Rezension über:

Margot Klee: Lebensadern des Imperiums. Straßen im Römischen Weltreich, Stuttgart: Theiss 2010, 160 S., 123 Farbabb., 6 Karten, ISBN 978-3-8062-2307-1, EUR 29,90
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Rezension von:
Michael Rathmann
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Michael Rathmann: Rezension von: Margot Klee: Lebensadern des Imperiums. Straßen im Römischen Weltreich, Stuttgart: Theiss 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/19021.html


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Margot Klee: Lebensadern des Imperiums

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Wer bislang eine illustrierte Geschichte des römischen Straßenwesens als Einsteigerlektüre suchte, griff zum solide gemachten Buch von Werner Heinz. [1] Nun hat im gleichen Verlag die bislang als Kennerin des römischen Germaniens bekannte Margot Klee das Nachfolgewerk vorgelegt. [2] Die Gemeinsamkeit mit dem Vorgänger zeigt sich schon darin, dass auch das hier zu besprechende neue Straßen-Buch von Klee optisch ansprechend gestaltet ist und zahlreiche Abbildungen in guter Qualität bietet. [3] Ein wirklich gelungenes Layout-Feature ist die durchlaufend in rot eingezeichnete Straße am oberen Seitenrand nach Art der Tabula Peutingeriana.

Wie alle Produkte aus dem Theiss Verlag richtet sich auch das Buch von Klee an ein breiteres Publikum und muss folglich unter diesem Blickwinkel gesehen und bewertet werden. Die 143 Textseiten verteilen sich auf insgesamt acht Kapitel, eingerahmt von einer kurzen Einleitung [4] und einem ebenso knappen Epilog. Das Werk reißt dabei alle Facetten des römischen Straßenwesens von der Definition der via publica bis hin zum cursus publicus an. Der Anhang bietet schließlich noch ein nützliches Glossar der einschlägigen Fachbegriffe, eine nicht in allen Punkten nachvollziehbare und knappe Literaturliste [5] sowie diverse Register.

Klee setzt sich in ihrer Arbeit mit der eigentlich etwas trockenen Materie des römischen Straßenwesens auseinander. Dabei steht die Autorin vor dem Problem, eine möglichst große Bandbreite an Themen und Details vermitteln zu wollen, ohne ihre avisierten Leser damit zu überfordern. In ihrem Bemühen um einen populärwissenschaftlichen Stil verzichtet die Autorin z.B. auf die Belege der angeführten antiken Texte und auf Anmerkungen im Allgemeinen. Der so von scheinbar überflüssigem wissenschaftlichem Ballast befreite Text ist zwar gefällig zu lesen, nimmt jedoch dem interessierten Rezipienten jegliche Möglichkeit zur selbstständigen weiterführenden Lektüre. Hier bot das Vorgängerbuch von Heinz ein ausgereifteres Konzept.

Vor allem aber baut Klee inhaltlich aus einer Fülle an thematischen Mosaiksteinchen einen Text zusammen, der sich nicht wirklich als ein organisches Ganzes präsentiert. Sie spricht sehr viele Aspekte an, die sie dann auf den gebotenen 143 Seiten allenfalls im Ansatz behandeln kann. Daher sind ihre Ausführungen inhaltlich bisweilen etwas sprunghaft oder unverständlich kurz. Mitunter wirkt ihr Text wie ein Abarbeiten von Schlagworten - beispielsweise auf Seite 10/11 von den Argonauten über Cicero bis zur Grenzmarkierung in Blankenheim. [6] Dass ihr die angezielte Leserschaft dabei immer folgen kann, scheint mir zweifelhaft.

Wer mit der Materie etwas vertrauter ist, wird zudem schnell bemerken, dass die Straßenforschung offensichtlich nicht zum Forschungsschwerpunkt der Verfasserin zählen kann. Insbesondere im ersten Abschnitt zur Definition der römischen Straßen (13-25; Verschiedene Straßen - unterschiedliches Recht) wird deutlich, dass Klee ihr Wissen aus einer Vielzahl an Veröffentlichungen schöpft - im Übrigen ohne die entsprechenden Gewährsleute in der Bibliographie vollständig anzugeben -, es jedoch an der begrifflichen Sorgfalt fehlen lässt. So bleibt offen, was genau die Autorin unter einer Römerstraße versteht. Genannt werden beispielsweise Bezeichnungen wie via publica, Konsularstraße oder military way (um nur einige Straßenbenennungen zu zitieren). [7]

Eine nette Idee ist jedoch das abschließende Portrait der via Appia als der via publica schlechthin (26f.). Dem Leser, der bei seinem nächsten Romurlaub einen Teil dieser "Königin der Straßen" abwandern möchte, sei unbedingt noch das Buch von A. Esch empfohlen. Leider fehlt es in der Bibliographie. [8]

Nach dem Muster des ersten Abschnitts versucht Klee auch im zweiten Teil "Der römische Straßenbau" (29-45) auf wenigen Seiten in gut lesbarer Form thematische Tiefe zu erreichen. Das Ergebnis ist wie im ersten Kapitel ein etwas unbefriedigender Text. Unerfreulich ist vor allem, dass hier das alte Lied der perfekten römischen Straßenbauer gesungen wird (29: "genialsten Straßenbaumeister"). [9] Eine lineare Erfassung des Raumes mittels ausgebauter Straßen gab es schon bei den Assyrern und Persern. Beide Reiche kannten zudem schon Distanzanzeiger an ihren Reichsstraßen. Gerade bei dem markantesten Merkmal römischer Straßen, den Meilensteinen, scheinen die Römer ihren Nutzen erst in den Kriegen gegen Philipp V. in Nordgriechenland kennen gelernt und fortan in Italien angewendet zu haben. Wie dieses Beispiel zeigt, 'veredelte' Rom auf dem Sektor des Straßenwesens eine Fülle an Inspirationen, die aus den unterworfenen Gebieten übernommen und im Regelfall ab Augustus konsequent umgesetzt wurden. Und genau darin liegt die große zivilisatorische Leistung Roms.

Dem gegenüber neigt Klee dazu, das römischen Straßennetz zu sehr von seinem Höhepunkt in der Hohen Kaiserzeit aus zu betrachten und die Entwicklung dorthin zu übergehen. Dabei hätte sie ihren Ausführungen eine erfrischende Dynamik verleihen können, wenn sie der Entfaltung der römischen Verkehrsinfrastruktur über mehrere Jahrhunderte mehr Gewicht beigemessen hätte. Mit diesem neuen Aspekt wäre ihre Arbeit auch aus dem Schatten der Darstellung von Heinz getreten. [10] Des Weiteren hätte sie so eine gute Basis geschaffen, um die Leistungen Roms im 3. Kapitel "Wegebau in schwierigem Gelände" besonders hervorzuheben (51-64). [11]

Zu den stärksten Passagen des Buches gehören die drei Abschnitte, in denen Klee auf 'alltägliche' Aspekte des römischen Straßenwesens eingeht: "Meilen- und Leugensteine an römischen Straßen" (64-77), "Straßen der Macht, Straßen der Pracht" (78-93) [12] und "Alltäglicher Betrieb auf römischen Straßen" (96-112). [13] Hier kommen die guten provinzialrömischen Kenntnisse der Autorin zum Tragen. Bedauerlicher Weise werden gerade in diesen Abschnitten Text und Bild schlecht vernetzt. Da die Abbildungen nicht durchnummeriert sind, kann im Text nicht auf sie verwiesen werden. So finden sich auf manchen Seiten Fotos, deren Erläuterungen erst auf der Folgeseite im Text zu finden sind. Ein Extrembeispiel sind die beiden Zeichnungen auf Seite 67, deren Inhalt erst auf Seite 75 thematisiert wird.

Falsche Erwartungen weckt das Kapitel "Wie fand man den richtigen Weg" (114-123). Hier geht die Autorin auf die Tabula Peutingeriana und diverse Itinerare als angebliche Hilfsmittel für Reisende ein. [14] Zwar ist es richtig, dass die Antike derartige kartenähnliche Zeichnungen besaß, jedoch hätte ein Mensch damit keine Reise von A nach B planen, geschweige denn durchführen, also seinen Weg finden können. [15]

Hier hätte sich Klee besser vom Leitzitat des Kapitels inspirieren lassen sollen: "So werde ich also bei Menturae in Richtung Arpinum abbiegen" (Cic. Att. 16,10,1). Zu verirrten oder den passenden Weg suchenden Reisenden gibt es zahlreiche literarische Zeugnisse. [16] Daraus hätte die Autorin einen wirklich spannenden Text konzipieren können.

Das letzte Kapitel ist dann mit dem Titel "Das Straßennetz in der römischen Welt" (124-137) versehen und soll offenbar einen kurzen Überblick über die Römerstraßen in den diversen Provinzen geben. [17] Das ist bei gerade 11 reinen Textseiten natürlich unmöglich, wie Klee (125) selbst eingesteht. Da sie zudem auf diesen wenigen Seiten Aspekte zur Genese des Straßenwesens anreißt, die bereits in vorangegangen Kapiteln kurz behandelt worden sind, wird man zweimal knapp, aber nirgends befriedigend informiert. Hier sollte der Verlag bei einer 2. Auflage der Autorin ein paar Seiten mehr zugestehen. Spannenden Stoff hierfür gibt es allemal.

Ein abschließendes Urteil fällt nicht leicht. Zwar bietet Klee viel Material und ansprechende Bilder, jedoch kann sie mit ihrem 'update' nicht wirklich aus dem Schatten des Straßenbuches von Werner Heinz treten, da dessen Text in sich stimmiger und auch informativer ist. [18]


Anmerkungen:

[1] Werner Heinz: Reisewege der Antike Unterwegs im Römischen Reich. Stuttgart 2003. Dieses Buch ist die zweite vollständig überarbeitete Auflage von "Straßen und Brücken im römischen Reich" von 1988, erstmals als Sondernummer der Zeitschrift 'Antiken Welt' erschienen. Alternativ steht noch das Werk von Raymond Chevallier, Les vois romaines, Paris 1997 zur Verfügung.

[2] Dies überrascht insofern, da das Buch von W. Heinz laut Homepage des Theiss Verlags noch lieferbar ist.

[3] Bei machen Bildern offenbart sich jedoch der Bezug zum Straßenwesen nicht: Ara Pacis (S. 16); Statue eines Genius aus Nida (S. 25); Massada (63). Auf dem Bild (108 oben) sucht man die Reste einer römischen Passstation vergeblich.

[4] Der heutige Straßenname Hohe Straße in Köln (11) leitet sich nicht von einem angeblich heute noch erkennbaren Straßendamm ab. 'Hohe' ist wohl vielmehr im Sinne von 'bedeutend' zu verstehen. Denn die Hohe Straße entspricht dem cardo maximus der CCAA. Die exponierte Stellung innerhalb der innerstädtischen Verkehrsinfrastruktur ist nicht nur an der qualitätvollen spätantiken Pflasterung abzulesen, sondern auch an der ununterbrochenen Bedeutung dieser Straße bis heute.

[5] Warum zitiert Klee (149) beispielsweise das 1626 in Paris erschienen Buch von Nicolas Bergier, Histoire des grands chemins de l'empire Romain, (die entscheidende 3. Aufl. Brüssel 1736 wird nur auf S. 11 erwähnt)? Zur weiterführenden Lektüre ist es ungeeignet und vor allem forschungsgeschichtlich von Interesse, weshalb der Olms-Verlag 2006 einen Nachdruck der 2. Aufl. von 1728 auf den Markt gebracht hat.

[6] Woher soll zudem ein Leser außerhalb der Eifel wissen, wo Blankenheim liegt? Man findet es auf keiner der im Buch vorhanden Karten.

[7] Störend ist die grundsätzliche Tendenz zur simplifizierenden Vereinheitlichung. Unterschiede zwischen dem italischen und provinziellen oder dem republikanischen und kaiserzeitlichen Straßenwesen kommen beispielsweise fast nicht vor. Zudem hat Klee auch keine methodischen Probleme damit, beispielsweise Ulpian und das 12-Tafel-Gesetz in einem Atemzug zu nennen.

[8] Arnold Esch: Römische Straßen in ihrer Landschaft. Das Nachleben antiker Straßen rund um Rom mit Hinweisen zur Begehung im Gelände, Mainz 1997. Vgl. ferner Ders., Wege nach Rom. Annäherung aus zehn Jahrhunderten, München 2003.

[9] Dem gegenüber kommt die 'Hochkultur Griechenland' auf S. 133 angeblich ohne ausgebautes Straßennetz aus.

[10] Zum Steckbrief der via Claudia Augusta (46-49), vor allem zur Karte auf S. 49 (ebenso auf S. 8/9) sei noch angemerkt, dass die Route des Septimius Severus über den Brenner (CIL XVII 4,1 6-29) nicht einfach zu via Claudia Augusta gerechnet werden darf. So ist ja auch die zur Entlastung der via Appia zwischen Benevent und Brundisium gebaute via Traina (CIL IX 6000-6052; ILS 452, 1035f., 1371) kein Teil der appischen Straße.

[11] Leider hat sie hier die Arbeiten von Theodor Kissel nicht berücksichtigt (Wider die Natur. Straßen erobern die Landschaft, in: Alle Wege führen nach Rom. Internationales Römerstraßenkolloquium Bonn, hrsg. vom Landschaftsverband Reinland, 2004, S. 249-264; Veluti naturae ipsius dominus. Straßen und Brücken als Ausdruck des römischen Herrschaftsanspruchs über die Natur, in: Antike Welt 33, 2002, S. 143-152).

[12] Der anschließende Steckbrief der via nova Traian (S. 94/95) vergisst, diese auf der beigegebenen Karte auch einzutragen. Gleiches gilt für ebenfalls namentlich belegte strata Diokletiana (AE 1993, 1600-1605). Hier hatte Klee den oft genutzten Artikeln im Neuen Pauly nochmals folgen können.

[13] Als Ergänzung hierzu sei noch auf den Klassiker von Ludwig Friedländer: Darstellung aus der Sittengeschichte Roms. Bd. 1, Leipzig 192210 (S. 318-390 'Das Verkehrswesen', S. 391-490 'Die Reisen der Touristen') verwiesen.

[14] Wie Klee (S. 117) darauf kommt, die Tabula sei in Worms gefunden worden, ist mir unklar. Wie H. Lieb (Zur Herkunft der Tabula Peutingeriana, in: H. Maurer (Hg.): Die Abtei Reichenau. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Inselklosters, Sigmaringen, S. 31-34.) mit guten Argumenten zeigt, stammt sie wohl aus dem Kloster der Bodeninsel Reichenau.

[15] Die auf S. 122 gebotene Karte zu den sog. Agrippa-Straßen in Gallien, zeichnet unter Nr. 3 die Route zum Atlantik falsch ein. Wie Strab. 4,6,11 C 208 klar schreibt, war Lyon für alle vier (!) Straßen der Ausgangspunkt.

[16] Diese hätte sie u.a. folgenden Werken entnehmen können: Friedländer (s. o. Anm. 13), den Tabellen über Reisegeschwindigkeiten von Anne Kolb (Transport und Nachrichtentransfer im römischen Reich, Berlin 2000), Karl-Wilhelm Weeber: Reisen. in: DNP 10, 2001, 856-866 und Herbert Graßl: Irrwege. Orientierungsprobleme im antiken Raum. in: Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hgg.): Zu Wasser und zu Land. Verkehrswese in der antiken Welt, Stuttgart 2002, S. 83-92.

[17] Schlicht falsch ist die Aussage auf S. 124 in der Bildlegende zum Ausschnitt aus Seg. V der Tabula. Die Rom-Vignette ist keinesfalls der "Mittelpunkt der gesamten Karte". Die Constantinopel-Vignette ist beispielsweise genauso groß.

[18] Zudem ist das Buch von Heinz mit 24,90 € im Gegensatz zur Version von Klee (39,90 €) auch deutlich preiswerter.

Michael Rathmann