Rezension über:

David H. Haney: When Modern Was Green. Life and Work of Landscape Architect Leberecht Migge, London / New York: Routledge 2010, XVI + 323 S., ISBN 978-0-415-56139-6, GBP 34,99
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Rezension von:
Stefan Schweizer
Institut für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Julian Jachmann
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Schweizer: Rezension von: David H. Haney: When Modern Was Green. Life and Work of Landscape Architect Leberecht Migge, London / New York: Routledge 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/21428.html


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David H. Haney: When Modern Was Green

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David Haney widmet sich in seiner exzellenten Studie dem Landschaftsarchitekten Leberecht Migge (1881-1935), der historiografisch oft zur Personifikation von Landschaftsarchitektur und Gartenkultur in der Klassischen Moderne stilisiert wurde. Der von sozialpolitischen (zunächst sozialdemokratischen, bisweilen esoterischen und zuletzt völkischen) Grundvorstellungen geleitete Landschaftsarchitekt, auf den Migge in der älteren, vor allem landschaftsarchitektonischen Forschung zumeist reduziert wurde, entpuppt sich in Haneys umfassender Analyse als eine universelle Persönlichkeit, die an biologischen und ökologischen Fragen genauso interessiert war wie an technologischen Problemlösungen. Diese Beobachtungen kommen einem Paradigmenwechsel gleich, der den Rahmen, in dem Landschaftsarchitektur, Gartenkunst und Biotechnologie historiografisch zu diskutieren wäre, erheblich erweitert.

Das Buch wird von einer klaren Struktur erschlossen, die biografische Aspekte mit den sich wandelnden Grundsätzen von Migges gartenarchitektonischem und publizistischem Wirken kombiniert. Die Problematik dieses idealtypischen Schematismus' reflektiert Haney und betont, dass es ihm um sich ablösende dominante Ideen gehe, die auf diese Weise in weit über das Feld landschaftsarchitektonischer Praxis hinausreichende zeitgeschichtlich relevante Konstellationen eingebettet werden. Die Phase zwischen 1900 und 1913, dem Erscheinungsjahr von Migges berühmtester Schrift 'Gartenkultur des 20. Jahrhunderts', verhandelt Haney unter dem Begriff 'Architektonischer Garten', die folgende Dekade bis 1924 unter dem mit Migge in der Regel verbundenen Schlagwort des 'Sozialen Gartens', das jedoch nicht von Migge stammt (und bei näherer Betrachtung semantisch unsinnig ist). Bereits zu diesen Themen kann Haney mit zahlreichen neuen Beobachtungen zu einzelnen Garten- und Parkanlagen (u.a. zu den Gärten der Architektenhäuser Bruno Tauts und Martin Elsässers sowie zum sog. Reemtsma-Park in Hamburg), aber auch zu den Migges Schriften bestimmenden Diskursen aufwarten, von der Analyse der intellektuellen oder persönlichen Beziehungen Migges zu Hermann Muthesius oder Adolf Loos und vielen anderen zu schweigen.

Unter den Leitbegriffen des 'Technologischen Gartens' (1924-1930) sowie des 'Biologischen Gartens' (1930-1935) wird die letzte Dekade von Migges Wirken klassifiziert. Die Schlüsselpublikationen zu dieser Phase, 'Jedermann Selbstversorger', stammt bereits aus dem Jahr 1918, das 'Grüne Manifest' aus dem darauffolgenden Jahr. Derartige Ungleichzeitigkeiten könnte man als Schwäche der Studie auslegen, da die Leitthemen sich eher zeitlich parallel entfalteten und damit auch zahlreiche Widersprüche, nicht zuletzt weltanschauliche, erkennbar werden lassen. Doch gerade die Herausarbeitung von Widersprüchen hat sich Haney mit seiner Perspektive zur Aufgabe gemacht. Mit den idealtypischen Leitmotiven wird die Biografie Migges zudem buchstäblich lesbar gemacht, ohne dass es zu Simplifizierungen kommt, von der die ältere Forschung bestimmt war.

Indem Haney technologische und biologische Fragen als Leitideen der letzten Lebensdekade bewertet, kennzeichnet er die biotechnischen Konzepte Migges als die zentrale Herausforderung seines Schaffens. In der Tat ging es Migge in den Siedlungsprojekten, die er etwa mit Leopold Fischer in Dessau verwirklichte, nicht in erster Linie um die Versorgung von Arbeitern mit Wohnraum, der sozialhygienischen Mindeststandards entsprach. Migge war es in Dessau-Ziebigk vielmehr darum bestellt, einen biotechnischen Kreislauf herzustellen. Dieser umfasste das Düngen des Gartens mit den in einem Dungsilo aufbereiteten Fäkalien des eigenen Trockenklos (Metroclo) sowie die Reinigung des Wassers in einer eigenen Klärgrube - eine Untergrund-Berieselung des Gartenbetts angeschlossen. Es versteht sich, dass die zur aktiven Partizipation an solchen Prozessen gezwungenen Bewohner heillos mit dem geschlossenen Konzept der Selbstversorgung überfordert waren.

Haney widmet sich an mehreren Stellen des Buches der Frage, wie die biotechnischen Konzepte Migges, die im Übrigen stark von den biotechnischen Schriften Raoul Francés beeinflusst wurden, zu bewerten seien. Einerseits eignet ihnen ein modernistisches Moment, das die technische Beherrschung natürlicher Prozesse zum Wohle des Menschen zum Ziel hat. Andererseits sind die Siedlungskonzepte zugleich völkischen Ideen von 'Blut und Boden' verpflichtet. Die Problematik, Leberecht Migge weltanschaulich zu verorten, lässt sich exemplarisch an seiner 1926 publizierten Schrift 'Deutsche Binnen-Kolonisation' ablesen. Zum einen stand sie Ideen der mittlerweile völkischen Heimatschutzbewegung nahe, zum anderen rezipierte Migge für sein symbiotisches Konzept von Garten und Haus ausgerechnet Bauten Le Corbusiers.

Der Preis dieser Zerrissenheit war hoch für Migge. 1932 bekannte er sich Martin Elsässer gegenüber in einem Brief als Anhänger nationalsozialistischer Ideale und verlor damit schlagartig den Kontakt zu seinen früheren Partnern - u.a. Bruno Taut, Ernst May und Martin Wagner. Die neuen Machthaber und ihre Unterstützer waren jedoch nicht geneigt, Migges Vergangenheit als linker Utopist zu vergessen. Von den wichtigsten Vertretern seiner Profession wurde er geschnitten, von Alwin Seifert und Max Schwarz als ehemaliges KPD-Mitglied denunziert. Noch seine letzte Veröffentlichung, 'Der Mensch und die Fäkalie', die er gemeinsam mit Ernst Fuhrmann verfasste, diente sich nationalsozialistischen Konzepten erfolglos an.

David Haney ist es gelungen, Leberecht Migge als eine auf vielen Gebieten innovative wie widersprüchliche Person zu kennzeichnen. Auf der Basis umfangreicher Quellenstudien - Haney hat Material aus neunundzwanzig (!) Archiven von Kiel bis München und von Hagen bis Leipzig zusammengetragen - versteht er es, Migges Positionen in die unterschiedlichsten Fachdiskurse und in die weltanschaulichen Konfliktfelder der Zeit einzuordnen. Ganz bewusst bleibt er bis zum Schluss des Buches bei seiner Ausgangsbeobachtung, dass es angesichts der großen Zahl an Paradoxien unmöglich sei, Migges Leben eindeutig zu kategorisieren. Man muss Haneys Zurückhaltung vor mit solchen Eindeutigkeiten einhergehenden Simplifizierungen als Verdienst anerkennen und kann das Buch getrost bereits jetzt als Standardwerk der Gartenkunstforschung bezeichnen.

Stefan Schweizer