Im Jahr 1953 gelangte ein Musterbuch in die Sammlung des Castello di Buonconsiglio in Trient, das sich hinsichtlich der Qualität, der Vorbilder und der Ikonographie der Zeichnungen recht heterogen darstellt. Es ist nicht zuletzt diese Eigenart des Kodex, die Rückschlüsse auf die Werkstattpraxis und die Person des Werkstattleiters zulässt. Einige der Zeichnungen wurden bald als Kopien nach Pisanello identifiziert, andere Vorbilder knapp angesprochen, eine Zuschreibung an Cecchino da Verona vorgeschlagen. Die eingehende Analyse des Kodex stand jedoch noch aus. Ruth Goebel legt nun die Ergebnisse ihrer Forschungen zu dem Tridentiner Musterbuch vor, die, wie der Klappentext verspricht, mehr bieten als eine kritische Edition.
Den ersten Teil eröffnet die kodikologische Beschreibung des Musterbuchs, das sich aus einem Pergament- und einem Papierteil zusammensetzt und neben Zeichnungen auch eingeklebte Drucke, medizinische, religiöse und magische Texte enthält. Diese stammen vermutlich aus einem Buch, das nur Texte enthielt. Die ungewöhnliche Mischung von Texten und Zeichnungen spricht dafür, dass die Kodices früh zusammengefügt, danach aber weiter mit Skizzen gefüllt und insgesamt über 50 Jahre genutzt wurden. Die Wasserzeichen des Papiers verweisen auf eine Herkunft aus Oberitalien und sind auch auf Blättern der Pisanello-Werkstatt zu finden.
Pisanello ist unbestritten Vorbild des "Trienter" Meisters. Für die Datierung bietet die Kopie nach der Medaille des Malatesta Novello einen 'terminus post quem', der nach der kürzlich vorgeschlagenen Spätdatierung von Syson um 1450-55 statt 1438-45 anzusetzen wäre. Goebel findet die stilkritischen Argumente für eine Spätdatierung der Medaille zwar überzeugend, hält jedoch mit gutem Recht dagegen, dass das Musterbuch keine weiteren Bezüge zu Pisanellos Werken der Zeit in Neapel aufweist, sehr wohl aber zu frühen Zeichnungskomplexen der Werkstatt, wie Studien des Ferrareser Zeichners, Blätter aus dem Umkreis der della Quercia und dem Album rosso.
Der Pisanello-Forschung bieten Goebels Überlegungen zum Album rosso neuen Diskussionsstoff, da sie als Vorbild einiger Zeichnungen die verlorenen, über den Weg des Rothschild-Musterbuches vermittelten Fresken Altichieros im Skaligerpalast in Verona vermutet. Ungeachtet der Schlüssigkeit der Argumentation mag man zögern, den Nachweis als geführt zu bewerten (157), da die Abhängigkeit von einem verlorenen Werk mithilfe der thematischen Nähe isolierter Motive und stilkritischer Überlegungen lediglich mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit geführt werden kann. Plausibilität ist Goebels These gleichwohl zuzusprechen, sodass die Beziehung zwischen Georgswand (Verona, S. Anastasia) und Album rosso neu zu überdenken ist. Nach Goebel kopierte der Zeichner im Album rosso nicht nach Pisanello, sondern nach Altichiero und nutzte die Kopien zur Vorbereitung der Georgswand. Die Zeichnungen im Tridentiner Musterbuch stellen allerdings nicht mehr als ein schwaches Echo von Altichieros Werk dar, dessen Kenntnis wohl durch Zeichnungen vermittelt wurde. Goebel dehnt den Suchradius für Vergleichsbeispiele noch weiter aus auf vermutete, aber nie ausführlich diskutierte Einflüsse der Buchmalerei, etwa durch den Meister des Budapester Antiphonars und den Meister des Antiphonariums Q. Weniger überzeugend fällt dabei der Hinweis auf Werke aus dem Trentino und dem nordalpinen Bereich aus (57), wenngleich die Richtung der Suche zu stimmen scheint. Ein zweiter 'terminus post quem' von 1441/42 ergibt sich aus der sicher durch Zwischenkopien entstandenen Abhängigkeit von Folio 48 verso von einem Kopf aus Domenico di Bartolos Fresko im Ospedale della Scala. Neben Einflüssen der Florentiner und Sieneser Malerei arbeitet Goebel Anregungen durch die Pisaner Skulptur sowie die franko-burgundische Mode heraus. Ein Problem stellt bei den Vergleichen gelegentlich die mäßige Qualität der Abbildungen dar, die zwar nicht der Autorin anzulasten ist, die es dem Leser aber erschweren, die stilkritischen Vergleiche und Qualitätsurteile unmittelbar nachzuvollziehen.
Eindeutig ist jedoch die qualitative Zweiteilung des Musterbuchs, in dem verschiedene grafische Techniken Verwendung fanden. Die Gruppe A mit Pinselzeichnungen auf Pergament gibt Goebel dem Meister oder herausragenden Mitglied der Werkstatt, während sie Gruppe B mehreren Händen zuschreibt, die über einen längeren Zeitraum arbeiteten, wobei der Figurenstil der Gruppe A weiter nachweisbar bleibt. Da nur Gruppe A einen geschlossenen Bestand darstellt, muss von ihr die Frage der Zuschreibung ausgehen, wofür die Aufarbeitung der Vorbilder eine solide Basis bietet. Es ergibt sich ein Profil des Meisters, das auf einen Wanderkünstler schließen lässt, der seine Prägung in Oberitalien erhielt. Dies trifft auf Cecchino da Verona zu, dessen einzig gesichertes Werk, eine Altartafel aus der Zeit um 1454, das Diözesanmuseum in Trient aufbewahrt. Der direkte Detailvergleich mit dem Musterbuch überzeugt trotz methodischer Probleme, die sich aus dessen deutlich früherer Datierung gegenüber dem Altar ergeben. Allerdings gelingt Goebel auch der Nachweis von Einflüssen des Meisters des Parisurteils. Dabei belegt sie, dass der 'desco' der Sammlung Serristori als Fixpunkt für die Chronologie des Werkes des Parismeisters ausscheidet. Etwas zu forsch wird die These zurückgewiesen, die eine Pisaner Bruderschaft als Auftraggeber der mit "FSGB" bezeichneten Tafeln in Kansas City vermutet. Goebel zeigt an einigen Beispielen, die nicht aus der Tafelmalerei stammen, dass die Bruderschaft ein Wappen als Abbild benutzte, doch schließt dies die Verwendung von Initialen vollständig aus? Die von Longhi wiederholt bejahte Frage nach der Identität Cecchinos mit dem Parismeister verneint Goebel aus gutem Grund, da der Meister des Musterbuchs eine stärkere oberitalienische Schulung erkennen lässt. Übereinstimmungen könnten auf einen frühen Toskanaaufenthalt Cecchinos und den gleichzeitigen Aufenthalt beider Meister in einer Werkstatt zurückzuführen sein.
Die Früchte der Archivarbeit sammelt Kapitel 6; ein Anhang enthält alle Cecchino betreffenden Dokumente und Lebensdaten. Zu Goebels Neufunden gehören der Ehevertrag des Künstlers mit der Tochter eines Notars im Jahr 1438 sowie Zahlungsdokumente für die Holzdecke der Tridentiner Bruderschaft, ferner Dokumente, die Kontakt zur Familie Brenzoni belegen, die auch mit Pisanello in Verbindung stand. Offen bleibt, ob Cecchino ein temporärer Mitarbeiter Pisanellos war oder sein Schüler. Goebel gibt auch zu bedenken, dass eine breite Rezeption der Zeichnungen Pisanellos erst nach dessen Tod einsetzte (127), vermutet aber, dass der erste Kontakt zwischen Pisanello und Cecchino in Verona stattgefunden hat.
Die Überlegungen zur Funktion des Musterbuches verweisen noch einmal auf Verbindungen zur Toskana, da die Aufnahme von Schülerzeichnungen in ein Musterbuch für Oberitalien ungewöhnlich ist und eher Florentiner Praxis entspricht.
Der zweite Teil der Publikation erschließt das Musterbuch kritisch, indem jede Seite abgebildet, Texte transkribiert, Zeichnungen besprochen und nochmals Vorlagen diskutiert werden.
Goebels Studie beweist, dass auch ein Werk, das nicht den ersten Rang einnimmt, sich als wertvolles Forschungsobjekt erweist, wenn die Fragestellung entsprechend gefächert ist und die Bearbeitung mit wissenschaftlicher Akribie erfolgt. Da Goebel das Tridentiner Musterbuch in einen größeren Kontext stellt und Fragen aufgreift, die weit über die monografische Erschließung hinausgehen, darf sie mit Recht hoffen, dass ihre Untersuchungen "für einen weiten Forscherkreis von Interesse sein dürften" (157).
Ruth Goebel: Ein Musterbuch in Trient des Malers Cecchino da Verona, Weimar: VDG 2002, 365 S., 163 s/w-Abb., ISBN 978-3-89739-284-7, EUR 48,00
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