Rezension über:

Thomas Thiemeyer: Geschichte im Museum. Theorie - Praxis - Berufsfelder (= Public History - Geschichte in der Praxis), Stuttgart: UTB 2018, 168 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-8252-5045-4, EUR 16,99
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Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie - Praxis - Berufsfelder (= Public History - Geschichte in der Praxis), Stuttgart: UTB 2020, VI + 238 S., ISBN 978-3-8252-5143-7, EUR 24,90
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Rezension von:
Christian Kuchler
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Christian Kuchler: Doppelbesprechung zur Public History (Rezension), in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/33360.html


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Doppelbesprechung zur Public History

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Die 'Public History' gehört zu den am schnellsten wachsenden Disziplinen der Geschichtswissenschaften. Wenig überraschend ist es entsprechend auch, wenn sich eine eigene utb-Reihe ihrer annimmt. Sie trägt den viel versprechenden Titel "Public History - Geschichte in der Praxis" und strebt danach, für besonders relevante Arbeitsbereiche der neueren Teildisziplin grundlegende Einführungswerke vorzulegen. Anzuzeigen sind hier die beiden Bände zu "Geschichte im Museum" von Thomas Thiemeyer und "Geschichte in Gedenkstätten" von Habbo Knoch. Wie eng beide Arbeitsbereiche zusammenhängen, belegt bereits das Cover des Bandes zu den Gedenkstätten: Intendiert dabei ist der Abdruck der Inschrift "Gedenkstätte" am Besucherzentrum in Sachsenhausen, doch ist es bemerkenswert beschnitten. Just an dem Punkt, an welchem sich zu "Gedenkstätte" die Ergänzung "und Museum" finden ließe, endet das Foto auf dem Umschlag des Buches.

Formal sind beide Bände vergleichbar aufgebaut. Nach begrifflichen Annäherungen schließen sich historische Abrisse zur Entwicklung der jeweiligen Institution an, ehe dann aktuelle Themen des Arbeitsfeldes besprochen werden. Berufsfeldbezogen sind dann vor allem die letzten, relativ knappen Kapitel zu Tätigkeitsperspektiven in Museen und Gedenkstätten. Insbesondere diese sehr informierten Abschnitte sind es, die wohl für sehr viele Studierende aller historischen Studiengänge interessant sein dürften.

Dem eher praktischen Zugriff entspricht es auch, wenn sich im Einführungswerk von Thomas Thiemeyer zu "Geschichte im Museum" das Interesse weniger auf die theoretische Eingrenzung richtet und mehr auf die Geschichte kulturhistorischer Museen. Der Professor am Ludwig-Uhland-Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen stellt diese einleuchtend und überzeugend dar und zeichnet sie bis in die Gegenwart nach. Als aktuelle Fragestellungen werden beispielsweise die Bedeutung von partizipatorischen Elementen in Ausstellungen, das Thema Migration im Museum oder die Grenzen des Wachstums im Museumssektor angerissen. Während Kulturerbe und Provenienzforschung zu den Kapiteln zählen dürften, die für die nähere Zukunft die Arbeit von Museen mit historischen Beständen am meisten prägen werden, scheinen die Ausführungen zur Digitalisierung - nicht zuletzt auf Grund der massiven Herausforderungen in Zeiten der Coronapandemie - bereits wieder überholt: Gerade die Digitalisierung musealer Angebote hat in den vergangenen Monaten (notgedrungen) eine Dynamik entwickelt, mit der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches nicht gerechnet werden konnte.

Ergänzt wird die Darstellung der Genese moderner Museen um Darstellungen zu "Räume[n]" und "Dinge[n]", vor allem aber zu den kuratorischen Prinzipien, da hier zentrale Fragestellungen des geschichtswissenschaftlichen Zugangs zu Museen offengelegt werden. Die Bedeutung von "Werk", "Exemplar" und "Zeuge" für die museumspraktische Arbeit schildert Thiemeyer anschaulich und höchst nachvollziehbar. Seine Ausführungen eignen sich deshalb nicht nur für Studierende, die sich im engeren Sinn auf dem Feld der 'Public History' verorten, sondern besitzen Relevanz für alle, die sich mit Geschichte als Wissenschaft beschäftigen und deren Rezeption im Museum in den Blick nehmen wollen. Ertragreich erscheint der Band deshalb insbesondere für Lehramtsstudierende und aktive Lehrkräfte, wenn sie mit ihren Klassen historische Angebote in Museen vor Ort nutzen und den "außerschulischen Lernort" Museum dezidiert nicht nur aus einer geschichtsdidaktischen, sondern ergänzend aus einer museumsspezifischen Perspektive betrachten wollen.

Diese Offenheit für eine Leserschaft weit über die Studiengänge der 'Public History' hinaus zeichnet ebenso Habbo Knochs Band zu Gedenkstätten aus. Das etwas umfangreichere Buch legt mehr Wert auf Definitionsbestimmungen. Für ein einführendes Werk höchst wertvoll sind seine präzisen und überzeugenden Ausführungen zu den basalen Termini der Gedenkstättenarbeit. Abgehandelt werden sie jeweils in Begriffspaaren ("Erinnerung und Gedächtnis", Geschichtspolitik und Erinnerungskultur", "Opfer und Täter" et cetera). Die Genese der Pluralität an Gedenkstätten innerhalb wie außerhalb der Bundesrepublik Deutschland wird anschließend skizziert. Allerdings beschränkt sich die Darstellung nicht nur auf eine rein deutsche Nabelschau, sondern bezieht bewusst Erinnerungsorte staatlicher Gewaltverbrechen außerhalb Deutschlands und auch jenseits des europäischen Horizonts mit ein. Gedenkstätten als globale Institution" (101-112) widmet sich dementsprechend auch Beispielen aus Ruanda oder Kambodscha.

Wenn es dann wieder um die "Themen" geht (113-174), die von vielen Gedenkstätten aufgegriffen und verhandelt werden, rücken dann doch wieder Fragen des geschichtskulturellen Umgangs mit NS-Geschichte verstärkt in den Blick. In Frageform verhandelt der Band, ob es sich bei Gedenkstätten tatsächlich um "heilige", "authentische", "museale", "politische" oder "universale Orte" handelt. Zudem geht er dezidiert der Frage nach, inwieweit Stätten vormaliger Verbrechen heute als "Lernorte" anzusehen sind. In der politischen Debatte scheint dies die vorrangige Nutzungszuschreibung zu sein. In den Ausführungen Knochs schwingt Skepsis vor zu hohen (gesellschaftlichen) Erwartungen mit. Dennoch unterstreicht er, dass Gedenkstätten dann zu Orten des Lernens werden können, wenn sie "wie andere Repräsentationen traumatischer Kollektivverbrechen als kulturelle Kompensationserfahrungen für etwas begriffen werden, das uns an die Grenzen unserer Ausdrucksformen und Wahrnehmungsmöglichkeiten heranführt, wenn nicht darüber hinaus" (150). Vielleicht noch differenzierter als bei Thiemeyer im Museumskontext gelingt es abschließend, Gedenkstätten als mögliche Arbeitsplätze zu umreißen. Dass der Autor nicht nur die akademische Auseinandersetzung mit seinem Untersuchungsgegenstand kennt, sondern lange Jahre selbst als Leiter einer Gedenkstätte fungierte, kommt ihm dabei sicher zugute.

Insgesamt ist es die Expertise der beiden Verfasser, die für die Qualität der Bände bürgt. Die Ausführungen richten sich nicht nur an Studierende der 'Public History'; zu zentral und bedeutsam sind Museen und Gedenkstätten für andere Arbeitsbereiche der Geschichtswissenschaften. Die knapp gehaltenen, dennoch aber inhaltlich überzeugenden Einführungswerke öffnen den Blick für die historische Entstehung der Arbeitsfelder, zugleich aber auch für deren Gegenwart und Zukunft. Sollten die weiteren Bände der Reihe "Public History - Geschichte in der Praxis" ähnliche Qualität vorlegen können, so darf man auf die nachfolgenden Werke durchaus gespannt sein.

Christian Kuchler