Rezension über:

Francis Oakley: Empty Bottles of Gentilism. Kingship and the Divine in Late Antiquity and the Early Middle Ages (to 1050) (= The Emergence of Western Political Thought in the Latin Middle Ages; Vol. 1), New Haven / London: Yale University Press 2010, XIV + 306 S., ISBN 978-0-300-15538-9, GBP 25,00
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Rezension von:
Andreas Fischer
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Fischer: Rezension von: Francis Oakley: Empty Bottles of Gentilism. Kingship and the Divine in Late Antiquity and the Early Middle Ages (to 1050), New Haven / London: Yale University Press 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/17551.html


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Francis Oakley: Empty Bottles of Gentilism

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Bei der hier anzuzeigenden Publikation handelt es sich um den ersten von insgesamt drei Bänden einer Reihe, die die Entstehung des westlichen politischen Denkens im lateinischen Mittelalter zum Untersuchungsgegenstand hat. Ihr Autor, emeritierter Professor für Ideengeschichte am Williams College in Massachusetts, rückt in diesem Band das Sakralkönigtum ins Zentrum der Betrachtung und greift weit aus, um dessen Entwicklung von den hellenistischen Herrschern bis zur Auseinandersetzung von Kaiser und Papst in der Mitte des 11. Jahrhunderts zu beleuchten. Ziel ist es, anhand der als universales und globales historisches Phänomen betrachteten Institution des Königtums und seinen sakralen Zügen das westliche politische Denken in einem umfassenden Zugang zu ergründen, der auch die breitere Perspektive einer weltgeschichtlichen Betrachtung einschließt (x). Seine Studie, die der Autor als einen Beitrag zur Beantwortung der Frage versteht, wie die kulturelle Einzigartigkeit des Westens entstand, konzentriert sich dabei auf das lateinische Mittelalter, das Oakley als Keimzelle des politischen Denkens und anderer Phänomene ausmacht. Der Autor räumt in diesem Zusammenhang zwar ein, dass seine Herangehensweise, wie sie auch im Reihentitel ihren Ausdruck findet, "obviously and by intention tendentious" sei (xi). Gleichzeitig betont er aber seine Bestrebung, seine eigene, zeitgenössischem Denken verpflichtete Fragestellung durch die Einbettung der behandelten Texte und Entwicklungen in ihre Entstehungskontexte soweit wie möglich zu historisieren.

Oakley beginnt seine Darstellung mit der Kritik an der modernen Sicht auf das antike Griechenland und Rom (1-10). Deren direktes Erbe für die Nachwelt betrachtet er als vorwiegend monarchisch und nicht demokratisch geprägt (3): das Königtum als globale Erscheinung warf noch lange seinen Schatten der archaischen Vergangenheit auf die kommenden Jahrhunderte (vgl. den Titel des Prologs: "Kingship and the Long Shadow of the Archaic Past"). Diese These durchzieht das gesamte Buch, und ihr zeigt sich der Autor auch in seinen Ausführungen in den folgenden Kapiteln verpflichtet, die sich auf insgesamt zwei Großabschnitte verteilen. Zunächst wendet er sich im ersten Abschnitt nach einem knappen, bis in die Spätantike reichenden historischen Überblick den Formen des Königtums und seiner sakralen Komponenten in Ägypten und Mesopotamien, in den hellenistischen Reichen, in Rom und in Israel zu (13-63). Im Rahmen seiner dabei durchgeführten Untersuchung des Neuen Testaments kommt Oakley zu dem Schluss, dass die historische Parallele von Christi Geburt und der Herrschaft des Augustus, die von den Christen in providentieller Perspektive gedeutet wurde, insbesondere nach der Bekehrung Konstantins im 4. Jahrhundert eine christliche Umformung der archaischen Muster des Sakralkönigtums zur Folge hatte. Auf diese Weise seien, so der Autor weiter, die titelgebenden "old, empty bottles of Gentilism" (so nach Thomas Hobbes: 63) tatsächlich mit neuem christlichen Wein gefüllt worden.

Im zweiten, insgesamt sechs Kapitel umfassenden Abschnitt, der die "lange Abenddämmerung des Sakralkönigtums in der lateinischen und griechischen Christenheit" zwischen 300 und ca. 1050 thematisiert und im Titel somit erneut auf die Grundthese Oakleys verweist, skizziert der Autor nach einer knappen historischen Einleitung die Positionen der Kirchenväter und anderer Autoren der Spätantike zum Königtum und dessen sakralen Aspekten (67-142). Danach wendet sich Oakley der Entwicklung des Sakralkönigtums in den germanischen Nachfolgereichen auf dem Boden des ehemaligen Imperium Romanum zu (143-219). Auf einleitende Bemerkungen zum Auftreten des Phänomens in keltischen und germanischen Kulturen folgt die Darstellung des sich seit der Spätantike formierenden Verhältnisses von Kirche und Kaisertum, an die sich ein diachroner Überblick über die Entwicklung des Königtums und der ihm zugrundeliegenden theologischen Konzeptionen sowie ein knapper Abriss der in inhaltlicher wie in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht einzigartigen Positionen des normannischen Anonymus zum Sakralkönigtum anschließen. Im vorletzten Kapitel werden dann transpersonale Vorstellungen sowie die Romgebundenheit des Kaiser- und Königtums knapp diskutiert, ehe sich der Autor - unter Rekurs auf Thesen von Walter Ullmann und Fritz Kern - auf Formen des Konsenses und die fidelitas konzentriert. Es folgen Ausführungen zu den "feudal institutions" und ihrer Entwicklung. Hier greift seine Darstellung über den vorgegebenen zeitlichen Rahmen hinaus und schildert die Entwicklungen bis ins 13. Jahrhundert. Das neunte und letzte Kapitel dieses Abschnitts thematisiert die Entwicklung des Klerus und den Aufstieg des Papsttums. In diesem Zusammenhang zeichnet Oakley in zwei Unterabschnitten, in denen er die ideelle Ausformung des Papstamtes einerseits und den durch äußere Faktoren verursachten Wandel der Stellung des summus pontifex andererseits getrennt zu behandeln sucht, die päpstliche Geschichte bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts nach. Ein Epilog am Ende des Buches unterstreicht die weitreichenden Folgen, die der Konflikt zwischen Papst und Kaiser im 11. Jahrhundert auf die Entwicklung der sakralen Herrschaft hatte: als wahrer Kaiser konnte nun der Papst gelten (220-223). Der Anmerkungsapparat (225-264), eine Bibliographie (265-286) und ein Register, das Einträge zu Orten, Personen und Sachen verzeichnet (287-306), beschließen den Band.

Dass der Autor die Zeit des sogenannten Investiturstreits als Abschluss und zugleich Übergang hinsichtlich des Sakralkönigtums betrachtet und entsprechend die Einteilung der dreibändigen Reihe vornahm, lässt sich leicht nachvollziehen, zumal die Auswirkungen der gregorianischen Wende auf die Stellung des römisch-deutschen Königs wie auch des Papstes in der Welt bereits häufig Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen gewesen ist. Deutlich problematischer erscheint dagegen der insgesamt undifferenzierte Umgang mit dem Phänomen Sakralkönigtum: der Autor versucht bisweilen Traditionslinien neu zu etablieren, die von der Forschung in ihren Analysen verschiedener unter dem Begriff vereinter Erscheinungsformen sakral legitimierter Herrschaft wiederholt dekonstruiert wurden. Das gilt für das Fortleben älterer Bestandteile des Sakralkönigtums germanischer, keltischer, römischer oder griechischer Provenienz, aber ebenso für die eher angestrengt wirkende Verknüpfung von Argumentationsweisen in Texten wie im Fall des normannischen Anonymus (174).

Dass die aus dem Postulieren von Zusammenhängen entstehende Entdifferenzierung den Bemühungen der Forschungen der vergangenen Jahre diametral gegenübersteht und zudem ein gänzlich schematisches Bild eines Sakralkönigtums erzeugt, welches kaum noch Erkenntnisgewinn verspricht, wird anhand der Diskussion des germanischen Königtums ersichtlich. Im Zusammenhang mit der in der älteren Forschung geführten Debatte über den Charakter der monarchischen Herrschaftsform bei den germanischen gentes orientiert sich der Autor dezidiert an den Ausführungen von Otto Höfler und Karl Hauck (siehe besonders 249, Anm. 12). Leider nimmt er keinerlei Bezug zur jüngeren Forschung sowohl des deutsch- als auch des englischsprachigen Raumes [1], die sich mit beachtenswerten Argumenten gerade gegen die von den beiden genannten Wissenschaftlern vertretenen Positionen gewandt und ein differenziertes Bild sakraler Elemente des germanischen Königtums gezeichnet hat. Oakleys Ausführungen wirken demgegenüber wie der rückwärtsgewandte Versuch, seine Ausgangsthese eines in archaischer Zeit wurzelnden und lange Zeit fortlebenden Sakralkönigtums zu stützen. Konsequenterweise erscheint daher die Salbung des "de facto 'shogun-like' ruler of the Franks" (71, vgl. dazu auch 159) Pippin III., in der die Forschung inzwischen eine "postbaptismale Taufsalbung" erkennt[2], als christlicher Ersatz für die den Karolingern fehlende Geblütsheiligkeit (160). Hinterlassen solche Passagen beim Leser einen unbefriedigenden Eindruck, so wird er aus der Lektüre des Buches vor allem dort Nutzen ziehen, wo die Quellen wörtlich zitiert werden. Es bietet damit wertvolle Einblicke in die Gedankenwelt der Autoren, die den zeitgenössischen Leserschaft und der Nachwelt gleichermaßen ihre Vorstellungen vom Königtum vermittelten.


Anmerkungen:

[1] Siehe dazu die Beiträge in: Franz-Reiner Erkens (Hg.): Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde; Bd. 49), Berlin 2005 (vgl. die Besprechung http://www.sehepunkte.de/2007/03/10695.html); ferner Stefanie Dick: Der Mythos vom "germanischen" Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde; Bd. 60), Berlin 2008 (vgl. die Rezension http://www.sehepunkte.de/2010/02/16207.html); Alexander Callander Murray: Post vocantur Merohingii: Fredegar, Merovech, and 'Sacral Kingship', in: Ders. (ed.): After Rome's Fall: Narrators and Sources of Early Medieval History. Essays Presented to Walter Goffart, Toronto 1998, 121-152.

[2] Josef Semmler: Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung (= Studia humaniora. Series minor; Bd. 6), Düsseldorf 2003, 48-50.

Andreas Fischer