Rezension über:

Guy Thewes: Stände, Staat und Militär. Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden 1715-1795 (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts; Bd. 14), Wien: Böhlau 2012, 391 S., ISBN 978-3-205-78843-0, EUR 39,00
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Rezension von:
Bernhard R. Kroener
Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard R. Kroener: Rezension von: Guy Thewes: Stände, Staat und Militär. Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden 1715-1795, Wien: Böhlau 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/25370.html


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Guy Thewes: Stände, Staat und Militär

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Die nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges an die Habsburgermonarchie gefallenen "belgischen Provinzen" umfassten ein Territorium von erheblicher geostrategischer Bedeutung. Im Schnittpunkt der politischen Interessen der Seemächte und Österreichs einerseits und Frankreichs andererseits bildete die wirtschaftlich prosperierende Küste und ihr Hinterland nicht erst seit dem Beginn der Neuzeit und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das "Schlachtfeld Europas".

Die an der Universität Luxemburg entstandene Dissertation widmet sich vor diesem Hintergrund der Finanzierung und Versorgung der während der österreichischen Herrschaft zwischen 1715 und 1795 in diesem Gebiet stationierten und der durchmarschierenden Truppen. Sie nimmt damit einen bisher vernachlässigten Forschungsgegenstand in den Blick, denn die Militärgeschichte war über lange Zeit ein Stiefkind der Geschichtswissenschaft und die klassische Kriegsgeschichte vermied eine Beschäftigung mit dem für die Konstruktion militärischer Traditionsstiftung scheinbar unergiebigen Gebiet der Logistik.

Guy Thewes gliedert seine Arbeit in acht Abschnitte, die, thematisch klug angelegt, einen Bogen schlagen von der besonderen Situation der Österreichischen Niederlande im 18. Jahrhundert bis zu der die Forschung in den letzten Jahren intensiver beschäftigenden Frage nach der Kooperation von landesherrlichen und landständischen Verwaltungseinrichtungen in Bezug auf die sensiblen Sektoren der Rekrutierung und Heeresversorgung.

Der Verfasser versteht seine Untersuchung als einen strukturgeschichtlich angelegen Beitrag zur Landesgeschichte der südlichen Niederlande unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in der Provinz Luxemburg. Wenngleich nicht dezidiert, oder mit wesentlich neuen Erkenntnissen, fügt sich seine Arbeit in die gegenwärtige Diskussion um eine Neubewertung und inhaltliche Schärfung der Forschungsfelder 'Military Revolution' und 'fiscal-military state' ein.

Die Niederlande bildeten unter habsburgischer Herrschaft vom jeweiligen Kernland räumlich getrennte, weit abgelegene Provinzen, deren innere Verhältnisse von einem ausgeprägten Eigenbewusstsein ihrer Eliten geprägt gewesen waren. Die Verteidigung gegen den Dauerrivalen Frankreich war geostrategisch schwierig und kostspielig. Thewes vermag deutlich zu machen, dass diese 'Achillesferse' aufgrund ihrer strategischen Bedeutung, aber mehr noch wegen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Monarchie teuer gewesen ist, was nicht zuletzt auch in den ins Auge gefassten Tauschobjekten zum Ausdruck kommt.

Die Sicherung des Herrschaftsgebietes durch einen ausgedehnten Festungsgürtel als Antwort auf den 'pré carré' Vaubans verschlang immense Summen und band eine größere Anzahl Truppen. Die Arbeit widmet dem Schicksal der Barrierefestungen im 18. Jahrhundert, ihrem Bedeutungsverlust in der Entwicklung vom Belagerungs- zum Bewegungskrieg und von der Magazinversorgung zum Requisitionssystem ein eigenes Kapitel.

Im Mittelpunkt stehen aber die Rekrutierung, die Heeresverwaltung, das Finanzwesen und das Verpflegungssystem der österreichischen Truppen in den Niederlanden während des Österreichischen Erbfolgekrieges und der französischen Besetzung, in der langen Friedenszeit nach dem renversement des alliances und schließlich während der inneren Unruhen am Ausgang des Ancien Régime in den Revolutionskriegen. Damit lassen sich, bezogen auf ein begrenztes Territorium, die logistischen Herausforderungen in fast allen denkbaren Szenarien der Frühen Neuzeit anschaulich vorführen. Angesichts der sehr komplexen, mit Blick etwa auf das Finanzsystem und die privaten Vertragsverhältnisse mit Heeresunternehmern sperrigen und quellenmäßig disparaten Materie, fallen die interpretatorischen Mängel der Darstellung nicht so sehr ins Gewicht, sind hier aber zumindest exemplarisch anzusprechen.

Das Phänomen der Desertion etwa ist mit dem in der Regel mit dem Deutungsinhalt des 19. Jahrhunderts unterlegten Begriff der 'Fahnenflucht' nicht zureichend zu erklären. Der Soldat des 18. Jahrhunderts lebte gleichzeitig in verschiedenen Lebenswelten, die einen Schwerpunktwechsel seiner Existenz ermöglichten, der keineswegs gesellschaftlich stigmatisierend empfunden wurde. In diesem Zusammenhang vermisst man eine Darstellung der spezifischen Lebensverhältnisse der Soldaten, die Auswirkungen auf das militärische Verwaltungshandeln besaßen. Diese betrifft das Heiratsverhalten und die Soldatenfamilien ebenso, wie etwa den Nebenerwerb und die Unterbringung des Soldaten in Bürgerquartieren.

Besonderes Interesse können die letzten beiden Abschnitte der Arbeit beanspruchen, in denen der Autor den Erscheinungsformen von Kooperation und Konflikt zwischen den landesherrlichen Verwaltungsbehörden und den Landständen in Bezug auf den Unterhalt der Truppen nachgeht. Die ältere Vorstellung von einer zunehmenden Marginalisierung der Stände im Verlauf des 18. Jahrhunderts wird von Thewes nachdrücklich korrigiert. Das Militär als das zentrale Instrument zur Herrschaftssicherung war hinsichtlich seiner Finanzierung und Versorgung maßgeblich von der Mitwirkung intermediärer Gewalten abhängig. Während die Fourage- und Lebensmittelversorgung weitgehend in privater Hand blieb, mussten die Stände in Krisenzeiten und bei Versorgungsengpässen in die Bresche springen. Ihre intime Kenntnis der wirtschaftlichen Lage ihrer Provinz machte sie zu unentbehrlichen Partnern der Zentralbehörden. Sie verfügten über personale Netzwerke, die in enger Abstimmung mit auf Dauer angelegten ständigen Verwaltungseinrichtungen die Interessen des Landes zu wahren suchten. Die unterschiedliche Interessenlage begünstigte ein wechselseitiges Misstrauen, das in eine sich verstärkende Kontrolle ständischen Mithandelns einmündete. Dadurch wurden sie gleichzeitig in das Institutionengefüge integriert.

Am Beispiel der Provinz Luxemburg wird diese Konstruktion von Kooperation und Kontrolle exemplifiziert. Mit Blick auf die Brabanter Unruhen, an denen die ländlich geprägte, wirtschaftlich schwache Provinz nicht beteiligt war, wird deutlich, dass die Verhältnisse in Luxemburg nicht ohne weiteres auf die anderen Provinzen der österreichischen Niederlande übertragen werden können. Die Arbeit kann somit auch als Anregung für weiterführende regionalgeschichtliche Forschungen dienen.

An dieser Stelle ist aber auch auf eine bedauerliche methodische Engführung zu verweisen, die möglicherweise einer begrenzten landesgeschichtlichen Orientierung zuzuschreiben ist. Die jüngere militärhistorische Forschung hat eine Fülle von Untersuchungen hervorgebracht, die zumindest eine begrenzt vergleichende Betrachtung begünstigen würden. Auf diese Weise wäre der Nachweis zu führen gewesen, dass es sich bei der ständischen Mitwirkung auf dem Gebiet der Heeresfinanzierung, Rekrutierung und Versorgung um eine in der Staatenwelt des europäischen Ancien Régime, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität, häufiger betriebene Praxis gehandelt hat.

Die Arbeit ruht auf einem breiten Quellenfundament, wobei die Zahl der Aktenstücke nichtmilitärischer Provenienz die der Militärbehörden deutlich übertrifft. Das Militär war im 18. Jahrhundert kein von der Gesellschaft weitgehend geschiedener sozialer Körper, sondern eine in allen Lebensbereichen frühmoderner Herrschaft präsente Lebensform.

Die Dissertation von Guy Thewes liefert in regionaler Perspektive grundlegende Aussagen über den Umfang und die Bedeutung ständischer Mitwirkung im Rahmen der Heeresaufbringung und des Heeresunterhaltes und damit einen weiteren Beitrag zu einer kritischen Auseinandersetzung über Formen und Grenzen frühneuzeitlicher Staatsbildung.

Bernhard R. Kroener