Positionelle auf der Hand (257; 400). Mit dem liberal-etatistischen Neuterritorialismus im protestantischen Kirchenrecht der Wilhelminischen Zeit - vor allem Rudolph Sohm und Emil Friedberg - verbindet Landau keine Freundschaft. Dennoch ist seine Gesamtdarstellung des akademischen Staatskirchenrechts (383-413) so instruktiv, dass man nur auf eine monographische Ausarbeitung hoffen kann.

Nicht jeder Beitrag im Band ist ein großer Wurf (dem Mosheim-Aufsatz, 158-171, fehlt zum Beispiel die Vermittlung mit der aktuellen Forschungslage; auch der systematisch überzeugende Beitrag zu Luther und der Tradition der Demokratie, 311-328, hätte hierdurch gewonnen). Einmal zeigt sich störend, dass die Beiträge inhaltlich nicht koordiniert wurden (379 vs. 420). In der Summe nötigen die Studien trotzdem höchsten Respekt ab: Die magistrale Darstellung durchfunkeln immer wieder Assoziationen, die sich einem souveränen Zugriff auf die longue durée der Ideengeschichte verdanken (vgl. nur zur Puchta-Habermas-Traditionslinie: 259f.).

Wird Landaus Bestreben, dem Kirchenrecht wieder einen Platz im allgemeinen rechtsphilosophischen Diskurs zu sichern (7), von Erfolg gekrönt sein? Man mag es bedauern, dass sich momentan dort ebenso wie in der theologischen Ethik das Interesse an solchen Angeboten wohl in Grenzen hält. Unverzeihlich wäre es allerdings, würden Kirchen- und Religionshistoriker die Chance versäumen, sich näher mit der juridisch-normativen Komponente der Religion zu beschäftigen, die Landaus Fallstudien in Erinnerung rufen. Die Ordnungsentwürfe, die in der Neuzeit das Verhältnis zwischen religiösem und politischem Feld auf gesellschaftsdienliche Weise beschreiben wollten, werden in Zukunft auch auf europäischer Ebene verstärkt zum Forschungsgegenstand werden.

Johannes Wischmeyer