Die Reformation ging überall in Europa mit einer verstärkten Hinwendung zur Bibel einher. Übersetzungen in die verschiedenen Landessprachen sollten den Laien den direkten Zugang zum Text der Heiligen Schrift ermöglichen. Dabei war es im Alten Reich insbesondere die Bibelübersetzung Martin Luthers, die unter den deutschen Protestanten höchste Wertschätzung genoss und lange als vorbildliche und verbindliche Übersetzung galt.
In England stellte sich die Situation dagegen anders dar. Hier konnte keine Übersetzung für alle protestantischen Strömungen gleichermaßen Gültigkeit erlangen. Stattdessen konkurrierte Ende des 16. Jahrhunderts eine Vielzahl von Übersetzungen miteinander. Eduard VI. erklärte die so genannte "Great Bible" zur verbindlichen Übersetzung, deren englischer Text auf William Tyndales Übersetzung aus den Jahren 1525/26 zurückgeht, also noch vor dem Bruch Heinrichs VIII. mit Rom entstanden ist. In der Zeit von Maria der Katholischen entstand in den Jahren 1557/60 im Kreis emigrierter englischer Protestanten die "Geneva Bible". 1568 erschien auf Initiative des Erzbischofs von Canterbury Matthew Parker eine weitere Bibelübersetzung, die fortan in der anglikanischen Kirche Verwendung finden sollte, die so genannte "Bishops Bible". Alle diese Ausgaben erfuhren zahlreiche Auflagen, die sich ihrerseits, zumindest im Detail, voneinander unterschieden. 1576 übersetzte Laurence Tomson dann das Neue Testament erneut ins Englische, orientierte sich dabei aber an der Neuedition von Theodore Beza. In Reaktion auf die zahlreichen protestantischen Übersetzungen der Heiligen Schrift entstand schließlich auch aus dem Kreis der exilierten englischen Katholiken in Rheims eine englische Ausgabe des Neuen Testaments, das so genannte "Rheims New Testament".
Cameron MacKenzie hat es unternommen, diese unterschiedlichen Bibelübersetzungen und Ausgaben miteinander zu vergleichen. Dabei wird sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite die Vielzahl und die Wandlungsfähigkeit eingenommener Positionen zur Bibelübersetzung deutlich. Da sämtliche hier angeführten Bibelübersetzungen nicht nur den Bibeltext allein, sondern stets auch einleitende Vorworte sowie umfangreiche inhaltliche Kommentare zu einzelnen Textstellen enthielten, lassen sich bei den Ausgaben zugleich die unterschiedlichen Positionen zum Kirchenverständnis nachvollziehen, von dem sich die Übersetzer jeweils leiten ließen.
Auf protestantischer Seite zeigen sich Unterschiede insbesondere in einem Vergleich der "Geneva Bible" mit der "Bishops Bible". Gab die "Bishops Bible" die Deutung der Staatskirche wieder, so lehnte sich die "Geneva Bible" stärker an internationale Strömungen des Protestantismus an, insbesondere an die Lehre und Kirchenauffassung Johannes Calvins. MacKenzie erklärt dies zurecht mit dem unterschiedlichen Entstehungskontext. Die "Geneva Bible" entstand im Exil und hatte zum Ziel, die einzelnen protestantischen Gläubigen in England unter einer katholischen Amtskirche im Glauben zu stärken. Die "Bishops Bible" war hingegen ein Instrument der anglikanischen Staatskirche und vor allem zum Einsatz in den Kirchen Englands vorgesehen. Bereits die Titelkupfer beider Ausgaben machen, wie MacKanzie darlegt, diesen Unterschied deutlich: Stellte das Titelkupfer der ersten "Geneva Bible" den Auszug der Israeliten aus Ägypten dar, so war bei der "Bishops Bible" die Königin Elisabeth als "Fidei Defensor" dargestellt.
Diese Unterschiede blieben auch nach dem Herrschaftsantritt Elisabeths I. bestehen, doch betont MacKenzie zurecht, dass sie auch nicht überzeichnet werden sollten. Schließlich wurden auch die zahlreichen Ausgaben der "Geneva Bible" von Christopher Barker mit königlichem Privileg gedruckt, gefördert von Francis Walsingham, einem der einflussreichsten Räte Elisabeths. Auch waren die theologischen Unterschiede zwischen der "Geneva" und der "Bishops Bible" wenig ausgeprägt: Allenfalls in der Reihenfolge der Bücher des Alten Testaments sowie in den Vorreden werden unterschiedliche Auffassungen deutlich. So fußte denn auch die Entscheidung zur Ausgabe einer "Bishops Bible" weniger in theologischen Kontroversen als vielmehr in dem Willen nach Konformität in der anglikanischen Kirche. Die an Theodore Beza orientierte Ausgabe des "Geneva New Testament" enthielt zwar bereits deutlich stärkere Anklänge einer Kritik an der hierarchisch gegliederten Staatskirche. Solange diese Ausgaben indes weiterhin mit königlichem Privileg erscheinen durften, trug man dazu bei, auch die "puritanische Bewegung" (159) in die Reihen der englischen Kirche zu integrieren. Die sich anbahnenden Konflikte über die Kirchenstruktur konnten damit zwar nicht gelöst, wohl aber vertagt werden - ein für die Regierungszeit Elisabeths symptomatisches Vorgehen.
Auf katholischer Seite zeichnet MacKenzie den Positionswechsel von der Ablehnung jeder Bibelübersetzung in die Landessprache hin zur Vorlage einer eigenen Übersetzung nach. Dies erklärt er ebenfalls aus dem sich wandelnden Kontext. Aus dem Exil und unter den Bedingungen von Ausgrenzung und Marginalisierung blieb der katholischen Seite kein anderer Weg, die katholische Theologie in England zu stützen und mithilfe der Bibel zu legitimieren. War zunächst offizielle Auffassung, dass eine landessprachliche Übersetzung auf Grund der Missverständlichkeit der Heiligen Schrift zu Häresie führen könne, so kehrte sich diese Position mit den gewandelten Bedingungen geradezu in ihr Gegenteil um: Nun war es die Häresie der Initiatoren der protestantischen Bibelübersetzungen, die zu falschen Übersetzungen führte. Eine katholische Übersetzung der Bibel galt daher nunmehr als das geeignete Mittel, um der protestantischen Lehre entgegenzutreten. Dabei spielte wie auch bei den protestantischen Bibeln die inhaltliche Kommentierung einzelner Bibelstellen eine entscheidende Rolle. Aber auch formal unterschied sich die katholische Übersetzung von ihren protestantischen Vorläufern, da sie sich konsequent auf die Vulgata als Vorlage stützte und die Septuaginta sowie hebräische Textfassungen nur in wenigen Ausnahmefällen heranzog.
Die Analyse MacKenzies erfolgt stets nah am Text der jeweiligen Bibelausgaben. Dadurch erhält man einen genauen Einblick in die Übereinstimmungen und die Unterschiede der zahlreichen Editionen, wobei er den Schwerpunkt auf Abweichungen im Zusammenhang mit theologisch umstrittenen Fragen (Prädestinationslehre, Kirchenverfassung et cetera) legt. Dem historischen Kontext der einzelnen Bibelübersetzungen widmet er weniger Aufmerksamkeit. So wüsste man beispielsweise gerne, welche Rolle die Kurie bei der katholischen Bibelübersetzung spielte. Auch die Rezeption hat MacKenzie nicht eigens thematisiert. So erwähnt er zwar den andauernden Erfolg der "Geneva Bible", geht aber nicht den Gründen für diesen Boom nach. War es die theologisch eher kirchenferne Ausrichtung, die zahlreiche Käufer anzog? Oder spielten auch ökonomische Motive eine Rolle, da die "Geneva Bible" wesentlich erschwinglicher zu haben war als beispielsweise die "Bishops Bible", die lange nur in großen Folioausgaben auf dem Markt war, wie Christopher Hill betonte?[1] Und welche Möglichkeiten hatten die im französischen Exil lebenden Katholiken, um mit dem "Rheims New Testament" ihre englische Übersetzung in England wirksam zu verbreiten? Konnten mit dieser Bibelübersetzung überhaupt nennenswerte Ergebnisse erzielt werden, außer dass sich eine mehrere Jahrzehnte dauernde polemische Debatte zwischen Katholiken und Protestanten daran anschloss?
Diese Fragen zu klären bleibt kommenden Arbeiten zu diesem Thema vorbehalten. Ebenso ist mit 1582 der Konkurrenzkampf der verschiedenen Bibelübersetzungen nicht an sein Ende gelangt. Die Frontenbildung vollzog sich mit Erscheinen des "Rheims New Testament" nicht eindeutig in eine protestantische und eine katholische Gruppe, wie MacKenzie schlussfolgert (216). Schließlich richtete sich die "King James Bible", die im Jahre 1611 erstmals herauskam, weniger gegen die katholische Übersetzung als vielmehr gegen die "Geneva Bible" und ihre Bibelkommentierung. Um die politisch-theologische Auseinandersetzung um die englische Kirchenverfassung auf der Grundlage divergierender Bibelübersetzungen nachzuzeichnen, wird man daher die frühe Zeit der Stuartkönige ebenfalls in die Untersuchung einbeziehen müssen. Für die Zeit Königin Elisabeths ist dagegen mit MacKenzies Studie ein Anfang gemacht, auf den spätere Untersuchungen aufbauen können.
Anmerkung:
[1] Christopher Hill: The English Bible and the Seventeenth-Century Revolution, London 1993, S. 18.
Cameron A. MacKenzie: The Battle for the Bible in England, 1557-1582, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 338 S., ISBN 978-0-8204-5810-6, EUR 74,30
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