Rezension über:

Eivor Andersen Oftestad: The Lateran Church in Rome and the Ark of the Covenant. Housing the Holy Relics of Jerusalem. With an Edition and Translation of the Descriptio Lateranensis Ecclesiae (BAV Reg. Lat. 712) (= Studies in the History of Medieval Religion), Woodbridge: Boydell Press 2019, XV + 257 S., 2 Tbl., ISBN 978-1-78327-388-1, GBP 75,00
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Rezension von:
Kordula Wolf
Deutsches Historisches Institut, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Kordula Wolf: Rezension von: Eivor Andersen Oftestad: The Lateran Church in Rome and the Ark of the Covenant. Housing the Holy Relics of Jerusalem. With an Edition and Translation of the Descriptio Lateranensis Ecclesiae (BAV Reg. Lat. 712), Woodbridge: Boydell Press 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 6 [15.06.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/06/33438.html


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Eivor Andersen Oftestad: The Lateran Church in Rome and the Ark of the Covenant

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Seit jeher ranken sich legendäre Geschichten um die Bundeslade. Laut Überlieferung seien die Israeliten jahrzehntelang mit ihr durch die Wüste gezogen, später habe sie im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels gestanden, bis dieser geplündert wurde und die Bundeslade, in der sich die beiden Steintafeln mit den Zehn Geboten, ein Krug mit Manna und der Stab des Aaron befunden haben sollen, verschollen ist. Zu denen, die später behaupteten, in ihrem Besitz zu sein, gehörten auch die Kanoniker der Laterankirche in Rom. Unter dem Hauptaltar stehe sie, verschlossen und für niemanden sichtbar, so hieß es erstmals um 1100 in einer Schrift, die später unter dem Titel Descriptio Lateranensis Ecclesiae zirkulierte. Im Zuge von Restaurierungsarbeiten wurde dann die vermeintliche Bundeslade 1308 zunächst vom Hauptaltar in die Thomaskapelle und 1647 in den Apsisgang überführt. 1745 ließ Benedikt XIV. schließlich das mehrere Jahrhunderte lang verehrte Objekt aus der Laterankirche entfernen. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.

Die Descriptio, besonders in der elaborierten Version des Johannes Diaconus (1159-1181), ist bereits eingehend von Philip Lauer, Cyrille Vogel und den Herausgebern der kritischen Edition, Roberto Valentini und Giuseppe Zucchetti, untersucht worden. In einer monografischen Studie widmet sich nun die norwegische Kirchenhistorikerin Eivor Andersen Oftestad erneut diesem Werk, wobei sie die Entstehungs- und Überlieferungszusammenhänge der verschiedenen Redaktionen besonders für den Zeitraum zwischen Ende des 11. und Ende des 12. Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückt. Zu neuen Erkenntnissen gelangt sie hierbei, indem sie einen dezidiert kodikologischen Ansatz mit einer denkbar breiten Kontextualisierung kombiniert und hierfür auch zahlreiche liturgische und historische Quellen heranzieht.

Einen der wichtigsten Befunde stellt die Verortung der ersten Descriptio-Redaktion im Umfeld des Laterans bzw. des Laterankapitels und ihre Datierung in die Zeit nach 1099, also nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer, dar. Damit wird die bisherige Datierung zwischen 1073 und 1118 hinsichtlich ihres terminus post quem präzisiert und eine genauere historische Einordnung des Werks ermöglicht. Ab dem 12. Jahrhundert zirkulierten verschiedene Descriptio-Versionen nicht nur innerhalb des stadtrömischen Kontextes, sondern auch im heutigen Nordfrankreich bzw. Belgien, insbesondere im Umkreis der Benediktinerabtei Saint-Armand, die in jener Zeit eine der größten Bibliotheken Flanderns besaß (Kap. 3 und 4, Appendix 1 und 2). Als möglicher Transmitter kommt, so die Verfasserin, der gelehrte Benediktinerabt Hermann von Saint-Martin in Tournai in Betracht, der wohl bei einer seiner Romreisen im Zusammenhang mit der Gründung der Diözese Tournai eine Kopie des Textes angefertigt hatte.

Da die einschlägigen Editionen von Lauer und Valentini/Zucchetti auf späteren Textvarianten beruhen, veröffentlicht Oftestad die in BAV Reg. lat. 712 (Saint Quentin, ca. 1181-1185) enthaltene älteste Version erstmalig in einer kritischen Edition (Appendix 3, ergänzt durch eine von Virginia Clark angefertigte englische Übersetzung). Die Analyse mehrerer Codices der "Northern France/Belgium Group 1" und "Northern France Group 2", in denen die frühesten Descriptio-Fassungen überliefert sind, verdeutlicht zudem, dass das Werk immer auch mit Texten, die Kreuzzugsbezug hatten, vereint war - ein Aspekt, der neben textimmanenten Details und intertextuellen Bezügen ebenfalls in die Rekonstruktion des diskursiven und historischen Kontextes der einzelnen Überlieferungsstränge einbezogen wird. In überzeugender Weise legt Oftestad dar, wie zentral die Idee der translatio templi im 12. Jahrhundert war und in welcher Weise hierfür die Kirchenväter und spätere Geschichtsschreiber mit ihren Interpretationen von der Zerstörung Jerusalems als Rache Gottes für die Kreuzigung Christi den Weg bereiteten. In der nach 1099 verfassten Descriptio wurde diese Idee aber nicht mehr nur im rein allegorischen, sondern auch im physischen Sinn verstanden. Denn um den Rang der bedeutendsten Kirche innerhalb Roms und der gesamten Christenheit zu untermauern, hatten die Laterankanoniker - so eine der Hauptthesen des Buches - ein besonderes Interesse daran, ihre nicht über dem Grab eines Heiligen errichtete Kathedrale in der Nachfolge Jerusalems als neuen Tempel des Alten Bundes darzustellen und diesen Anspruch durch 'originale' Tempelobjekte wie die prestigevolle Bundeslade zu legitimieren. Die Exegese biblischer Prophezeiungen, der Titusbogen in Rom, aber auch die vita apostolica und imitatio Christi lieferten Elemente, um den Lateran als Wohnstätte Gottes und legitimen Erben des alten Tempels zu vergegenwärtigen. Zugleich lieferten vermutlich Jerusalem-Beschreibungen des frühen 12. Jahrhunderts (Kap. 5) Argumente für die Echtheit der Tempel-Objekte und die Behauptung materieller Kontinuität zwischen dem Tempelberg und der Lateranbasilika. In Konkurrenz zu Sankt Peter, aber auch vor dem Hintergrund der damaligen Reformbestrebungen unterstrichen die Laterankanoniker auf der Grundlage dieser translatio-templi-Idee nicht zuletzt ihre kollektive Identität als auserwählte Diener des neuen Tempels, mit dem Papst in der Rolle des Hohepriesters - was auch in einer speziellen Gründonnerstagsliturgie zum Ausdruck kam.

Anhand eines Vergleichs mit Nicolaus Maniacutius' Traktat De sacra imagine SS. Salvatoris in palatio Lateranensis (Historia Imaginis Salvatoris) zeigt die Verfasserin schließlich, dass es Mitte des 12. Jahrhunderts in Rom auch abweichende Vorstellungen von einer translatio templi gab. Anders als in der Descriptio beschrieb Maniacutius nämlich nicht den Hochaltar der Laterankirche, sondern die als Sancta Sanctorum betitelte Laurentiuskapelle im päpstlichen Lateranpalast als Herzstück des neuen Tempels und maß unter den aus Jerusalem stammenden Tempelgegenständen der Salvator-Ikone den größten Stellenwert zu (Andreas Matenas 2016 erschienene Monografie "Das Bild des Papstes" wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht zitiert). Im Kontext der damals offenbar intensiv geführten Debatte über die Tempelobjekte und den Status des Laterans als heiliger Ort und neuer Tempel beeinflusste Maniacutius' Traktat wohl trotz seiner abweichenden 'Lesart' auch die später von Johannes Diaconus verfasste Version der Lateranbeschreibung.

Künftige Untersuchungen zur Descriptio, zur Geschichte der hochmittelalterlichen Lateranbasilika und ihren Kanonikern sowie zum päpstlichen Primat werden an Oftestads detailreicher, gut lesebarer und klar strukturierter Studie nicht vorbeikommen. Durch ihren komplexen Ansatz eröffnet sie interessante neue Perspektiven, ist in vielfältiger Hinsicht anschlussfähig und bereichert die Forschungsdiskussion.

Kordula Wolf