Rezension über:

Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 377 S., ISBN 978-3-525-30041-1, EUR 34,99
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Rezension von:
Matthias Meusch
Düsseldorf
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Meusch: Rezension von: Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/22451.html


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Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland

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Wer die hier anzuzeigende Studie gelesen hat, kann ob der aktuellen Enthüllungen über die geheimdienstliche Überwachung der Bundesbürger durch amerikanische und deutsche Geheimdienste nicht allzu erstaunt sein. Josef Foschepoth befasst sich erstmals ausführlich und auf wissenschaftlicher Grundlage mit der umfassenden Post- und Fernmeldeüberwachung in der alten Bundesrepublik Deutschland. Dargestellt werden "der politische Gegenstand der Überwachung an sich" sowie "die politischen Rahmenbedingungen und der politische Prozess der Durchsetzung politischer Überwachungsmaßnahmen im Kontext widerstreitender innenpolitischer Interessen der Westdeutschen und der hartnäckig vertretenen und durchgesetzten machtpolitischen Interessen der Westmächte" (11).

Grundvoraussetzung seiner Untersuchung ist die durch die Öffnung bislang nicht zugänglicher Geheim- und Verschlusssachen der Behörden sowohl auf Bundes- wie auch auf Länderebene stark verbreiterte Quellenbasis. Nicht nur hat die Bundesregierung 2009 beschlossen, die VS-Akten des Bundes der Jahre 1960 bis 1994 sukzessive freizugeben. Über Einzelgenehmigungen konnte der Autor zudem die VS-Akten von Bundes- und Landesbehörden einsehen, wobei jedoch die Geheimdienstakten auf Bundesebene weiterhin verschlossen bleiben. Dies wiederum bedingt, dass die neuerdings breite Quellenbasis bislang nur die Jahre bis 1968 abdeckt, als auf der Grundlage einer neuen Gesetzgebung die Geheimdienste die alleinige Verantwortung für die Post- und Fernmeldeüberwachung übernahmen. Für die Zeit nach 1968 stützt sich Foschepoth vorwiegend auf "Quellen, die jedermann verfügbar, aber bislang in ihrer Bedeutung nicht wahrgenommen worden sind" (16), darunter in hohem Maße auch Presseveröffentlichungen.

Foschepoth geht im Wesentlichen chronologisch vor. Auf ein einleitendes Kapitel zu Forschungsgegenstand, Quellenlage und Fragestellungen folgt jeweils in einem eigenen Hauptkapitel die Darstellung der Überwachungspraxis bis 1968, zum einen durch die Westmächte, dann durch die Bundesrepublik. Diese Gliederung birgt ein Problem der Studie. Da die Überwachungsaktivitäten und -apparate der Westmächte und der Deutschen eng miteinander verwoben waren, führt die Entscheidung für zwei getrennte Kapitel unweigerlich zu einer Reihe inhaltlicher Redundanzen. So wird der gleiche Sachverhalt mitunter zweimal mit ähnlichem Wortlaut und sogar wortidentischen Zitaten geschildert, was beim Leser im günstigen Fall eine gewisse Ermüdung, aber auch leichte Verärgerung hervorruft. Jedem Hauptkapitel ist eine kurze Einleitung mit einem Fragenkatalog vorangestellt. Dadurch erhält die Untersuchung den Charakter eines Studien- oder Lehrbuchs, so dass es durchaus möglich ist, auch einzelne Kapitel für sich zu lesen.

Nach einem Exkurs über die Abhöraffäre 1963/1964 wendet sich Foschepoth der Neuregelung der Überwachung im Jahr 1968 und dann in einem weiteren Kapitel der Überwachungspraxis bis 1989 zu, wobei in einem Unterkapitel auch die Praxis in der DDR beleuchtet wird. Den Abschluss bilden ein zusammenfassendes Resümee sowie eine 80 Seiten umfassende Quellen-Dokumentation. Dieser Quellenteil stellt für den Autor einen wesentlichen Teil des Buches dar. Zahlreiche der im Text genannten Quellen (Gesetzestexte, Korrespondenzen, Verträge, Abkommen, Gerichtsurteile) werden - meist in Auszügen - dokumentiert, so dass der Leser sich zumindest für eine erste Beurteilung ein eigenes Bild machen kann, ohne gleich Archive und Bibliotheken aufsuchen zu müssen. Aufschlussreich wäre gewesen, wenn Foschepoth die "neuen" Quellen, also die bislang unter Verschluss gebliebenen Unterlagen, entsprechend gekennzeichnet hätte. Dies geschieht mitunter, aber leider nicht systematisch.

Post- und Fernmeldeüberwachung bedeutete das Abhören von Telefonaten, des Telegrafen- und Fernschreibverkehrs, sowie das Öffnen und die Beschlagnahme von Postsendungen aus der DDR sowohl als Einzelmaßnahme wie auch im Rahmen einer strategisch-allgemeinen Überwachung. Von 1949 bis Anfang der 1970er Jahre wurden über 100 Millionen Postsendungen geöffnet, beschlagnahmt und vernichtet. Hinsichtlich der Menge der abgehörten Telefonate nennt Foschepoth die auf Grundlage einer Hochrechnung ermittelte beachtliche Zahl von ca. fünf Millionen pro Jahr. Zwischen 1955 und 1968 sei dies auf Grundlage der in den Pariser Verträgen festgeschriebenen alliierten Vorbehaltsrechte sowie des geheimen Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut von 1959 geschehen, die die Souveränität der Bundesrepublik entgegen den Verlautbarungen Adenauers und anderer auch nach 1955 noch erheblich eingeschränkt hätten. Die Beteiligung deutscher Stellen, der Justiz, der Post und des Zolls, habe jedoch jeglicher rechtlicher Grundlage entbehrt, so dass sie letztlich verfassungswidrig gewesen sei. Foschepoth spricht hier von einer "geschmeidigen Verwaltung" (99) und "wirre[n], selbst vom zuständigen Minister nicht zu verstehende[n] juristische[n] Konstruktionen aus immer wieder neu zu interpretierenden Verträgen, geheimen Zusatzvereinbarungen, Absprachen, Richtlinien und Verordnungen" (155).

Ausführlich beschreibt der Autor nicht nur die genaue Durchführung der Post- und Fernmeldeüberwachung, sondern auch die Motivlagen auf alliierter und deutscher Seite. Für die Westmächte habe sie das wichtigste Element der "doppelten Eindämmung" dargestellt, also der Kontrolle einer wieder erstarkenden Bundesrepublik auf der einen sowie der Abwehr eines expansiven sowjetischen Kommunismus auf der anderen Seite. Dabei sei die Bundesrepublik hier als "antikommunistischer Frontstaat des Westens" (263) sowohl Objekt der Alliierten wie auch handelndes Subjekt gewesen. Die Westmächte und deutsche Behörden hätten von Anfang an Hand in Hand gearbeitet. Die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs habe, so eine der zentralen Thesen des Buches, einen "wesentliche[n] strukturbildende[n] Teil des historischen Prozesses der Weststaatsbildung der Bundesrepublik Deutschland" dargestellt (262). Sowohl das quantitative als auch das qualitative Ausmaß der über Jahrzehnte durchgeführten Überwachungspraxis setzen den Leser Seite um Seite ins Erstaunen, fügen sich aber ein in das bekannte Bild einer von rigidem Antikommunismus geprägten Politik in den ersten zwei Jahrzehnten der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Für umso erstaunlicher hält Foschepoth die Entwicklung nach 1968, einer Phase der bundesrepublikanischen Geschichte, die bislang fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt fortschreitender Demokratisierung und Liberalisierung interpretiert werde. Die durch die Große Koalition zusammen mit den Notstandsgesetzen verabschiedete G10-Gesetzgebung habe die Post- und Fernmeldeüberwachung auf eine gesetzliche, wenn auch verfassungsrechtlich bedenkliche Grundlage gestellt. Die Pointe von Foschepoths Darstellung liegt schließlich darin, dass jenes die alliierten Vorbehaltsrechte mitbegründende Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut bis heute Bestand habe, die Bundesrepublik also auch nach der Wiedervereinigung und dem 2+4-Vertrag nach wie vor nicht vollständig souverän sei.

Zunehmend schiebt sich in der Studie die Frage nach dem Verhältnis von demokratischem Rechtsstaat und geheimdienstlicher Tätigkeit in den Vordergrund. Wie viel Überwachung der eigenen Bevölkerung zur Abwehr von Gefahren für die Demokratie darf sich ein Rechtstaat leisten, wie umfassend kann die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste überhaupt sein? Wenn Foschepoth konstatiert, die Staatsräson habe den Rechtsstaat kontinuierlich untergraben, so ist dies als Ergebnis seiner Forschungen nachvollziehbar, hätte aber doch einer tieferen Diskussion bedurft.[1]

Es ist das große Verdienst dieser wichtigen Studie, der bislang meist einseitig als "success story" interpretierten Geschichte des westdeutschen Staates ein neues Problemfeld hinzugefügt zu haben, das weitergehender Untersuchungen und Analysen bedarf. Es wird deutlich, dass das Thema "Überwachung" kein Alleinstellungsmerkmal der DDR war, sondern auch in der Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielte. Dies gibt Veranlassung, die Dichotomie des westdeutschen Rechts- und des ostdeutschen Unrechtsstaats eingehender zu problematisieren. Man darf gespannt sein, welche weiteren neuen Erkenntnisse die hoffentlich fortschreitende Öffnung der VS- und Geheimarchive in der Bundesrepublik zukünftig zu Tage treten lassen wird.


Anmerkung:

[1] Ausgewogener ist hier Josef Foschepoth: "Staatsschutz und Grundrechte in der Adenauerzeit", in: Jens Niederhut / Uwe Zuber (Hgg.): Geheimschutz transparent? Verschlusssachen in staatlichen Archiven, Essen 2010, 27-58.

Matthias Meusch