sehepunkte 23 (2023), Nr. 3

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus

Die Revolution auf der französisch besetzten Karibikinsel Saint-Domingue (Haiti) in den 1790er Jahren ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor wenig bekannt und schon gar kein Allgemeinwissen. Mit der Übersetzung von Sudhir Hazareesinghs 2021 auf Englisch erschienenem Buch Black Spartacus liegt nun eine aktuelle Biographie einer der führenden Persönlichkeiten in deutscher Sprache vor. Wenn man bedenkt, dass der große Klassiker zum Thema, C.L.R. James' The Black Jacobins erst in den 1980er Jahren ins Deutsche übersetzt wurde - fast 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung [1] - kommt dies einem Meilenstein gleich.

Hazareesingh sieht seinen Beitrag zu der umfangreichen Historiographie über die Revolution, die durchtränkt sei von Legenden und widersprüchlichen Urteilen über den sagenhaften Toussaint Louverture, vor allem in einer Rückkehr zu den Primärquellen. Indem er seine Reden und Proklamationen, vor allem aber den voluminösen Briefverkehr des ehemaligen Sklaven ins Zentrum seiner Darstellung rückt, will Hazareesingh "den Versuch unternehmen, die Welt mit seinen Augen zu sehen und die Kühnheit seines Denkens und die Eigenart seiner Stimme wieder zum Leben zu erwecken" (20).

In Teil eins "Ein Revolutionär wird geboren" rekonstruiert der Autor Toussaints Leben vor und während der Revolution, der er sich erst mit fast 50 Jahren anschloss. Wie viele Historiker:innen argumentiert auch Hazareesingh, Toussaint sei dennoch von Anfang an "im Zentrum der Revolution" gestanden (65-66). Wir erleben, wie Toussaint sich im Namen der Könige von Frankreich und Spanien gegen das Revolutionsregime in Paris stellt, welches die Sklaverei zunächst als verfassungsgemäß bestätigt hatte: die Menschenrechtserklärung sei auf die Kolonien nicht anwendbar (58).

Im zweiten Teil des Buches "Die Entstehung von Louvertures Ordnung" arrangiert sich Toussaint - erst noch als einer von mehreren Anführern - mit den Vertretern Frankreichs auf der Insel. Zunehmend zum "schwarzen Spartakus" stilisiert, übt sich Toussaint als Vermittler zwischen den verschiedenen Gruppen unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe. Überzeugt, dass die Kolonie nur als Teil Frankreichs überlebensfähig sei, versucht er die geflüchteten weißen Plantagenbesitzer zur Rückkehr zu bewegen.

Teil drei "Toussaint an der Macht" beschreibt die Annäherung an die USA und England, um die wirtschaftlich ruinierte Kolonie zu retten, und Toussaints Invasion des spanischen Teils der Insel, Santo Domingo. Die berühmte Verfassung von 1801, die unter anderem die unwiderrufliche Abschaffung der Sklaverei proklamierte, bewertet der Autor als Präventivschlag: Toussaint sei sich der ambivalenten Haltung Napoleons zur Sklaverei bewusst gewesen und beobachtete besorgt das Erstarken der Koloniallobby in Frankreich.

Teil vier, "Der Anführer und sein Mythos" widmet sich zunächst den zunehmend autoritären Maßnahmen Toussaints, vor allem seinen von einer Ideologie des Paternalismus getragenen Agrarreformen, und der wachsenden Opposition in den eigenen Reihen. Dies war die Situation, als Napoleons gigantische Invasionsarmee schließlich Saint-Domingue erreichte. Den Beweggründen Napoleons räumt Hazareesingh einigen Platz ein, zumal Toussaint häufig vorgeworfen werde, er habe Napoleon "provoziert". Hazareesingh beschuldigt hingegen die Koloniallobby, Toussaint bei Napoleon diskreditiert und dessen Ansichten mit Rassismus "infiziert" zu haben (372). [2]

Im abschließenden Epilog beurteilt der Autor Toussaints Platz im kulturellen Gedächtnis Frankreichs: Immer noch herrsche die Vorstellung vor, dass "die Sklaverei vom ancien régime vertreten und durch die Revolution aus dem Staatswesen entfernt worden sei; dass die Sklavenbefreiung das Resultat einer aufgeklärten französischen Intervention gewesen sei und nicht eine revolutionäre Tat der schwarzen Sklaven selbst" (451).

Große Teile von Hazareesinghs 550-Seiten Opus stützen sich auf archivalisches Material: er zitiert bevorzugt aus Briefen Toussaints und seiner Weggefährten. Was der Autor als eine "Rückkehr zu den Quellen" bezeichnet, ist aber zugleich die große Schwäche des Werkes. Oft übernimmt Hazareesingh die Darstellungen und Urteile der Autoren solcher Briefe relativ unkritisch, als handle es sich um objektive Tatsachenberichte. Der Autor klagt auch gerne pauschal die Geschichtsschreibung an, ohne die Werke des Anstoßes zu nennen; an anderen Stellen beruft er sich auf "neuere Forschungen" die er dann nicht nennt. Der umfangreiche Fußnotenapparat enttäuscht bei genauerem Hinsehen. [3]

Hazareesinghs Kommentar zur "Sozial- und Kulturgeschichte 'von unten'", welche Toussaints "individuelle Leistung aus dem Blick verloren" und ihn zu einer Randfigur gemacht habe (18-19), verdreht den Sachverhalt: Die Geschichte der Revolution wurde lange als Geschichte "großer Männer" geschrieben - niemand hat mehr Aufmerksamkeit bekommen als Toussaint Louverture. Arbeiten wie jene von Carolyn Fick mit ihrem Fokus auf die Versklavten, die die Revolution mitinitiiert und getragen haben (nicht immer im Einvernehmen mit der Führungsriege), bilden hierzu ein notwendiges Korrektiv. [4]

In Black Spartacus gewinnt man hingegen oft den Eindruck, Toussaint hätte völlig im Alleingang jegliche Ereignisse in Saint-Domingue gelenkt. Andere Akteure bleiben blass. Nur wer mit oder über Toussaint schriftlich korrespondierte (wie etwa die Vertreter Frankreichs) nimmt etwas Konturen an. Für eine breitere Kontextualisierung der Ereignisse auf Saint-Domingue ist man sowohl mit dem immer noch lesenswerten Klassiker C.L.R. James als auch mit der aktuelleren Biographie von Philippe Girard besser beraten, dem Hazareesingh an einigen Stellen Unrecht tut.

Trotzdem: Black Spartacus ist ein Lesevergnügen. Die deutsche Übersetzung von Andreas Nohl und Nastasja S. Dresler ist gut lesbar und bleibt dem Original treu. Schwer zu übersetzende Termini (mixed-race, people of color, colon) wurden original belassen und kursiv gesetzt. Man wünschte sich ein Vorwort, in dem diese Entscheidungen erläutert werden (zumal die Wiedergabe von "chieftain" mit "Häuptling" auch nicht unproblematisch ist). Insgesamt aber ist die Übertragung ins Deutsche gelungen - und der Beck Verlag hat ein visuell und haptisch ansprechendes Buch gestaltet.

Hazareesingh schafft es, Toussaint Louverture als jene komplexe Figur darzustellen, die er eindeutig war. Schmunzelnd verfolgt man, wie er wiederholt französische Bevollmächtigte nach Paris zurückjagt und die "big players" der damaligen Zeit gegeneinander ausspielt; tragisch sein Tod in einem Gefängnis in Frankreich, wo er die Unabhängigkeit Haitis - die er nie angestrebt hat - nicht mehr mitterlebte. Zurück bleibt hoffentlich eine deutschsprachige Leserschaft, die mehr erfahren will - sowie Autor:innen und Verlage, die den gewünschten Stoff liefern.


Anmerkungen:

[1] 2021 erschien eine überarbeitete Ausgabe: C.L.R. James: Die schwarzen Jakobiner. Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution, Berlin 2021.

[2] Für alternative Darstellungen siehe Philippe Girard: Toussaint Louverture. A Revolutionary Life, New York 2016: 230-1; James: Die schwarzen Jakobiner: 243-5.

[3] Nur ein Beispiel: Die Aussage, "die moderne französische Fachliteratur billigt Toussaint und den haitianischen Revolutionären keine große intellektuelle Potenz zu" (23) wird mit einem einzigen Verweis "belegt", der diese Information gar nicht beinhaltet.

[4] Carolyn E. Fick: The Making of Haiti. The Saint Domingue Revolution from Below, Knoxville 1990.

Rezension über:

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture, München: C.H.Beck 2022, 551 S., 3 Kt., 38 Farb-, 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-78458-3, EUR 34,95

Rezension von:
Jutta Wimmler
Bonn Center for Dependency and Slavery Studies, Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Jutta Wimmler: Rezension von: Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture, München: C.H.Beck 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de/2023/03/36770.html


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