Der Haupttitel ist ein Zitat des damaligen Informationsministers der Tschechoslowakei, Václav Kopecký, der 1946 mit diesen markigen Worten umschrieb, was in der heutigen Diskussion um das tschechisch-slowakisch-deutsche Verhältnis häufig in Vergessenheit gerät: Deutschland wurde auch nach der bedingungslosen Kapitulation insbesondere von seinen kleineren Nachbarstaaten als "Raubtier" angesehen, das es zu zähmen galt. Wie dem Hai die Zähne gezogen werden sollten, davon handelt die vorliegende Studie von Jaroslav Kučera. Der Verfasser, ein ausgewiesener Kenner der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen der Nachkriegsperiode, verfolgt mit seiner Untersuchung dieser Problematik drei Ziele: erstens die Aufarbeitung der Geschichte der tschechoslowakischen Außenpolitik nach 1945, die immer noch ein Desiderat in der historischen Forschung darstellt, zweitens einen Diskussionsbeitrag zur Analyse der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen der unmittelbaren Nachkriegsära und drittens einen Beitrag zur Forschung über die Deutschlandfrage aus Sicht der kleineren europäischen Staaten zu leisten.
Um diese selbst gesteckten Ziele erreichen zu können, untersucht Kučera Zielvorstellungen, Pläne und Umsetzung der tschechoslowakischen Deutschlandpolitik, wobei er mit einiger Berechtigung die Tätigkeit des tschechoslowakischen Außenministeriums ins Zentrum der Studie rückt. Dennoch offenbart sich an dieser Stelle eine wesentliche Schwäche der Arbeit. Wenn konstatiert wird, andere Ministerien, das Parlament oder der Präsident der Republik (Beneš) hätten eine "eher untergeordnete Rolle" (8) in diesem Prozess gespielt, und wenn diese daher weitgehend unberücksichtigt bleiben, wenn die außenpolitische Meinungsbildung in den Parteien und der Gesellschaft aus zeitlichen wie räumlichen Gründen nicht in die Untersuchung einbezogen wurde, ist diese Vorgehensweise sicher vertretbar. Wenn allerdings diese Parameter zum Teil auf die Planungsprozesse im Außenministerium selbst übertragen werden, dann fehlt der Untersuchung partiell die wissenschaftliche Fundierung. Kaum einmal kann der Leser nachvollziehen, wie Entscheidungen im Prager Außenministerium zu Stande kamen oder wie deren Wirkungen im Nachhinein bewertet und welche Konsequenzen daraus gezogen wurden.
Tatsächlich existierte hinsichtlich der Deutschlandpolitik unter den tschechoslowakischen Parteien und Politikern ein breiter Konsens, dennoch bestanden gerade im internationalen Umfeld der Deutschlandproblematik Differenzen unter den tschechoslowakischen Außenpolitikern, die von Kučera lediglich beiläufig erwähnt werden. So bleibt die Darstellung der internen Entscheidungsprozesse verschwommen oder fehlt ganz. Zwar führt der Autor eine Vielzahl von (teils bislang unveröffentlichten) Dokumenten, Exposees und Reden an, allerdings nimmt er weder eine Gewichtung dieser unterschiedlichen Papiere noch der Verfasser dieser Dokumente vor. Die Frage, welchen konkreten Einfluss dieses oder jenes Dokument auf die Planung und Umsetzung der tschechoslowakischen Außenpolitik besaß und wo sich dieser zeigte, bleibt weitgehend unbeantwortet. Da Kučera sein Werk als ein "Zwischenergebnis eines breit angelegten Forschungsvorhabens zur Geschichte der tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen nach 1945" bezeichnet, bleibt wohl noch genügend Raum und Zeit, diese Mängel zu beheben.
Ein wenig anders gelagert ist der Fall in Bezug auf die Rezeption der tschechoslowakischen Deutschlandpolitik durch die vier Großmächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich, da diese Problematik nicht primär zum Untersuchungsbereich der Studie gehört. Die Deutschlandpolitik der ČSR musste zum Teil zwangsläufig ins Blaue hinein konzipiert werden, da die kleineren Staaten weder ausreichend über die Zielvorstellungen der Vier Mächte informiert wurden noch nennenswerten Einfluss auf deren Politik besaßen.
Die Stärken der Studie liegen eindeutig in der Darstellung der Umsetzung und Bilanzierung der tschechoslowakischen Deutschlandpolitik nach 1945 und vor allem in der breiten Thematisierung dieser Problematik überhaupt. Denn die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen umfassten weit mehr als nur die Zwangsaussiedlung der deutschen Minderheit aus der ČSR. Kučera widmet diesem Aspekt, obwohl er in der historiographischen Literatur eingehend behandelt wurde, breiten Raum, bettet ihn aber zugleich ein in die Frage nach der Stabilisierung der Tschechoslowakei, den Gebietsforderungen der ČSR gegenüber Deutschland, den Reparations- und Restitutionsansprüchen und der künftigen Ordnung Deutschlands aus tschechoslowakischer Sicht.
Der letztgenannte Aspekt ist meiner Meinung nach der bedeutendste, nicht nur, da zu den anderen Punkten bereits mehr oder weniger umfangreiche Darstellungen existieren. Denn es ist schon bemerkenswert, wie differenziert und detailliert die tschechoslowakischen Planungen zur zukünftigen Gestaltung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnung Deutschlands ausfielen, wenn sie auch in ihrer Terminologie und ihren Konsequenzen die notwendige Eindeutigkeit vermissen ließen (112). Zusammengefasst bringt Kučera die Vorstellungen und Ziele der tschechoslowakischen Deutschlandpolitik auf den Punkt: "(...) der tschechoslowakischen Deutschlandpolitik (schwebten) weitgehende Eingriffe in die soziale, politische und wirtschaftliche Struktur des westlichen Nachbarn und eine langandauernde Suspendierung oder zumindest Einschränkung der Souveränität des deutschen Staates auf dem Wege einer langfristigen Okkupation und Kontrolle als Ziele vor (...)" (108).
Der Tschechoslowakei gelang es nicht, auch nur eine der weit gefassten Zielvorstellungen zu realisieren, wenngleich sie auch Teilerfolge vorweisen konnte. Jedoch ist dem Verfasser ausdrücklich zuzustimmen, wenn er schreibt, dass "kaum mehr zu erreichen war" (137). Angesichts der innenpolitischen und internationalen Polarisierung, angesichts des geringen Einflusses der kleineren europäischen Staaten auf die Behandlung und Lösung der Deutschlandfrage und angesichts des außenpolitischen Konzeptes der Tschechoslowakei, das die Sicherheit vor einer erneuten Aggression seitens Deutschlands zur Grundlage hatte, mussten sich die tschechoslowakischen Außenpolitiker mit der provisorischen Teillösung der Deutschlandfrage zufrieden geben. Der Preis für die Sicherheit vor dem "Hai" war außenpolitisch die Integration in das sowjetisch dominierte osteuropäische Staatensystem, innenpolitisch die Annäherung an das sowjetische Vorbild.
Zuweilen spekulative Bewertungen des Verfassers und die ein wenig nachlässige redaktionelle Bearbeitung des ersten Drittels schmälern keineswegs das grundsätzliche Verdienst der Studie. Kučera hat mit diesem Band die - hoffentlich nicht nur wissenschaftliche - Diskussion über die tschechoslowakisch-deutschen Beziehungen auf ein breites Fundament gestellt und damit potenziell die Behandlung dieser Problematik von der Beschränkung auf die Zwangsaussiedlung befreit. Zu wünschen bleibt nur, dass auch von anderer Seite, namentlich der deutschen, dieses Diskussionsangebot in angemessener Weise angenommen wird.
Jaroslav Kučera: "Der Hai wird nie wieder so stark sein". Tschechoslowakische Deutschlandpolitik 1945-1948 (= Berichte und Studien; Bd. 34), Dresden: Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung 2001, 158 S., ISBN 978-3-931648-37-4, EUR 6,00
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