Stefan Hartmann hat in diesem Band seine wertvolle Arbeit an der Herausgabe der Regesten aus dem Briefarchiv Herzog Albrechts von Preußen (1490-1568) fortgesetzt. In der Reihe der Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz liegen seit 1992 [1] in Regestenform der überlieferte Briefwechsel des Herzogs mit dem Bistum Ermland für den Zeitraum 1525-1568 sowie mit Livland nun von 1525-1551 vor. Dieser neueste Band schließt sich an die vorhergehende, 1999 erschienene Sammlung der herzoglichen Korrespondenz der Jahre 1534-1540mit Livland an. [2] Der Bearbeiter hat dazu Quellen mehrerer archivalischer Abteilungen konsultiert, die alle in dieser Regestensammlung genau gekennzeichnet und beschrieben sind und dem Forscher ein ausgezeichnetes und detailliertes Hilfsmittel an die Hand geben.
Nach Angabe Hartmanns im Vorwort kann der Leser sich nun noch besser orientieren, da nicht nur die Beilagen der Regesten im Orts- und Personenregister genannt werden, sondern auch eine tabellarische Übersicht der in den Briefen erwähnten wichtigsten Ereignisse beigefügt wurde. Tatsächlich vermittelt der Bearbeiter auf 38 Seiten (XV-LIII), aufgegliedert in Monate und mit Regestennummer gekennzeichnet, in Kurzform, was in den Briefen berichtet wird. Damit kann zum Beispiel der Benutzer, der im Register nach einer bestimmten Person sucht, anschließend im Kurzüberblick nach den Geschehnissen suchen, in die diese Person verwickelt ist.
Dieser Überblick hilft dem in der Geschichte der herzoglich preußisch-livländischen Beziehungen nicht spezialisierten Leser jedoch nicht, sich schnell über den weiteren historischen Kontext des in den Regesten reflektierten Jahrzehnts kundig zu machen. Das fünf Seiten lange Vorwort stellt zwar das zentrale Thema des Briefwechsels von 1540-1551 - die unsichere Stellung Erzbischof Wilhelms von Riga, des Bruders Herzog Albrechts, gegenüber seinen livländischen Rivalen - vor, verweist jedoch nur sehr kurz und ungenau auf die Einbettung des Rigaer Erzbistums in die Geschichte Livlands und des weiteren Ostseeraumes. Folgt man der Einschätzung des Bearbeiters, so führte der Konflikt zwischen dem Erzstift und der unter dem Einfluss der Reformation stehenden Stadt Riga sowie anderen Mitgliedern und Staaten Livlands - dem Deutschordensgebiet (vor allem Estland), den Bistümern Ösel-Wiek, Dorpat und Kurland - so weit zur inneren Schwächung Livlands, dass es seinen äußeren Gegnern (vor allem Moskau, Polen-Litauen und Schweden) hilflos ausgeliefert war. Wie allerdings dieses Machtvakuum entstand und welcher Natur die Konflikte waren, die in den fünfziger und sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts direkt das Vorspiel zum Ersten (Siebenjährigen) Nordischen Krieg (1563-1570) bildeten, findet keine schlüssige Erklärung.
Die 1540er-Jahre waren von mehreren politisch-diplomatischen Meilensteinen geprägt, deren deutliche Darstellung in der Einleitung den Wert dieses Bandes zusätzlich gesteigert hätte. Von außenpolitischer Bedeutung war der Vertrag von Speyer (1544), in dem Christian III. von Dänemark sich dem Kaiser verpflichtete, mit dem Orden Frieden zu halten, obwohl der dänische König aus seinem Interesse, Teile Livlands (vor allem das estische Ordensgebiet) wiederzuerlangen, kein Geheimnis machte. Gleichzeitig wuchs die moskowitische Bedrohung, geschürt von innenpolitischen Reformen im Moskauer Staat (hier sollte der Bearbeiter der Regesten konsequent die historisch besser passende Bezeichnung "Moskowiter" der von ihm gewählten der "Russen" vorziehen). Innenpolitisch einigten sich im Rezess von Wolmar (1546) die livländischen Stände und Fürsten, im Erzbistum bei der Wahl des Koadjutoren keine Ausländer ohne Konsens der Stände zuzulassen, um auswärtiger Intervention vorzubeugen. Dieser Vertrag zeigt, dass die livländischen Stände politisch durchaus handlungsfähig waren, wenngleich der Rezess nicht zur Befriedung des Verhältnisses zwischen Erzbischof Wilhelm und dem Ordensmeister beitrug.
Mehrere Regesten und Beilagen verdeutlichen auch die Haltung der Stadt Riga, die im Widerstand gegen den Erzbischof mehrmals die Unterstützung des polnischen Königs suchte. Die Rolle Polen-Litauens hätte ebenfalls in der Einleitung eine stärkere Würdigung finden sollen, da schließlich der Hauptkorrespondent des Erzbischofs - sein Bruder Albrecht von Preußen - unter der polnischen Lehnsherrschaft stand. Mögliche Absichten Albrechts, Livland in den Einflussbereich der polnischen Krone einzubeziehen und damit indirekt auch preußischem Einfluss zu öffnen - wie in den siebziger Jahren der Historiker Knud Rasmussen die herzoglich-preußische Politik interpretierte [3] -, werden hier nicht einbezogen, hätten aber ein wichtiges Licht auf die Rolle Albrechts geworfen. In dem Zusammenhang hätte man ohnehin vom Bearbeiter ein Wort zu der Frage erwartet, inwieweit die Regesten interpretativen Neuansätzen und Korrekturen an der bestehenden Forschungsmeinung den Weg weisen.
In einer reichen Mischung aus diplomatischen, finanziellen, kirchlichen, juristischen, militärischen, handelspolitischen und privaten Belangen - bis hin zur Bitte um die Anfertigung von Gebissen (im Jahr 1542) - geben die Regesten einen ausführlichen Einblick in die Politik Erzbischof Wilhelms. Besonderes Interesse wird diese Sammlung bei Reformationshistorikern finden, da die Regesten ausführlich über die Pläne Wilhelms berichten, mit Unterstützung von Theologen aus dem Herzogtum Preußen im Erzbistum eine reformierte Kirchenordnung einzuführen, was angesichts der Widerstände des eigenen Domkapitels, des benachbarten Ordens und des Kaisers, aber auch mangels geeigneter Pfarrer (vor allem für die nicht-deutsche Bevölkerung) keine leichte Aufgabe war.
Auch die Wirtschaftsgeschichte hat mit diesen Regesten ein bedeutendes Hilfsmittel erhalten, da in zahlreichen Briefen wiederholt genaue Berichte zur erzbischöflichen Haushaltung, sowohl am Hof als auch in den Ämtern, angeführt sind. Wie Stefan Hartmann in der Einleitung anschaulich macht, nährten politische Nachrichten - oft über die Nachrichtendrehscheibe Lübeck in den Ostseeraum geliefert - die Gerüchteküche. Die Zeitungen und Berichte aus Ost und West, zum Teil von Hofbeamten weitergereicht und abgeschrieben, bereichern diese Regesten in besonderem Maße und sind wertvolle Quellen für die Kommunikationsgeschichte. Mit solch reicher Ausbeute für Historiker aller Richtungen kann man sich also nur wünschen, dass die akribische Quellenarbeit am Dahlemer Archiv fortgesetzt wird und bald die nächsten Regestenbände (bis zum Tode Albrechts) vorgelegt werden.
Anmerkungen:
[1] Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und das Bistum Ermland (1525-1550). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 31), Köln / Weimar / Wien 1992; ders. (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und das Bistum Ermland (1550-1568). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 37), Köln / Weimar / Wien 1993; Ulrich Müller (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1525-1534). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 41), Köln / Weimar / Wien 1996.
[2] Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1534-1540). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 49), Köln / Weimar / Wien 1999.
[3] Knud Rasmussen: Die livländische Krise 1554-1561, Kopenhagen 1973, 28-29.
Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1540-1551). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 54), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 569 S., ISBN 978-3-412-02902-9, EUR 69,00
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