John Barrell widmet sich einer öffentlichen und juristischen Diskussion im England der 1790er-Jahre, die nicht zuletzt als Reflex auf die Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. zu verstehen ist. Es ging um die Frage, wie die Vorstellung von einem möglichen Tod oder einer möglichen Tötung des (englischen) Königs zu bewerten sei.
Die Regierung Pitt versuchte, von den Ängsten einer durch die Pariser Ereignisse verunsicherten Öffentlichkeit zu profitieren, um liberale und oppositionelle Kreise mit dem Hochverratsvorwurf zu bekämpfen, sowohl in der öffentlichen Auseinandersetzung als auch in Form von Gerichtsprozessen. Ins Visier der Loyalisten gerieten insbesondere die London Corresponding Society, die Society for Constitutional Information und verschiedene ihrer Protagonisten, zumal sie eine konstitutionelle Reform betrieben: sie setzten sich für das allgemeine Wahlrecht und die Einberufung eines Nationalkonvents nach französischem Vorbild ein.
Laut Barrell gelang es der Regierung, den Bedeutungsgehalt der spätmittelalterlichen Rechtsnorm, auf der das Hochverratsrecht beruhte, zu verändern. Wo ursprünglich die Planung eines Königsmordes unter Strafe gestanden habe, sollte nun bereits der bloße Gedanke an den Tod des Königs den Tatbestand des Hochverrats erfüllen.
Die Darstellung ist im wesentlichen chronologisch aufgebaut. Im ersten Teil lesen wir von der Rezeption der Hinrichtung Ludwigs XVI. in England und von der Debatte über die Konsequenzen für den eigenen Monarchen. Sahen antiliberale Publizisten bei den Reformern eine gefährliche Nähe zu den französischen Königsmördern, warfen ihre Gegner ihnen vor, die Vorstellung von einer Gefährdung des englischen Monarchen herbeizureden. Der umfangreiche zweite Teil behandelt vor allem sechs Hochverratsprozesse gegen Vertreter reformerischen Gedankenguts, in deren Verlauf die Vertreter der Krone versuchten, ihre erweiterte Rechtsauffassung durchzusetzen. Umgekehrt orientierten sich die Strategien der Strafverteidiger an dem Vorwurf, erst die Anklage zwinge die Prozessbeteiligten, sich den Tod des Königs vorzustellen. Da die Prozesse für die Regierung nicht günstig verliefen, diente ein tatsächlicher Angriff auf die Karosse des Königs als willkommener Anlass, einen Gesetzentwurf ins Parlament zu bringen, der die großzügige Auslegung des Hochverratstatbestandes festlegte: der Treasonable Practices Act (4. Abschnitt). Bereits zuvor hatten im Sande verlaufende Ermittlungen anlässlich angeblicher Komplotte gegen den König nicht die entscheidende Wende gebracht (3. Abschnitt).
Der Literaturwissenschaftler Barrell verhandelt einen interessanten, ja spannenden Stoff, doch die Darstellung enttäuscht. Neben einigen scharfsinnigen Analysen, die die leichten Bedeutungsverschiebungen des Begriffes "imagining" in der zeitgenössischen Diskussion zeigen, erstickt die Darstellung in den Details. Barrell zeichnet Prozesse und Pamphletkriege bis ins Letzte nach - ohne freilich die Kunst fesselnder Darstellung zu beherrschen. So lässt sich die geleistete Fleißarbeit in Archiven und Bibliotheken erahnen, doch hätte der Leser sich eine gestraffte Darstellung gewünscht, die Wichtiges von Unwichtigem trennt. Was hier auf rund 700 Seiten ausgebreitet wird, hätte man auch in einem längeren Aufsatz zeigen können.
Der Fleiß des Autors reichte leider nicht hin, über die Grenzen Englands oder auch nur der vier behandelten Jahre hinauszublicken, was einige ärgerliche Fehleinschätzungen verhindert hätte. So hat sich Barrell nicht einmal die Mühe gemacht, zumindest handbuchartiges Wissen über das "crimen laesae maiestatis" zu berücksichtigen. Was Barrell als so genannte "moderne" Form des Hochverrats bezeichnet, nämlich die Ausweitung des Tatbestands auf den einfachen Gedanken an den Tod des Königs, ist eher rückwärts gewandt in einer Zeit, als der Hochverrat sich vom Majestätsverbrechen löste. Während der Hochverrat im 19. Jahrhundert immer stärker auf das Abstraktum "Staat" bezogen wurde, büßte die Majestätsbeleidigung an Bedeutung ein. Barrell übersieht ein gleichwohl vorhandenes Moment der Modernisierung: so intendierten die Verfechter einer weiten Auslegung des Hochverrats in erster Linie die Verurteilung von Aktivitäten, welche sich gegen die Verfassung und die Kompetenzen des Parlaments richteten. Der Punkt ist vermutlich weniger die Frage nach der Vorstellung vom Tod des Königs als die Suche der Regierungsjuristen nach einer Handhabe gegen Verfassungsreformen, ohne dabei eine neue rechtliche Kategorie schaffen zu müssen. Wollte man sich mit der Modernisierung des Hochverrats in England beschäftigen, hätte man die Aufmerksamkeit besser darauf gerichtet, ob sich die Bedeutungen von König und Verfassung/Staat in diesem Kontext gegeneinander verschoben haben.
Hätte Barrell die Literatur über Königsmordfantasien in anderen Ländern zur Kenntnis genommen, etwa in Arlette Farges brillanter und breit rezipierter Studie über die politische Kultur Frankreichs im 18. Jahrhundert [1], wäre ihm deutlich geworden, wie liberal die englische Regierung der 1790er-Jahre letztlich mit den von ihr Inkriminierten verfuhr und wie gering die Angst um den König im Vergleich zu den Verhältnissen im Ancien Régime war. Öffentliches Spiel mit dem Gedanken an des Königs Tod, laut Barrell von Pitt mit List betrieben, war der Horror französischer Administratoren bis kurz vor der Revolution.
Barrells Buch liefert bisweilen faszinierende Beobachtungen, doch die historische Einordnung und Bewertung muss der Leser wohl oder übel selbst besorgen.
Anmerkung:
[1] Arlette Farge: Dire et mal dire. L'opinion publique au XVIIIe siècle, Paris 1992.
John Barrell: Imagining the king's death. Figurative Treason, Fantasies of Regicide 1793-1796, Oxford: Oxford University Press 2000, 737 S., ISBN 978-0-19-811292-1, GBP 70,00
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