Rezension über:

Edward Loss: Officium Spiarum. Spionaggio e gestione delle informazioni a Bologna (secoli XIII-XIV) (= Storia e culture; 2), Roma: viella 2021, 249 S., ISBN 978-88-3313-715-5, EUR 26,00
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Rezension von:
Sebastian Becker
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Becker: Rezension von: Edward Loss: Officium Spiarum. Spionaggio e gestione delle informazioni a Bologna (secoli XIII-XIV), Roma: viella 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 11 [15.11.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/11/35498.html


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Edward Loss: Officium Spiarum

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Der anzuzeigende Band, eine an der Universität Bologna entstandene Dissertation, widmet sich der Professionalisierung und Institutionalisierung von Spionage und Informationsbeschaffung im kommunalen Italien des 13. und 14. Jahrhunderts. Im Zentrum der Analyse steht das seit 1287 nachgewiesene Bologneser Officium Spiarum, eine kommunale Verwaltungseinheit, deren Aufgabe die Beschaffung politischer, militärischer und ökonomischer Informationen für die Stadtregierung war. Ähnliche mittelalterliche Gründungen sind zwar auch aus Florenz, Pisa und Lucca bekannt, jedoch erlaubt die Bologneser Überlieferung einen in dieser Form vielleicht einzigartigen prosopographischen und institutionengeschichtlichen Einblick in eine Einrichtung, deren Kerngeschäft die Organisation von Spionage war. Auf Basis einer peniblen Quellenanalyse kann Loss das dichte Bild dieses "Officiums" nachzeichnen, das komplementär zur kommunalen Diplomatie stand und eine Funktion übernahm, die Bologneser Diplomaten in dieser Form kaum wahrnehmen konnten.

Die Studie gliedert sich in vier Teile. Im ersten wird diachron die Entstehung und kontinuierliche Weiterentwicklung bis zum Verschwinden von Hinweisen auf das Bologneser Officium Spiarum bis zur Machtübernahme der Visconti nachgezeichnet. Dabei wird deutlich, dass das von einem als Dominus Spiarum bezeichneten Amtsträger und seinem Notar geleitete Officium innerhalb des politischen Systems Bolognas nach einer Phase ersten Experimentierens stetig an Bedeutung gewann. Loss mutmaßt, dass dies auch den begrenzten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung durch im Dienst des städtischen Consiglio del Popolo stehende Botschafter geschuldet war. Neben der Entsendung von Spionen, die Quellen sprechen von "spias et exploratores", gehörten die Prüfung der eingehenden Informationen, Gegenspionage und die Gerichtsbarkeit über gegnerische Spione zum Aufgabengebiet.

Den Aufstieg des Dominus Spiarum zu einem einflussreichen und bedeutenden Amtsträger innerhalb der Bologneser Verwaltung kann Loss in zweierlei Hinsicht überzeugend belegen. Zum einen bestand das Officium Spiarum trotz der wechselnden Herrschaften über Bologna im Untersuchungszeitrum weiter und wurde stetig den jeweiligen Anforderungen angepasst. Obgleich eine Gründung des Consiglio del Popolo, blieb es unter der Herrschaft des Kardinallegaten Bertrando del Poggetto (1327-1334) nicht nur bestehen, sondern wurde von ihm auch mit zusätzlichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Dass der Legat nur die ihm wohlgesonnenen und loyalen Bologneser Familien in die Arbeit des Officiums einband, zeigt, wie wichtig es zu diesem Zeitpunkt auch für die Herrschaftsdurchsetzung nach Innen geworden war. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, warum das Officium nach der Vertreibung del Poggettos und der Rückkehr zum Governo del Popolo (1334) und schließlich auch nach der Machtübernahme durch Taddeo Pepoli (1337) weiterbestand. In den städtischen Statuten von 1334/1335 wurden erstmals die für das Officium Spiarum relevanten Normen und Regularien als Teil der Verwaltung und Regierung öffentlich sichtbar. Die seitdem jedoch abnehmende Überlieferung könnte darauf hinweisen, dass Spionageaktivitäten und Informationsbeschaffung von nun an im Verborgenen fortgesetzt wurden. Erst als Bologna 1347 an die Visconti fiel, verschwinden auch jegliche Spuren des Officiums.

Mit Hilfe einer prosopographischen Untersuchung zeigt Loss im zweiten Teil seiner Arbeit, dass die Leitung des Officium ausschließlich solchen Personen oblag, die über politische Erfahrung verfügten, viele von ihnen hatten als Botschafter gedient. Zudem war das Amt stetig in den Händen der wichtigsten Bologneser Familien. Politische Erfahrung ebenso wie Zuverlässigkeit waren bei der Wahl des Dominus Spiarum und seines Notars demnach essentiell. Der Stellenwert des Officiums spiegelt sich aber auch in den kontinuierlichen Investitionen in Spionageaktivitäten. Loss identifiziert für den Zeitraum von 1287-1327 circa 100 vom Rat genehmigte Zahlungen an Spione, die von Bologna überwiegend in die benachbarten Kommunen, teilweise aber auch bis nördlich der Alpen entsandt worden waren.

Mit Blick auf die Spionageaktivitäten erkenntnisfördernd sind der dritte und vierte Teil der Arbeit, in denen Loss ebenso Anforderungen an die Spione wie die Praxis der Spionage, Herausforderungen für die Regierungen und letztlich auch die Wirkung der Spionageaktivitäten auf das Regierungshandeln zeigen kann. Dabei treten einige durchaus interessante Aspekte zutage, aber auch manches, was wenig überrascht, dafür jedoch Kontinuitäten zu späteren Epochen aufzeigt. Eine Analyse der entsandten Spione zeigt etwa, dass das Bürgerrecht keine Voraussetzung für die Indienstnahme darstellte, wichtiger waren Vertrauenswürdigkeit und Diskretion der Akteure, ihre Treue und Verlässlichkeit oder eben Sprachkenntnisse, wenn die Mission in andere Sprachräume führen sollte. Zudem war Spionage natürlich keine dezidiert männliche Domäne. Loss geht schließlich auch auf die Motivation der Spione ein und kann zeigen, dass selbige durchaus finanzieller Natur sein konnte. So verdiente ein Spion in Bologna bisweilen das 20fache des täglichen Lohns eines städtischen Richters, wobei die Bezahlung offenbar ebenso von der Entfernung seines Zielorts wie vom Risiko der Mission abhing. Beachtlich, nicht nur, weil hier abermals Rückschlüsse auf die Bedeutung des Officium Spiarum möglich sind, ist auch die Häufigkeit der Entsendung von Spionen, die bisweilen im Wochentakt erfolgte. Und auch der Blick auf die Gegenspionage ist zielführend, weil hier Verflechtungen mit anderen städtischen Institutionen und Strukturen benannt werden können.

Mit Blick auf die Spionagepraxis, die naturgemäß in Quellen wenig Niederschlag findet, bietet Loss einen seltenen Einblick in das Handeln der Spione im Verborgenen. Er zeichnet nach, wie Gerüchte und Klatsch einerseits als Informationsquellen dienten, andererseits auch genutzt wurden, um Feinde auf falsche Fährten zu lenken. Sabotage und auch die Anwerbung von Amtsträgern an den Zielorten gehörten zu den Handlungsmustern. Grundlegend waren stets auch bloße Beobachtung oder das Handeln im Verborgenen. Dafür hatten mehrere Stadttore Bolognas kleine Türen, die das Verlassen der Stadt auch in der Nacht ermöglichten. Darüber hinaus kann Loss auch die Frage beantworten, was denn eigentlich mit all den Informationen, die durch Spionage gesammelt wurden, passierte, ob und wie sie im Regierungshandeln Niederschlag fanden. Hier geht er zunächst auf die Mechanismen der Überprüfung der eingegangenen Informationen ein, der eine besondere Bedeutung zugekommen sein muss. Sie gelang, indem oftmals mehrere Spione simultan an die gleichen Orte entsandt wurden, so dass ein Abgleich ihrer Berichte Rückschlüsse auf deren Zuverlässigkeit und letztlich eine Qualitätskontrolle erlaubte. Dass Sitzungen des Consiglio del Popolo mit der Verlesung der von Spionen übersandten Neuigkeiten begannen, zeugt ebenso vom Vertrauen in die Arbeit des Officiums wie von seiner Verflechtung mit dem System der politischen Entscheidungsfindung.

Edward Loss zeigt, wie wichtig und organisiert Informationsbeschaffung bereits im kommunalen Italien war. Anhand des Beispiels des Bologneser Officium Spiarum gelingt es ihm, die Wurzeln ebenso wie Kontinuitäten vormoderner Spionagetätigkeit sichtbar zu machen. Ein umfangreicher tabellarischer Anhang zur Prosopographie und zur Arbeit des Officium Spiarum sowie ein Namensregister runden den Band ab.

Sebastian Becker