Rezension über:

Jutta Eming / Volkhard Wels (Hgg.): Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Episteme in Bewegung. Beiträge einer transdisziplinären Wissensgeschichte; Bd. 17), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, VIII + 270 S., ISBN 978-3-447-11509-4, EUR 68,00
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Rezension von:
Monika Frohnapfel-Leis
Universität Erfurt
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Monika Frohnapfel-Leis: Rezension von: Jutta Eming / Volkhard Wels (Hgg.): Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden: Harrassowitz 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/35449.html


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Jutta Eming / Volkhard Wels (Hgg.): Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit

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Beschäftigt man sich mit dem Thema Magie, so wird schnell klar, dass dieser Begriff durch ein hohes Maß an Ungenauigkeit und Unstetigkeit in Definition und Anwendung geprägt ist. [1] Terminologische Unschärfen sind dem Magiebegriff daher ebenso eigen wie die Faszination, die von ihm ausgeht, verbindet man doch mit Magie gleichermaßen Unverständliches und Fesselndes wie auch Verbotenes. Magie nun im Rahmen einer Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Moderne neu zu begreifen ist das Ziel der Herausgeber*innen des vorliegenden Bandes, der die vielen Facetten des Magiebegriffes zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit aufzeigt. Hervorgegangen ist der Band aus dem Sonderforschungsbereich 980 "Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit" der Freien Universität Berlin, dem ein alternativer wissensgeschichtlicher Zugriff als Arbeitshypothese zugrundeliegt. Dieser zeigt sich in der Abkehr von der Ausgrenzung der Magie aus Sicht der christlichen Theologie, er wendet sich der Vielfalt magischen Wissens zu und setzt zumindest streckenweise Magie und Empirie gleich (4-9). Was magisches Wissen von anderen Wissenstraditionen unterscheidet und hervorhebt, ist der Umstand, dass es nahezu kontinuierlich kritisch auf seine Legitimität hin befragt worden ist, so dass sich gezwungenermaßen bestimmte Transferstrategien herausbildeten. Unter derartigen Bedingungen ist es ganz erstaunlich, dass Magiewissen wie kaum ein anderes in beachtenswertem Maße "zeitlich, räumlich und interdisziplinär tradiert worden ist" (9), indem gleichzeitig versucht wurde, diese Tradierung zu unterbinden. Neue Kenntnisse im Hinblick auf das magische Wissen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verspricht daher nicht zuletzt ein Zugang über die Wissensoikonomie, wie sie der Sonderforschungsbereich 980 geprägt hat. Deren Fokus liegt auf der Erfassung der "vielfältigen, an den Prozessen des Wissenswandels beteiligten Faktoren" (10), zu denen neben den Begriffen und Texten selbst auch die Wissensakteure zählen. So erhoffen sich Jutta Eming und Volkhard Wels die Möglichkeit einer alternativen Wissensgeschichtsforschung.

Dass die Abgrenzung von Magie und Religion schwierig und bisweilen unmöglich ist, zeigen die ersten beiden Beiträge. So widmen sich zu Beginn des Bandes Christopher Braun und Regula Forster den oft fließenden Grenzen zwischen Magie und Religion im Hinblick auf die islamische Vormoderne am Beispiel von Ibn Arfa' Ra's (+ um 1197), eines sehr bekannten Alchemisten und Dichters seiner und der nachfolgenden Zeit. Ihnen folgt Wilhelm Schmidt-Biggemann mit seinen Überlegungen zu den vielfältigen Schnittmengen von christlichen Sakramenten und Magie, die sich unter anderem in der Performanz der Sprache und kultischen Symbolhaftigkeit ausdrückten (37f.). Beiden gemein sei eine Aura des Geheimnisses sowie eine gewisse Schlüsselgewalt, wie Schmidt-Biggemann es nennt (28), über das entsprechende Wissen. Ausgangspunkt für ihre Überlegungen zu einem alternativen Wissensbegriff ist für Frank Fürbeth die magische Literatur des Mittelalters bzw. für Jutta Eming die mittelalterliche volkssprachliche Dichtung. Sie nehmen den Weg der Motive von Autor zu Autor und von Werk zu Werk innerhalb der deutschen Literatur des Mittelalters in den Blick (unter anderem 68f.) und beleuchten Magie und Wunderbares nicht als Phänomen, sondern vielmehr deren (teils synonyme) Verwendung in der mittelalterlichen Literatur (84f.), wo ein nach wie vor großes Forschungsdesiderat feststellbar sei (111). Auch das neuplatonische Denken in der Frühen Neuzeit bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, um sich mit dem zugrundeliegenden Wissensbegriff auseinanderzusetzen. In diesem Sinne plädiert Thomas Leinkauf in seinem Beitrag für die Unterscheidung zwischen dem rationalen Magiebegriff und der irrationalen Magievorstellung (145f.) und zeigt die Argumente von Hermeneutik und Astrologie auf, die die Magiediskussion ohne Einschränkung aufgegriffen habe (151-156), während Volkhard Wels das neuplatonische Magieverständnis vom Verständnis von Magie und (Al)Chemie bei Paracelsus abgrenzt, für den Magie "per se nichts Übernatürliches, sondern lediglich eine höhere Form der Medizin" (168) gewesen sei. Vom Denken zur Empirie: Daniels Queisers Artikel widmet sich Francis Bacons Wissensverständnis und -praktik und resümiert, dass Bacon, der einen Rationalisierungsanspruch an die Magie postuliert habe, diese in erster Linie als experimentelle Tätigkeit verstanden habe. Zentrale Elemente des Magiediskurses der Renaissance wie zum Beispiel die Annahme sympathetischer Anziehungskräfte fänden sich auch bei Bacon wieder (205f.). Mit dem "Kairos", dem "günstigen Augenblick", bringt Sergius Kodera einen weiteren interessanten Aspekt in die Diskussion um Wissenskonzepte in Mittelalter und Früher Neuzeit ein. Die Anwendung des "Kairos" habe einen Naturmagier von einem Zauberer unterschieden und habe in der frühneuzeitlichen gelehrten Naturmagie eine essentielle Rolle gespielt (239). Er sei für den Naturmagier das einzige Hilfsmittel jenseits der den Dingen innewohnenden Eigenschaften und der jeweiligen Begabung des Ausführenden gewesen, weshalb ein profundes astronomisches Wissen unabdingbar gewesen sei (240).

Die vorgestellten Studien fügen sich zu einem Sammelband, der dem Magiebegriff anhand unterschiedlicher Gelehrter und Gelehrtenschulen Kontur gibt und alternativen Wissenskonzepten Raum bietet. Jedoch fällt auf, dass der Beitrag von Bernd Roling einen Hinweis auf eine Magietradition gibt, die sich von den oben skizzierten deutlich unterscheidet. Seine Auseinandersetzung mit der Cabala christiana und insbesondere den christlich-kabbalistischen Auslegungen der Shechinah bei Guillaume Postel zeigen weitere Erscheinungsformen magischer Phänomene auf.

Was man im zu besprechenden Band vermisst, ist die Frage, wie der Magiebegriff aus der Sicht der Menschen aufgefasst wurde, die Magie mehr oder weniger alltäglich praktizierten, die Perspektive der Nicht-Gelehrten, aber dennoch Magie Ausübenden, eine Magie, die sich aus dem - oft mündlich - kursierenden Wissen speist, also der "nicht gelehrte" Blick auf Magie, welcher eben auch Teil des geforderten alternativen wissensgeschichtlichen Zugriffs sein sollte. Ein Beitrag, der Magievorstellungen und -praxis aus der Sichtweise der schlicht Magie Ausübenden aufzeigt, hätte den beabsichtigten Bogen weiter schlagen können. Ein solcher Zugriff ergibt sich unter anderem aus der Durchsicht von frühneuzeitlichen Inquisitions- oder Visitationsakten.


Anmerkung:

[1] Dies wurde bereits vielfach festgestellt, u.a. von Stephan Bachter: Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung magischen "Wissens" seit dem 18. Jahrhundert, Diss. Hamburg 2005, u.a. 14-20 und Michael D. Bailey: The Meanings of Magic, in: Magic, Ritual, and Witchcraft 1 (2006), 1-23, hier u.a. 2, 6f., 22.

Monika Frohnapfel-Leis