Rezension über:

Annemone Christians: Tinte und Blech. Eine Pilotstudie zu Fritz Beindorff (1860-1944) und den Günther Wagner Pelikan-Werken im Nationalsozialismus, Hannover: Leuenhagen & Paris 2018, 119 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-945497-06-7, EUR 24,99
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Rezension von:
Johannes Bähr
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bähr: Rezension von: Annemone Christians: Tinte und Blech. Eine Pilotstudie zu Fritz Beindorff (1860-1944) und den Günther Wagner Pelikan-Werken im Nationalsozialismus, Hannover: Leuenhagen & Paris 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 7/8 [15.07.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/07/31795.html


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Annemone Christians: Tinte und Blech

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Wie viele Studien über Unternehmen und Unternehmer im "Dritten Reich" verdankt auch dieses Buch seine Entstehung einem erinnerungspolitischen Diskurs. In Hannover sorgte es für einiges Aufsehen als der Beirat des kommunalen Projekts "Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten" eine Umbenennung der Fritz-Beindorff-Allee im Stadtbezirk Vahrenwald-List empfahl. Handelt es sich bei dem Namensgeber doch um einen vielfach geehrten Unternehmer und Mäzen, unter dessen Leitung die Günther Wagner Pelikan-Werke (heute Pelikan AG) zu einer Weltmarke aufgestiegen sind. Der Beirat plädierte für eine Umbenennung der Straße, obwohl Fritz Beindorff nicht der NSDAP angehört hatte, da dieser durch die Duldung von Zwangsarbeiter- und Arbeitserziehungslagern auf dem Firmengelände an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen sei. Dem hielt die Pelikan AG entgegen, dass Belege für eine persönliche Schuld fehlten. Das Unternehmen bestand auf einer Klärung der Rolle Beindorffs in der Zeit des Nationalsozialismus und beauftragte das Münchner Institut für Zeitgeschichte mit der Erstellung einer Quellenstudie, auf die eine umfassende Untersuchung folgen sollte.

Die Pilotstudie liegt nun in Form dieses überaus reich illustrierten Bandes vor. Das ungewöhnliche Vorgehen, eine Voruntersuchung als Monografie zu veröffentlichen, ist nicht nur dem Interesse des Auftraggebers an einer raschen und öffentlichkeitswirksamen Aufklärung geschuldet. Die Verfasserin musste bei den Recherchen auch feststellen, dass die Quellenlage eine umfangreiche Studie über Fritz Beindorff als "wenig aussichtsreich" (108) erscheinen lässt. Dementsprechend bleiben in "Tinte und Blech" viele Fragen offen. Gleichwohl bietet der Band eine lesenswerte biografische Skizze und einen Überblick über die Entwicklung dieses Unternehmens in der NS-Zeit.

Die Verdienste Fritz Beindorffs, die Annemone Christians im biografischen Teil herausarbeitet, sind unstrittig. Der Unternehmer leitete die Firma Günther Wagner mehr als vier Jahrzehnte lang, er brachte die Farben- und Tintenfabrik auf Expansionskurs, ließ in Hannover ein neues Stammwerk errichten, weitete das internationale Geschäft aus und führte vorbildliche betriebliche Sozialleistungen ein. Durch Neuerungen wie den Pelikan-Füllhalter und den Deckfarbenkasten wurde das Unternehmen zu einer Kultmarke. Schon frühzeitig trat Beindorff auch als Förderer der künstlichen Avantgarde hervor. Er gehörte zu den Gründern der Kestnergesellschaft; Pioniere des Grafikdesigns wie El Lissitzky, Kurt Schwitters und Lucian Bernhard arbeiteten für die Pelikan-Werbung.

Politische Äußerungen sind von Beindorff bis 1932 nicht überliefert. Dass er dann zu den Unterzeichnern der "Industrielleneingabe" gehörte, in der Hindenburg ersucht wurde, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, dürfte sich aus der Verbindung zu Ewald Hecker erklären, dem damaligen Präsidenten der Hannoveraner Industrie- und Handelskammer, der zum inneren Zirkel des "Keppler-Kreises" aus NSDAP-nahen Unternehmern gehörte. Obwohl Beindorff weder 1933 noch später in die NSDAP eintrat, bescheinigt ihm Christians eine ausgeprägte "Identifikation mit dem Regime" (62). Ein Schlüsseldokument für diese Beurteilung ist der "Lebensbericht", den der Industrielle 1943/44, kurz vor seinem Tod, verfasst hat. Darin bekannte er, "von der Größe Adolf Hitlers überzeugt" zu sein (61), seit er im Dezember 1936 eine Rede des "Führers" vor Vertretern der Wirtschaft aus nächster Nähe erlebt hatte. Stichhaltige Belege für eine nationalsozialistische Gesinnung Beindorffs konnte Christians nicht finden. Dass das 100-jährige Firmenjubiläum 1938 mit nationalsozialistischer Symbolik inszeniert wurde, entsprach den üblichen Ritualen. Das Bekenntnis des Pelikan-Chefs zur "Gemeinschaft der Schaffenden" (26) verweist zwar auf eine Affinität zur NS-Ideologie, aber nicht auf eine Deckungsgleichheit. Eine "weitgehende Übereinstimmung" mit Hitlers wirtschaftspolitischen Entscheidungen (62), wird angenommen, aber nicht konkret belegt. Nicht klären ließ sich, inwieweit die aus dem Stammwerk hervorgegangenen Verpackungswerke an "Arisierungen" in den besetzten Ländern beteiligt waren. Lediglich bei der Übernahme eines Werks in Warschau muss dies als wahrscheinlich gelten. Beindorffs Verhalten gegenüber rassisch und politisch verfolgten Mitarbeitern ist nur für einen ausgesprochen untypischen Fall belegt. Dass er einem Enkel des jüdischen Industriellen Siegmund Seligmann zu einer Position in Argentinien verhalf, dürfte aus persönlicher Loyalität gegenüber der Familie eines verstorbenen Geschäftsfreundes erfolgt sein.

Überzeugend gelingt es Christians, die Einbindung des Unternehmens in die Kriegswirtschaft herauszuarbeiten. Da Schreibgeräte als nicht kriegswichtig galten, verlagerte sich der Schwerpunkt der Fertigung auf die Günther Wagner Verpackungswerke, die Blechwaren und vermutlich auch Patronenhülsen produzierten. Ab Ende 1940 wurde hier eine wachsende Zahl von Zwangsarbeitern eingesetzt, bis Ende 1943 stieg ihr Anteil an den Beschäftigten auf rund ein Drittel. Schon aus der Studie von Janet Anschütz und Irmtraud Heike über Zwangsarbeit in Hannover ist bekannt, dass in den Räumen dieses Werks 1942 ein Arbeitserziehungslager errichtet wurde und zwei Jahre später im Stammwerk ein weiteres derartiges Lager entstand. [1] Die Arbeitserziehungslager unterstanden der SS, das Wachpersonal bestand aber auch aus Firmenmitarbeitern. Ob Beindorff von den Verbrechen in diesen Straflagern wusste, kann nur gemutmaßt werden, einen Beleg gibt es nicht. Der Unternehmer hatte die Leitung der Firma 1939 im Alter von 79 Jahren an seinen Sohn Günther abgegeben, stand dann bis wenige Monate vor seinem Tod im Juni 1944 an der Spitze des Aufsichtsrats, lebte zuletzt aber vorwiegend auf seinem Gut bei Gifhorn.

Auch wenn die Quellenlage kein umfassendes Bild zulässt, hat diese Studie einen Beitrag zur Aufklärung geleistet. Der zuständige, rotgrün regierte Bezirksrat Vahrenwald-List hat sich nach Erscheinen des Buchs gegen eine Umbenennung der Fritz-Beindorff-Allee entschieden. Für die zeit- und unternehmenshistorische Forschung bleibt freilich das grundsätzliche Problem, dass die Öffentlichkeit eine eindeutige Kategorisierung erwartet, wie sie sich aus den Quellen selbst bei einer dichten Überlieferung nur selten entnehmen lässt. Grautöne und Widersprüche sind in Straßenumbenennungsdiskussionen nicht zu vermitteln, doch sie bestimmten auch Fritz Beindorffs Verhalten im "Dritten Reich".


Anmerkung:

[1] Janet Anschütz / Irmtraud Heike: Feinde im eigenen Land. Zwangsarbeit in Hannover im Zweiten Weltkrieg. 2. Auflage, Bielefeld 2000, 167 u. 228.

Johannes Bähr