Rezension über:

Anja Amend-Traut / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 11), München: Oldenbourg 2012, 231 S., ISBN 978-3-486-71025-0, EUR 39,80
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Rezension von:
Andreas Würgler
Historisches Institut, Universität Bern
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Würgler: Rezension von: Anja Amend-Traut / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis, München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/21331.html


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Anja Amend-Traut / Anette Baumann / Stephan Wendehorst u.a. (Hgg.): Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis

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Den Begriff "Medien" in den Titel zu setzen verspricht offenbar Aufmerksamkeit. Der vorliegende Sammelband thematisiert die höchsten Reichsgerichte als "mediales Ereignis". Allerdings wird auch in der sehr informativen Einleitung von Steffen Wunderlich nicht wirklich geklärt, was ein "mediales Ereignis" sein könnte. Der Anschluss an die Literatur über "Medienereignisse" im Sinne von Geschehen, die so große Resonanz in den zeitgenössischen (Massen)medien und einem entsprechend breiten Publikum erfuhren, dass sie zeitstrukturierend wirkten, wird nicht hergestellt. [1] Die einzelnen Autorinnen und Autoren gehen denn auch in sehr unterschiedlicher Weise auf das Rahmenthema ein.

Vier Beiträge fokussieren zwar auf die Medialität ihres Gegenstandes, ohne aber auf die Kategorie "Ereignis" Bezug zu nehmen. So sieht Thomas Dorfner in den Reichshofratsagenten ein wichtiges "Medium" für die Kommunikation der Prozessparteien mit dem Gericht, Matthias Bähr plädiert für die Brauchbarkeit der Zeugenverhöre vor dem Reichskammergericht als Quellen für die soziale Welt der Akteure, Tobias Branz untersucht den Zusammenhang von Religionsprozessen und Landfriedensbruch vor dem Reichskammergericht, und Britta Schneider widmet sich der Rolle der Familienkorrespondenz der Fugger im Rahmen ihrer reichsgerichtlichen Familienprozesse. Der Begriff "Medien" könnte in diesen Beispielen problemlos mit dem Terminus "Quellen" ersetzt werden. Zwei weitere Beiträge beantworten die Frage nach der medialen Ereignishaftigkeit negativ: Die Reichsgerichte wurden weder in Form von Abbildungen (Maria von Loewenich) noch in den Chroniken des 16. und 17. Jahrhunderts (Andreas Deutsch) stark beachtet.

Während Stefan Andreas Stodolkowitz am Beispiel des erst 1711 gegründeten kurhannoverschen Oberappellationsgerichts in Celle aufzeigt, dass die Vorbildwirkung der Reichsgerichte vor allem über die gelehrte Literatur medial vermittelt wurde, verweist Ignacio Czeguhn am Fall der spanischen Höchstgerichte auf die mediale Bedeutung der Architektur. Nach der Rückeroberung Granadas von der maurischen Herrschaft war es für die spanische Zentralmacht im 16. Jahrhundert wichtig, der örtlichen Bevölkerung die richterliche Autorität der neuen Herren durch repräsentative Bauten und opulente Prozessionen sinnlich erfahrbar zu machen.

Als wirklich "mediales Ereignis" (95) sieht Alexander Denzler die Visitation des Reichskammergerichtes 1767 bis 1776. Die besondere Brisanz liegt darin, dass die Visitationskommission eigentlich Arkana untersuchte und an Schweigegebote gebunden war, während ein großer Erwartungsdruck und Informationsbedarf in Wetzlar selbst, in den Territorien und zunehmend auch seitens einer beobachtenden Öffentlichkeit entstand. Denn die Visitation wurde publizistisch begleitet durch die Veröffentlichung von Prozessakten, durch Kommentare in Form von Flugschriften und durch Diskussionen in Zeitschriften, in denen sich unter anderem Johann Stephan Pütter, Johann Jacob Moser und Christian von Nettelbla[dt] für mehr Publizität aussprachen.

Als eigentliche "Medienereignisse" (114) stellt David Petry - wie schon in seiner Dissertation [2] - die Reichshofratsprozesse dar, die von Reichstädten in der Regierungszeit Karl VI. (1711-1740) zur Lösung innerstädtischer Konflikte angestrengt wurden. Während der eigentliche Prozess vor dem Reichshofrat in Wien ausschließlich schriftlich ablief und somit ohne spektakuläre Inszenierungen wie Audienzen, Prozessionen oder öffentliche Verhandlungen auskam, bemühten sich die kaiserlichen Lokalkommissionen vor Ort, den Kaiser und das Reich sichtbar zu machen. Dies geschah durch feierliche Begrüßungszeremonien, Teilnahme an Prozessionen, öffentlich verlesene Verkündigungen, plakatierte Mandate und repräsentatives Wohnen der Kommissionsmitglieder (116).

Zudem wurden die Prozesse nicht nur in den Nachbarterritorien und anderen Reichsstädten, sondern von einem breiten Publikum der "großen", gelehrten Reichspublizistik verfolgt (121f.). Darüber hinaus fand die Auseinandersetzung insbesondere auch in der "kleinen" Reichspublizistik der Flugschriften statt. Diese von der Forschung immer noch vernachlässigte Gattung brachte nicht nur Endurteile und gelehrte Diskussionen, sondern auch Hinweise zum Verfahren, kontroverse Argumente und praxisnahe Erfahrungen unter ein interessiertes Publikum (130f.). Diese Debatten wurden ebenso wie der Prozessverlauf selbst von etlichen Zeitungen begleitet und beschrieben, wenn auch nicht explizit kommentiert. Immerhin boten jedoch insbesondere Zeitungen aus fürstlichen Territorien den reichsstädtischen Protestparteien mitunter erstaunlich viel Platz für ihre Selbstdarstellung (123-129). Offensichtlich ließen sich Meldungen über reichsstädtische Konflikte und reichsgerichtliche Verwicklungen in Europa gut verkaufen.

Hier spiegelt sich in den Medien das, was Wilfried Schulze Ende der 1970er Jahre als "Verrechtlichung sozialer Konflikte" auf den Punkt gebracht hat und dessen mediale Aspekte in der Revoltenforschung seit den 1990er Jahren als Zusammenhang von "Unruhen und Öffentlichkeit" verhandelt wurden. [3] Die Reichsgerichtsforschung nähert sich - wie teilweise im vorliegenden Sammelband - vom Reich und den reichsgerichtlichen Prozessen her dieser öffentlichkeitswirksamen Dimension soziopolitischer Konflikte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Christine Vogel / Horst Carl / Herbert Schneider (Hgg.): Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Festschrift zum 65. Geburtstag von Rolf Reichardt, München 2009; Frank Bösch: Europäische Medienereignisse, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 12.03.2010. URL: http://www.ieg-ego.eu/boeschf-2010-de URN: urn:nbn:de:0159-20100921115 (27.08.2012).

[2] David Petry: Konfliktbewältigung als Medienereignis. Reichsstadt und Reichshofrat in der Frühen Neuzeit, Colloquia Augustana, Bd. 29, Berlin: Akademie Verlag, 2011. Vgl. Andreas Würgler: Rezension zu: Petry, David: Konfliktbewältigung als Medienereignis. Reichsstadt und Reichshofrat in der Frühen Neuzeit. Berlin 2011, in: H-Soz-u-Kult, 17.07.2012. URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-038 (27.8.2012).

[3] Vgl. den Überblick bei Peter Blickle: Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 1), 3. aktualisierte und erweiterte Auflage München 2012, 124f.

Andreas Würgler