Rezension über:

Jacques van der Vliet: The Christian Epigraphy of Egypt and Nubia (= Variorum Collected Studies Series), London / New York: Routledge 2018, XXV + 437 S., 38 s/w-Abb., ISBN 978-0-8153-5429-1, EUR 130,00
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Rezension von:
Francis Breyer
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Francis Breyer: Rezension von: Jacques van der Vliet: The Christian Epigraphy of Egypt and Nubia, London / New York: Routledge 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 7/8 [15.07.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/07/32028.html


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Jacques van der Vliet: The Christian Epigraphy of Egypt and Nubia

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Der vorliegende Band mit dem Titel "The Christian Epigraphy of Egypt and Nubie" ist eine Sammlung von Aufsätzen, die der Ägyptologe und Koptologe Jacques van der Vliet zwischen 1998 und 2015 teilweise zusammen mit anderen Autoren in verschiedenen Sammelbänden und Zeitschriften veröffentlicht hat. Dieses Buch, welches von ehemaligen Schülern und Doktoranden aufbereitet und insbesondere von Renate Dekker herausgegeben wurde, bündelt also seine Forschungen zu den Texten der Spätantike im Niltal und macht sie damit deutlich zugänglicher. Die Beiträge sind alle in englischer Sprache und für den Band teils sogar eigens übersetzt worden (Nr. 1, 7, 10, 12-13). Die Herausgeber verfolgen damit mehrere Ziele: Zum einen sollte dem Jubilar zum Eintritt in den Ruhestand in der Art einer Festschrift ein Monument gestiftet werden ("as a present for him on the occasion of his retirement in 2019", xix), zum anderen wurde angestrebt "that his research is more accessible for scholars worldwide" (xix).

Dass dies überhaupt Sinn ergibt, ist vor allem möglich durch den generellen Ansatz des Jubilars, der sich eben nicht nur darauf beschränkte, spätantike Texte aus Ägypten und Nubien (zumeist in koptischer und griechischer Sprache und Schrift) zu edieren, sondern diese immer in ihren Kontext einbettete und seine Arbeiten also auch immer eine bestimmte Fragestellung verfolgten. So verfolgt er etwa die Inspiration durch literarische oder liturgische Traditionen (z.B. in den Studien Nr. 29 und 31) oder die Betonung der sozialen Bindung durch Einbettung in gemeinsames Gebet und Gesang (Studie 31). Andere Aufsätze thematisieren den Wunsch von Christen unter muslimischer Herrschaft, unter einem christlichen Herrscher leben zu können (Nr. 3 und 19). Die Aufsätze sind jedoch nicht thematisch geordnet, sondern nach einem Aufsatz, in dem Jacques van der Vliet darlegte, was genau er sich unter "Koptischer Epigrafik" vorstellte, zunächst geografisch: 19 Aufsätze betreffen vor allem Ägypten (insbesondere das Fayum; Nr. 2-20) und 11 vor allem das nubische Niltal (Nr. 21-31). Die behandelten Inschriften datieren zwischen dem 3. bzw. 4. Jahrhundert bis zum 14. Jahrhundert n.Chr. (v.a. Nr. 30 und 18). Die Aufsätze wurden geringfügig vereinheitlicht, was die Schreibungen von Personen- und Ortsnamen sowie die bibliografischen Angaben angeht.

Die Arbeiten sind sicherlich für den Spezialisten wie für den Nachbarwissenschaftler von großem Gewinn, allein der erste Beitrag "The Christian Epigrapy of Egypt and Nubia. State of research and perspectives" ist allgemeiner, methodologischer und auch forschungsgeschichtlicher Natur, weswegen auf diesen etwas näher eingegangen werden soll. Jacques van der Vliet bekräftigt hier, dass christliche Inschriften aus dem Niltal in der Zukunft vor allem auf drei Ebenen untersucht werden sollten: auf derjenigen der Sprache, derjenigen der Quelle und derjenigen des Fundortes. In puncto Sprache wäre hervorzuheben, dass die künstliche Trennung zwischen den unterschiedlichen Einzeldisziplinen epigrafischen Arbeitens aufgegeben werden sollte, allen voran die Trennung zwischen griechischer und koptischer Epigrafik, d.h. berücksichtigt werden müssen alle christlichen Texte, seien sie in Griechisch und Koptisch, oder in Arabisch, Syrisch, Altnubisch oder Latein verfasst. Was die Quellen angeht, so wendet sich Jacques van der Vliet gegen den Primat der Steininschrift, d.h. zu Recht plädiert er dafür, sich nicht auf Stelen zu konzentrieren, sondern Beischriften auf Fresken, Graffiti, Dipinti, Weihinschriften auf Werkzeugen oder Gefäßen und Möbel als gleichwertig anzusehen wie magische Texte auf Amulette oder genauso die Psalmtexte zu behandeln, wie sie etwa auf nicht-liturgische Luxusgewänder ("christliche tirâz") vorkommen. Diesen ist dann auch einer der besonders spannenden Aufsätze des Sammelbandes gewidmet (Nr. 2). Durch die Anordnung der Studien innerhalb der Abschnitte II (Ägypten) und III (Nubien) - nämlich von Norden nach Süden der jeweiligen Fundorte - ist bereits eine weitere Forderung zum Tragen gekommen: im Sinne einer histoire totale regionale Traditionen in einem kombinatorischen Ansatz unter Auswertung aller epigrafischen, papyrologischen, archäologischen und historischen Quellen herauszuarbeiten.

Schließlich soll ein Beitrag hervorgehoben werden, der dem Rezensenten aufgrund seiner Interessen besonders aufgefallen ist: Nr. 30 zur südlichsten bisher gefundenen lateinischen Inschrift, der Inschrift CIL III 83 aus Musawwarat es-Sufra. Sie ist aus mehreren Gründen besonders spannend: Zum einen hat sie selbst eine rege Geschichte, wurde sie doch von den ganz frühen Nubienreisenden Louis Linant de Bellefonds und Frédéric Cailliaud kopiert und dann von der Lepsius-Expedition nach Berlin gebracht, galt lange als verschollen, ja als Kriegsverlust, und wurde erst 2003 im Depot der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst wiederentdeckt. Was sie jedoch für den Meroitisten besonders interessant macht, ist die Neubestimmung des Inhalts. Der Text ist eine aus mehreren konventionellen Formeln zusammengefügte Akklamation (bona fortuna, in multos annos, feliciter). Gerichtet ist sie an eine "Herrin" und "Königin" (dominae reginae), hinter der man aufgrund einer griechischen Parallele aus Dakka bisher die Göttin Isis vermutete. Dies ist sicherlich wenig wahrscheinlich - vielmehr wird man hinter der Königin eine regierende meroitische Kandake sehen müssen (385). Wie man selbst aus der kürzesten Inschrift noch Informationen gewinnen kann, zeigt sich nun: die Autoren verweisen darauf, dass der Name des Inschriftenverfassers, Acutus, in Rom und Italien häufig war, in römischen Niltal jedoch so gut wie nicht bezeugt ist (385 mit Anm. 37). Mit anderen Worten: Es dürfte sich um einen Römer aus Rom handeln, der wohl in diplomatischer Mission im meroitischen Reich unterwegs war, wenn es sich nicht um einen indienreisenden Händler handelte. Schließlich ist auch die Art der Datierung von großer Bedeutung, denn es wird hier in "moderner" Weise ("April, Tag 15" - apr(ili) die xv) datiert und nicht nach dem traditionellen altrömischen System mit Kalendae, Nonae und Idus (385). Diese Datierungsart wurde erst nach der Mitte des 6. Jahrhunderts n.Chr. üblich, es gibt jedoch auch frühe Belege ab dem 3.-4. Jahrhundert n.Chr. Damit handelt es sich bei der lateinischen Inschrift um ein wichtiges Zeugnis für die Kontakte zwischen Meroe und Rom gegen Ende des meroitischen Reiches (386). Bemerkenswert ist bereits an sich schon das Vorkommen der Textgattung Akklamation, was auf ein entsprechendes Zeremoniell schließen lassen könnte.

Abschließend sei hervorgehoben, dass die vorliegende Artikelsammlung technisch wie äußerlich sehr sorgfältig gemacht wurde und sich durch diesen Band tatsächlich ein Mehrgewinn ergibt, da die einzelnen Beiträge ziemlich disparat und teils etwas entlegen erschienen sind.

Francis Breyer