Das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS ist seit einigen Jahren in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Dabei richtete sich das Interesse vor allem auf die nachgeordneten Wirtschaftsbetriebe, das System der KZ-Wirtschaft und die Stellung der SS innerhalb der Kriegswirtschaft. Jan-Erik Schulte hat nun mit seiner Bochumer Dissertation eine beeindruckende Gesamtdarstellung vorgelegt, die erstmals ein umfassendes Bild vermittelt und hinter die Kulissen dieses Monstrums blicken läßt. Schulte verbindet einen akteursbezogenen Ansatz mit einer Analyse des institutionellen Handlungsrahmens. Er geht sowohl der Motivationsstruktur und den Karrieremustern der Täter nach, als auch den spezifischen Mechanismen der SS-Bürokratie.
Überzeugend arbeitet Schulte heraus, wie eng der Aufstieg des SS-Verwaltungsamts mit der Person Oswald Pohls zusammenhing, der die Behörde seit 1934 leitete. Der ehemalige Marinezahlmeister, ein "soldatisch erzogener, ideologisch motivierter und auf seinen beruflichen Aufstieg bedachter Verwaltungsfachmann", folgte Himmler mit dem blinden Gehorsam eines gelernten Befehlsempfängers. Pohl erhielt immer weitere Kompetenzen übertragen. Er bündelte in seiner Behörde die SS-Verwaltungen für Haushalt und Bauwesen, die bewaffneten Verbände, die Wirtschaftsbetriebe und die Konzentrationslager. Das Wirtschafts- und Verwaltungsamt expandierte zu einer Behörde von der mehrfachen Größe eines Reichsministeriums. Die sprunghafte Ausdehnung dieses Apparats zog ideologische Gesinnungstäter und soziale Aufsteiger an, aber auch rein opportunistisch motivierte Akademiker, die sich hier gute Karrierechancen ausrechnen konnten. In einem Exkurs zur Sozialstruktur des Führerkorps gelangt Schulte zu dem Befund, dass der Anteil dieser "unpolitischen" Fachleute in der Amtsgruppe Bauwesen besonders hoch lag. In den Bereichen Verwaltung und Konzentrationslager waren dagegen Offiziere ohne höheren Bildungsabschluß überrepräsentiert. Eindrücklich zeigt sich die heterogene Zusammensetzung der untersuchten Tätergruppe auch in den präsentierten Kurzbiographien und in einem ergiebigen Anhang mit biographischen Daten.
Ausführlich behandelt Schulte die "Ökonomisierung", die mit der Expansion der SS-Wirtschaft im Frühjahr 1938 einsetzte. In dieser Phase entstanden große Häftlingsunternehmen wie die Deutschen Erd- und Steinwerke und die Deutschen Ausrüstungswerke. Schulte räumt gründlich mit der Vorstellung auf, der Ausbau der SS-Wirtschaft sei primär aus ökonomischen Motiven erfolgt. Die neuen Betriebe sollten vielmehr das Machtmonopol der SS über das KZ-System garantieren und verhindern, dass die Arbeitskraft der Häftlinge wegen des zunehmenden Arbeitskräftemangels abgetreten werden mußte. Andere Gründe ließen sich freilich auch anführen. So entstand durch die Zunahme der Häftlingszahlen eben auch erst die Voraussetzung für den Aufbau großer KZ-Unternehmen. Überzeugend legt Schulte dar, dass Himmler den Ausbau der SS-Wirtschaft in dieser Phase nur mit der Unterstützung Speers durchsetzen konnte.
Detaillierter als die bisherige Forschung widerlegt Schulte die Legende von einem schlagkräftigen, ökonomisch bedeutsamen SS-Konzern. Die wirtschaftlichen Bestrebungen der SS blieben weitgehend auf industrielle Randbranchen beschränkt. Ideologische Prägungen und auch persönliche Neigungen Himmlers spielten hier eine sehr viel entscheidendere Rolle als ökonomischer Sachverstand. Ein anschauliches Beispiel ist der Aufbau des Mineralwassermonopols, der auf Himmlers missionarisches Abstinenzlertum zurückging. Zwar befanden sich in der Leitung des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts auch Managertypen wie Hans Hohberg und Walter Salpeter, die sich an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen orientierten. Tatsächlich blieb die SS-Wirtschaft aber ein "ökonomischer Gemischtwarenladen", der beim Reich und auch bei der Dresdner Bank um Kredite betteln mußte. Man fragt sich allerdings, warum Schulte dann im Untertitel seines Buches auf den Mythos vom "SS-Wirtschaftsimperium" rekurriert.
Gegenüber den Wirtschaftsbetrieben der SS stellt Schulte die Bedeutung des weitaus weniger bekannten Bauwesens heraus. Durch diesen Perspektivenwechsel ergibt sich ein neues Bild von der "Bürokratie des Terrors". Schulte zeigt, dass das Bauwesen ab 1941 eine immer wichtigere Rolle spielte und Pohl einen gewaltigen Machtzuwachs einbrachte. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde das SS-Wirtschafts- und Verwaltungsamt zunächst mit der Durchführung der Bauten für die SS- und Polizei-Stützpunkte in den eroberten Gebieten beauftragt. Schon bald gelang es Pohl, weitere Kompetenzen im Bereich der Ostsiedlung an sich zu ziehen. Im Frühjahr 1942 wurde das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt zur Schaltzentrale für den gesamten Komplex der SS-Straßenbau- und Siedlungsprojekte im besetzten Osten. Entsprechend gewann die Amtsgruppe Bauwesen unter Hans Kammler, einem ehemaligen Baudirektor des Reichsluftfahrtministeriums, an Gewicht. Es handelte sich um die Abteilung des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts, die den höchsten Anteil "unpolitischer" Fachleute aufwies.
Mit den Ostsiedlungs-Projekten gewannen die Planungen zum Ausbau des KZ-Systems eine neue Dimension. In Lublin und in Auschwitz sollten Hunderttausende von Häftlingen als Arbeitssklaven für den "Ostaufbau" ausgebeutet werden. Zunächst waren sowjetische Kriegsgefangene vorgesehen. Nachdem die meisten von ihnen innerhalb kurzer Zeit in den Gefangenenlagern umgekommen waren, sollten jüdische Häftlinge die benötigte Arbeitskräftereserve bilden. Ihr "Arbeitseinsatz" wurde in den Vernichtungslagern nur noch zur zynischen Fassade des fabrikmäßigen Massenmords. Schultes Fazit: "Der Mordauftrag erwies sich als durchsetzbarer als der Arbeitsauftrag."
Den Höhepunkt seiner Macht erreichte das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt in den letzten Kriegsjahren. Pohl war nun auch für die Verwaltungen der Wehrmacht und der Polizei zuständig. Schulte weist nach, dass diese nochmalige Machtsteigerung mit einer Desintegration innerhalb des Amts einherging. Vor Kriegsende fand in der "Verwaltungszentrale des Holocaust" ein fast geräuschloser Auflösungsprozeß statt. Pohl wurde später von den Alliierten verurteilt und hingerichtet. Der größte Teil des mittleren Führerkorps blieb unbehelligt.
Schulte zeichnet das Bild einer unstetigen, in ständigem Umbruch befindlichen Entwicklung ohne einheitliche Konzeption. Konstante Größen waren nur der Machtzuwachs und die Expansion des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts, die sich als das zentrale Bewegungsgesetz der SS-Bürokratie herauskristallisieren. Stabilität konnte mit einer derartigen Programmierung nicht erreicht werden. Zerstörung und auch Selbstzerstörung, so argumentiert Schulte mit Ian Kershaw, waren hier systemimmanent angelegt.
Ein Defizit dieser außerordentlich ertragreichen Studie ist der Verzicht auf organisations- und bürokratietheoretische Ansätze. Schulte vergibt dadurch die Chance zu einem systematischen Vergleich mit den Grundmustern moderner Bürokratien. Seine Befunde machen aber auch ohne eine solche theoretische Einbettung sehr deutlich, wie weit das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt von einer rationalen bürokratischen Herrschaftsstruktur entfernt war. Bürokratische Rationalitätskriterien blieben in diesem Befehlsapparat hinter persönlichen Willkürentscheidungen, militärischem Gehorsam und rasseneliminatorischer Kriminalität zurück.
Jan E. Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933-1945. Vorwort von Hans Mommsen, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, XIV + 564 S., ISBN 978-3-506-78245-8, DM 78,00
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