sehepunkte 17 (2017), Nr. 10

Markus Hirte (Hg.): "Mit dem Schwert oder festem Glauben"

Zum 500. Jubiläum werden nicht nur die Reformation und ihre weitreichenden Auswirkungen, sondern auch Martin Luther in seinen verschiedenen Facetten und Kontexten "neu" zu beleuchten versucht. Das Mittelalterliche Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber hat diese Gelegenheit ergriffen und widmet dem Reformator und seiner Zeit unter dem Titel "Luther und die Hexen" seit dem 1. Mai 2016 bis Ende 2018 eine große Sonderausstellung mit 120 Exponaten, die vom zu besprechenden Katalog begleitet wird. In ihm befassen sich neben dem Herausgeber weitere sechs Autoren mit dem Themenkomplex und nähern sich ihm auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

Neu ist daran jedoch kaum etwas. Dass Luther von der Existenz von Hexen überzeugt war und sich mehrmals, wenn auch teils widersprüchlich zum Umgang mit ihnen äußerte, ist bekannt. Aufgrund seiner ambivalenten Haltung zu Hexen und Hexenglauben konnten sich sowohl Verfolgungsgegner als auch -befürworter auf ihn berufen. Jörg Haustein hat die Thematik bereits vor fast drei Jahrzehnten ausführlich monographisch dargestellt. [1] Freilich hat dieser Umstand - ebenso wie das Bild Luthers als Antisemit - bis in die Gegenwart kaum etwas von seiner Attraktivität gerade auf wissenschaftsfernere Leserkreise eingebüßt, wenngleich die Untersuchungen zu diesem Gegenstand mit Luthers Tischreden und seinen Predigten stets auf die gleichen Quellen rekurrieren. So tun es auch die Autoren des vorliegenden Bandes, betrachten das Verhältnis von "Luther und den Hexen" darüber hinaus aber in einem zeitlich und räumlich äußerst elastischen Rahmen.

Markus Hirte bietet in seinem ausführlichen Eingangsbeitrag (9-84) einen Überblick über frühneuzeitliche Hexereivorstellungen, rechtliche Grundlagen des Prozesses und - davon weitgehend losgelöst - zu Luther, seinem Leben und Schaffen generell. Den kirchenpolitischen Großereignissen der Konzilien von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449) schreibt der Autor eine besondere Rolle bei der europaweiten Verbreitung des Hexenglaubens zu Beginn der Neuzeit zu. Der Beitrag ist, dem Katalogcharakter entsprechend, reich bebildert, wenngleich sich dem Leser an manchen Stellen die Relevanz der Abbildungen für das Thema des Bandes nicht erschließt und auch die Text-Bild-Verweise streckenweise inhaltlich keinen Sinn ergeben (50-53, 58, 67, 79). Die von Hirte erläuterten bekannten fünf Elemente des kumulierten Hexereidelikts werden - ebenso wie der Topos von Luthers hexengeplagter Mutter - auch von den weiteren Beiträgen aufgegriffen (Jerouschek 114, Koch/Dorn-Haag 196), woraus sich teils umfangreiche Redundanzen ergeben. Der größte Kritikpunkt an Hirtes Einführungsteil aber gilt seiner Handhabung von Nachweisen, auf die er gänzlich verzichtet, was seinen Text aus wissenschaftlicher Sicht problematisch bis unbrauchbar macht - eine Manier, der sich die Folgebeträge glücklicherweise nicht anschließen.

Frühen Hexenschriften widmet sich Wolfgang Schild anhand von sechs Traktaten, die allesamt in den beiden Jahrzehnten zwischen 1430 und 1450, also weit vor Luther entstanden. Den Begriff der sortilegi erklärt der Autor bei dieser Gelegenheit gleich mehrmals (85, 89, 101, 102). Heinz Schilling fasst in seinem dreiseitigen Beitrag Feststellungen zusammen, die sich bereits einleitend bei Hirte - und nicht nur dort - finden: Für Luther gehörten Gott und der Teufel, Dämonen und Hexen zur alltäglichen Lebensrealität. Ein Hexenjäger war der Reformator dennoch nicht. Vielmehr schwankte seine Haltung, die einer systematischen Hexentheorie entbehrte, situativ zwischen unnachgiebiger Verfolgung einerseits und Bekehrung und Glaubensstärke andererseits (Bandtitel). Günter Jerouschek meint anschließend "gewisse Züge in Luthers Wesen" auszumachen, die an keinen Geringeren als an Adolf Hitler erinnerten und stellt die Frage, "ob nicht die Luther zuteil gewordene Bewunderung zugleich die Anerkennung des nachmaligen 'Führers' vorbereitet" habe (111). Diese These steht Wolfgang Beutins Beitrag, der eine tiefenpsychologische Analyse der Persönlichkeit des angeblich mit dem Ödipus-Komplex behafteten Martin Luther (159) versucht, in nichts nach. Sein 53-seitiger Beitrag kommt auf den ersten dreißig Seiten vollständig ohne das Wort "Hexe" aus, mit dem er sich ausführlich sogar erst weitere 14 Seiten später auseinandersetzt. Der brisanteste Anteil an Luthers Psyche, so Jerouschek, sei sein Vaterhass gewesen (163), den er nach außen, auf Papst und Teufel projiziert habe.

Gänzlich vom Thema ab wenden sich auch die letzten beiden Beiträge von Alison Rowlands zum Umgang mit Hexereivorwürfen in der Stadt Rothenburg ob der Tauber, dem Standort des die mit dem Katalog korrespondierenden Ausstellung ausrichtenden Kriminalmuseums, im Zeitraum zwischen 1550 und 1750 (und somit erst nach Luthers Tod), sowie von Arnd Koch und Verena J. Dorn-Haag, die die juristische Kritik an den Hexenverfolgungen aufarbeiten, die freilich erst mit den großen Verfolgungen seit Ende des 16. Jahrhunderts und somit ebenso nach Luther einsetzen konnte. Wenn dies auch mit Luther wenig zu tun hat, räumen Koch und Dorn-Haag mit gängigen Vorurteilen über die Hexenverfolgungen und deren zeitlichen, quantitativen und konfessionellen Rahmen, zu Opfergruppen, Geschlechterverteilung, Motivationen sowie mit Zweifeln an deren prozessualer Rechtmäßigkeit auf.

Bezüglich des Basiswissens zu Hexenglauben und -verfolgungen, etwa zu Opferzahlen und Frauenanteil (61) sowie der Perspektivenweitung von monokausalen Erklärungsmustern hin zu einem ganzen Bündel an Faktoren befinden sich Hirte und seine Koautoren weitestgehend auf der Höhe der Zeit. An mancher Stelle werden allerdings inzwischen überholte Forschungspositionen kolportiert, wenn die fränkischen Fürstbischöfe etwa pauschal "zu den größten Hexenverfolgern im ganzen Reich" gezählt (79) oder fehlerhafte Äußerungen der bisherigen Forschung (Gleichsetzung des Teufelsbündnisses mit "Idolaterie" [sic!]; 197) unkritisch übernommen und zusätzlich noch orthographisch verfälscht werden. [2] Zudem fällt die thematische wie quantitative Unausgewogenheit der im Band ohne erkennbare Abstimmung zusammengewürfelten Beiträge auf. Statt einer innovativen Auseinandersetzung mit zwei aktuellen Forschungsgegenständen scheint hier der Versuch unternommen worden zu sein, auf den Zug des Reformationsjubiläums aufzuspringen und durch die Hinzunahme des Reizthemas "Hexenverfolgung" an der allgemeinen Aufmerksamkeit des Jahres 2017 für die Reformation und den Reformator zu partizipieren. Was der Bandtitel verspricht, halten die einzelnen Beiträge nur bedingt, indem sie sich meist auf nur einen der beiden Titelbegriffe konzentrieren und dabei über weite Strecken lediglich Althergebrachtes wiederholen. Unbenommen des Reizes und der Berechtigung der Zugangsweisen der einzelnen Aufsätze verdient der Erstlingsband der Rothenburger Katalogreihe den von ihm beanspruchten Titel "Luther und die Hexen" daher nicht. Angesichts der in ihm enthaltenen Aufsätze ist dieser eher als irreführend zu bezeichnen. Seinen Nachfolgern kann man nur mehr wissenschaftliche Kohärenz wünschen.


Anmerkungen:

[1] Jörg Haustein: Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen. Stuttgart 1990.

[2] Walter Rummel / Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2012, 4.

Rezension über:

Markus Hirte (Hg.): "Mit dem Schwert oder festem Glauben". Luther und die Hexen (= Kataloge des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber; Bd. 1), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017, 224 S., 184 Abb., ISBN 978-3-8062-3451-0, EUR 19,95

Rezension von:
Andreas Flurschütz da Cruz
Universität Bamberg
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Flurschütz da Cruz: Rezension von: Markus Hirte (Hg.): "Mit dem Schwert oder festem Glauben". Luther und die Hexen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de/2017/10/30106.html


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