Rezension über:

Thomas J. Keeline: The Reception of Cicero in the Early Roman Empire. The Rhetorical Schoolroom and the Creation of a Cultural Legend, Cambridge: Cambridge University Press 2018, XI + 375 S., ISBN 978-1-108-42623-7, GBP 90,00
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Rezension von:
Alexandra Eckert
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Alexandra Eckert: Rezension von: Thomas J. Keeline: The Reception of Cicero in the Early Roman Empire. The Rhetorical Schoolroom and the Creation of a Cultural Legend, Cambridge: Cambridge University Press 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 9 [15.09.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/09/32338.html


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Thomas J. Keeline: The Reception of Cicero in the Early Roman Empire

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Thomas J. Keeline setzt sich in seiner Monographie, die aus seiner Dissertationsschrift an der Harvard University aus dem Jahr 2014 hervorgegangen ist, mit der Rezeption Ciceros von dessen Tod bis in die Zeit von Tacitus und Plinius dem Jüngeren auseinander.

Keeline entwickelt seine Hauptthese, Ciceros Nachwirkung sei vor allem durch den Unterricht in den Rhetorenschulen Roms geprägt worden, in insgesamt sieben Kapiteln. Dabei diskutiert er zunächst die Rolle Ciceros und seiner Werke im römischen Rhetorikunterricht, um sich dann der Rezeption Ciceros in den Schriften Senecas des Jüngeren sowie in den Werken von Tacitus und Plinius dem Jüngeren zuzuwenden.

Im ersten Kapitel versucht Keeline nachzuzeichnen, wie Ciceros Rede Pro Milone in den lateinischen Rhetorenschulen unterrichtet wurde. Er stützt sich dabei auf Asconius, Quintilian sowie die Scholia Bobiensia. Die Pro Milone habe in erster Linie als rhetorisches Übungsmaterial gedient. Den Rhetorikschülern sei Cicero deshalb vor allem als ein Modell für Redekunst begegnet, aber nicht als Person mit all den Merkmalen, die ihn zu seiner Lebenszeit kennzeichneten. Im folgenden Kapitel führt Keeline diese These weiter aus und untersucht die Transformation der historischen Person Ciceros zu einem Modell für Eloquenz in der frühen Kaiserzeit.

Im dritten Kapitel beleuchtet Keeline, wie Ciceros Tod zu einem wichtigen Thema für Deklamationen im Rhetorikunterricht wurde. Nach Keeline ist das Narrativ, Cicero sei während der Proskriptionen des zweiten Triumvirats von einem ehemaligen Klienten namens Popillius ermordet worden, den der Redner gegen den Vorwurf des Vatermordes verteidigt hatte, eine Erfindung der Rhetoriklehrer der frühen Kaiserzeit. Keeline vertritt die Auffassung, Octavian/Augustus habe die Erinnerung an seine Mitwirkung bei den Proskriptionen der Triumvirn unterdrückt. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Rhetorenschulen gehabt, die die Verantwortung Octavians entweder nicht thematisierten oder bewusst Mark Anton als den Hauptverantwortlichen für die Proskriptionen des Jahres 43 v. Chr. hervorhoben. Dieses Vorgehen habe dann auch Einfluss auf römische und griechische Autoren gehabt, so auf Velleius, Florus, Plutarch, Appian und Cassius Dio.

Kapitel 4 von Keelines Monographie wendet sich Werken der Gattung Pseudepigraphie zu. Als wichtige Themen aus den sechs von Keeline behandelten Schriften arbeitet er Ciceros Konsulat, sein Exil und die Philippischen Reden heraus. Ein besonderes Augenmerk richtet Keeline dabei auf In M. Tullium Ciceronem invectiva (Pseudo-Sallust) und In C. Sallustium Crispum invectiva (Pseudo-Cicero). Keeline möchte Werke aus dieser Literaturgattung nicht in erster Linie als Fälschungen verstanden wissen. Er betont vielmehr, der Wert der betrachteten Schriften liege darin, einen Einblick zu gewähren, wie in den Rhetorenschulen über Cicero gedacht wurde.

Die abschließenden drei Kapitel beschäftigen sich mit der Rezeption Ciceros bei dem Philosophen Seneca sowie bei Tacitus und Plinius dem Jüngeren. Bei Seneca falle gerade das weitgehende Fehlen von Bezügen auf Cicero ins Auge, obwohl Seneca sich während seiner Ausbildung intensiv mit Cicero auseinandergesetzt haben müsse. Tacitus Werk Dialogus de oratoribus sei eine sophistische Widerlegung der Vorstellung von Cicero als Höhepunkt der römischen Redekunst. Ciceros Eloquenz könne nämlich wegen des Fehlens von Freiheit unter den Bedingungen der Kaiserzeit nicht mehr ausgeübt werden. Plinius der Jüngere sehe, anders als Tacitus, aber wie schon Quintilian, Cicero als Gipfel der Eloquenz. Plinius handle jedoch, so Keeline, in dem Bewusstsein, Cicero könne unter der Herrschaft eines Kaisers nicht mehr in allen Bereichen als Vorbild dienen.

Keeline hat mit seiner Monographie zur Rezeption Ciceros in der frühen Kaiserzeit ein wichtiges Thema aufgegriffen, das in der Forschung in letzter Zeit vermehrt Aufmerksamkeit gefunden hat. Davon zeugen die in Oxford entstandene Dissertation von Andrew J. Sillett aus dem Jahr 2015, die im Moment für die Publikation vorbereitet wird und das 2019 erschienene Buch von Guiseppe La Bua mit dem Titel Cicero and Roman Education. The Reception of the Speeches in Ancient Scholarship. [1]

Ein Nachteil der zu besprechenden Monographie ist, dass der Autor nicht genauer definiert, was er unter 'reception' versteht und wie er sich in der Forschungsdiskussion zu den sogenannten 'reception studies' positioniert, die im englischsprachigen Raum gerade in den letzten Jahren intensiver geführt wurde. [2] Ähnliches gilt auch für die von Keeline verwendeten Begriffe 'memory' und 'tradition'. Auch hier hätte Keelines Monographie von einer besseren Anbindung an das Forschungsfeld 'memory studies' profitiert.

Cicero war zweifellos einer der wichtigsten Schulautoren der römischen Kaiserzeit. Keeline ist daher zuzustimmen, wenn er dem 'schoolroom', also der Ausbildung junger Römer in den Rhetorenschulen, einen wichtigen Beitrag zur Formung der Nachwirkung Ciceros attestiert. Bei Keeline bleiben jedoch mehrere Fragen unterreflektiert: Wer waren neben Seneca dem Älteren und Quintilian die Akteure im 'schoolroom'? Welche Rolle spielten die Rhetoriklehrer in der römischen Nobilität der frühen Kaiserzeit? Welche Freiräume hatten sie bei der Vermittlung ihrer Lehrinhalte an junge Römer der Oberschicht? Spiegelten die Deklamationen der frühen Kaiserzeit möglicherweise eine breitere Diskussion in der römischen Gesellschaft um Bürgerkrieg und Gewalt wider?

Keeline lenkt zu Recht die Aufmerksamkeit darauf, welche Bedeutung Ciceros Tod im Zuge der Proskriptionen des Jahres 43 v. Chr. in den Rhetorenschulen zugemessen wurde. Sicherlich haben die in diesem Kontext sichtbaren Entschuldigungsstrategien für Octavian/Augustus einen großen Einfluss auf spätere Autoren gehabt. Allerdings ist in diesem Punkt eine stärkere Differenzierung notwendig, denn es findet sich bereits im 1. Jahrhundert n.Chr. zum Teil deutlich Kritik an der Beteiligung des jungen Octavian an den Proskriptionen der Triumvirn, denen auch Cicero zum Opfer gefallen war. [3]

Trotz der genannten Kritikpunkte stellt Keelines Monographie einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um die Formung und Bedeutung von Ciceros Nachwirkung in der frühen Kaiserzeit dar. Seine Publikation enthält wertvolle Beobachtungen, die bedeutende Impulse für weitere Forschungen liefern werden.


Anmerkungen:

[1] Andrew J. Sillett: 'A Learned Man and a Patriot'. The Reception of Cicero in the Early Imperial Period, Oxford (in Druckvorbereitung); Guiseppe La Bua: Cicero and Roman Education. The Reception of the Speeches and Ancient Scholarship, Cambridge 2019. Im angelsächsischen Bereich wurde das Thema Cicero-Rezeption schon mehrfach in Dissertationen bearbeitet. Diese wurden jedoch leider nicht publiziert. Vgl. D. G. Gambet: Cicero's Reputation from 43 BC to AD 79, Ph.D. diss., University of Pennsylvania 1963; G. B. Lavery: Cicero's Reputation in the Latin Writers from Augustus to Hadrian, Ph.D. diss., Fordham University 1965; A. I. Wright: Cicero Reflected. The Image of a Statesman in the Century after his Death and its Ideological Significance, Ph.D. diss., University of Syndey 1997.

[2] Vgl. z.B. Lorna Hardwick: Reception Studies, Oxford 2003; Lorna Hardwick / Christopher Stray (eds.): A Companion to Classical Receptions, Malden, Mass. 2008.

[3] Sen. clem. 1.11; Plin. nat. 7.147.

Alexandra Eckert