Nicht ohne Grund verweisen zahlreiche Autoren der vorliegenden Festschrift zu Dietmar Petzinas 65. Geburtstag auf die Bedeutung seiner Dissertation von 1969 über den nationalsozialistischen Vierjahresplan, gilt Petzinas Untersuchung doch auch heute noch als unverzichtbare Darstellung der Wirtschaftsgeschichte des nationalsozialistischen Deutschlands. Deshalb haben sich die drei Herausgeber entschlossen, die Festschrift thematisch auf die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der Zeit des "Dritten Reiches" auszurichten, die auch in der weiteren Tätigkeit Petzinas eines seiner Hauptarbeitsgebiete blieb. Dies erweist sich als sehr sinnvoll, da die Beiträge durchweg neue Ergebnisse präsentieren und somit insgesamt die neuen Schwerpunkte dieses Forschungsbereiches deutlich hervortreten lassen, wodurch sich der vorliegende Band vom Sammelsurium vieler anderer Festschriften positiv abhebt.
Wie die drei Herausgeber in ihrer knappen Einleitung deutlich machen, zeigt sich in der Forschung zur Wirtschaftsgeschichte der nationalsozialistischen Zeit seit den 1980er-Jahren ein Perspektivenwechsel von makroökonomisch - aber auch stärker politikhistorisch - orientierten Analysen zu mikroökonomischen Fragestellungen auf Branchen- und Unternehmensebene. Ihrer Meinung nach sollten die dabei zumeist im Vordergrund stehenden Fragen nach den Handlungsspielräumen von Unternehmen und den genauen Bedingungen wirtschaftlichen Verhaltens allerdings durch weitere Studien über die interne Entscheidungsbildung von Unternehmen und Fragen nach der konkreten Ausgestaltung der Anreizsysteme ergänzt werden.
Tatsächlich machen eben diejenigen Beiträge des vorliegenden Bandes, die einer dieser Fragestellungen empirisch auf der Ebene der Unternehmen und der Wirtschaftssektoren nachgehen, den Nutzen einer solchen Vorgehensweise deutlich. Auf der Unternehmensebene weist beispielsweise Lutz Budraß anhand der Unternehmenspolitik der Lufthansa zwischen 1933 und 1945 nach, inwieweit die eigene Strategie eines Dienstleistungsunternehmens erst unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft bis zur Unkenntlichkeit verformt wurde, sodass man sie erst nach Kriegsende weiter verfolgte. Auch der Beitrag von Heidrun Homburg über die wirtschaftliche Zusammenarbeit der deutschen und französischen Elektroindustrie im Zweiten Weltkrieg unterstreicht, wie stark die konkreten Bedingungen des jeweiligen Industriezweiges das eigentliche Unternehmenshandeln beeinflussten. Homburg führt dabei den Strategiewechsel der deutschen Elektrounternehmen hin zu einer Auftragsverlagerung im Wesentlichen auf die langfristigen Nachkriegserwartungen der deutschen Konzerne, auf frühere Verbindungen zu den französischen Unternehmen und die amerikanischen Patente, auf deren Basis die Produktion beider Seiten zu einem großen Teil beruhte, zurück. In weiteren Beiträgen untersuchen Ottfried Daschler und Dieter Ziegler die genauen Arisierungsumstände des Berliner Kunsthändlers Flechtheim beziehungsweise der ebenfalls in Berlin ansässigen Engelhardt Brauerei, während Toni Pierenkemper das Schicksal der Textilindustriellenfamilie Bendix im westfälischen Dülmen darstellt, die im NS-Staat der Kategorie der jüdischen "Mischlinge" zugerechnet wurden. Christian Kleinschmidt wiederum beschäftigt sich mit der Öffentlichkeits- und Vergangenheitspolitik der beiden I.G. Farben-Nachfolgeunternehmen Bayer und Hüls. Er kann überzeugend darlegen, dass beide schon im Nationalsozialismus Firmenmarketing betrieben und nach 1945 unterschiedlich offensiv mit der I.G. Farben-Vergangenheit umgingen. Wiederum auf der Branchenebene der Montanindustrie untersucht Klaus Tenfelde die Frage der durch den Strukturwandel ausgelösten Diskontinuitäten der industriellen Beziehungen im Ruhrgebiet zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, während Stefan Unger ebenfalls für das Ruhrrevier nach Kontinuitäten der Wirtschaftseliten von den Dreißiger- bis in die Sechzigerjahre fragt und diese im Unterschied zur bisherigen Forschung verneint.
Abschließend sind unter den mikroökonomisch argumentierenden Beiträgen des Sammelbandes die Ausführungen von Hansjörg Siegenthaler und Werner Plumpe hervorzuheben, die neue Forschungsrichtungen aufzeigen. Siegenthaler analysiert sorgsam die Handlungsmotive der Arbeiterschaft im "Dritten Reich" und will damit die bisherigen vereinfachenden und widersprüchlichen Interpretationen der Arbeitergeschichte im Nationalsozialismus (Verführung oder Zwang) überwinden. Dabei unterstellt er den Arbeitern grundsätzlich ein rationales Verhalten, das seiner Auffassung nach sowohl "intrinsisch" (Überzeugung und Wissen um Abhängigkeiten) als auch "extrinsisch" (Unterdrückung, Zwang und dessen Androhung) motiviert war. Werner Plumpe stellt auf Basis eines Forschungsüberblicks über die Unternehmensgeschichtsschreibung seit den Sechzigerjahren die Frage nach Entscheidungsstrukturen und -prozessen in den Unternehmen in den Vordergrund seiner Ausführungen und diskutiert diese in einem größeren systemtheoretischen Rahmen. Ihm zufolge blieben die Entscheidungsroutinen der Unternehmen - abgesehen von einigen Teilbereichen (unter anderem Arisierungen, Politik in besetzten Gebieten) - nach 1933 unverändert. Allerdings änderten sich die durch das Regime bestimmten Rahmenbedingungen und damit auch die Handlungsmöglichkeiten und Zwangslagen, die wiederum die Handlungsautonomie der Unternehmen in hohem Maß konditionierten, allerdings nicht automatisierten. Plumpe hält deswegen weniger die persönlichen Motive der Handelnden, sondern vielmehr die Nutzung der Freiheitsgrade für einen entscheidenden Untersuchungsgegenstand, und plädiert dafür, nicht zu fragen, ob die Unternehmen mitmachten, sondern wie sie dies taten und welche zeitlichen Phasen hierbei zu erkennen sind.
Neben den mikroökonomischen Analysen bilden die Beiträge zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und insbesondere zur damaligen Ordnungs- und Wirtschaftspolitik einen zweiten Schwerpunkt der Festschrift. Hier sind vor allem die überzeugenden Ausführungen von Johannes Bähr über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das Wirtschaftsrecht (Aktienrecht, Wirtschaftsprüfung) sowie die Leitungs- und Kontrollstrukturen deutscher Aktiengesellschaften zu nennen, die weitaus weniger dem Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie unterlagen als häufig behauptet wurde. Bähr zufolge griff man vielmehr auf Konzepte der Weimarer Zeit zurück, welche die Defizite der Corporate Governance durch eine verschärfte Kontrolle des Managements und die Einführung einer externen Zwangsprüfung behoben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Gerold Ambrosius hinsichtlich der Gesetzgebung auf dem Bankensektor sowie in der Energie- und Verkehrswirtschaft, da die staatliche Regulierung in diesen Bereichen nach 1933 ebenfalls in Kontinuität der Weimarer Politik stand und man kaum von einer eigenständigen nationalsozialistischen Rechtsetzung reden könne. Auch André Steiner, der in seinem Beitrag erstmals einen vollständigen Überblick über die Preispolitik zwischen Machtergreifung und Kriegsbeginn bietet, weist anhand zahlreicher Beispiele nach, dass der nationalsozialistische Staat aufgrund verschiedener politischer und ökonomischer Interessen (Rüstung versus Konsumentenzufriedenheit) und trotz der Einführung zahlreicher Steuerungsinstrumente die steigenden Preise letztlich nicht kontrollieren konnte. Wenig Neues bietet dagegen Werner Abelshauser, der die Entwicklung des institutionellen Gefüges der deutschen Wirtschaft unter der Frage der Kontinuität in den Blick nimmt. Er konstatiert dabei, dass das deutsche Produktionssystem sowohl in der Zeit der Weimarer Republik als auch in der NS-Zeit und in der Bundesrepublik im Wesentlichen stabil blieb. Weiter führt dagegen der Beitrag von Christoph Buchheim und Jonas Scherner, die das Anreizsystem der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und die konkreten Verfügungsrechte analysieren. Die beiden Autoren kommen anhand der zahlreichen Vertragstypen (Investitionsrisiken, Absatzgarantieren und Lieferbeziehungen), mit denen der nationalsozialistische Staat privatwirtschaftliche Unternehmen zu gewünschten Investitionen und zur Rüstungsproduktion lenkte, zu dem Ergebnis, dass weiterhin Vertragsfreiheit galt und die Unternehmen ablehnen konnten. Wenngleich der methodische Ansatz Buchheims und Scherners, das heißt die von ihnen betonte Bedeutung des Anreizsystems für die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik und ökonomische Entwicklung, wegweisend für die weitere wirtschafts- und unternehmensgeschichtliche NS-Forschung sein dürfte, so bleiben dem Rezensenten - insbesondere nach Lektüre des Beitrages von Plumpe - doch Zweifel, ob ihr Ergebnis, dass das Fehlen eines formellen negativen Kontrahierungszwanges (Möglichkeit der Ablehnung von Vertragsabschlüssen) für die Unternehmen wirklich immer deren volle Entscheidungsfreiheit zeigt.
Unabhängig davon, dass zahlreiche Unternehmensentscheidungen tatsächlich frei im Sinne des Regimes fielen, dürften andere Unternehmer zwar vor der unabhängigen Wahl gestanden haben, unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik für die Rüstung zu optieren oder vom Markt zu verschwinden. Letzteres stellte allerdings keine wirkliche Alternative dar, sodass man nicht von stets freien Wahlmöglichkeiten für alle Unternehmen ausgehen kann. Zweifellos entschieden sich die meisten Unternehmen unabhängig von den jeweiligen Handlungsspielräumen erst unter den Bedingungen der Autarkie- und Rüstungspolitik sowie innerhalb der zahlreichen Bewirtschaftungssysteme formell frei für die Rüstungsproduktion, doch gibt es zahlreiche Hinweise, dass eben ohne diese Rahmenkonstellation die Wahl völlig anders ausgefallen wäre.
Neben den Untersuchungen auf der Unternehmens- und Branchenebene beziehungsweise der Frage nach der nationalsozialistischen Ordnungs- und Wirtschaftspolitik bietet der gelungene Beitrag von Jan-Otmar Hesse über die Geschichte der Frankfurter wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät neue Einsichten in die NS-Wissenschaftspolitik, in dem er die Einzelinteressen der Akteure bei der gescheiterten personellen und intellektuellen Neuordnung der universitären Wirtschaftswissenschaft deutlich macht. Ergänzt wird die Festschrift zudem durch Peter Hertners Forschungsüberblick zur italienischen Autarkiepolitik und Alan S. Milwards Beurteilung von Petzinas Dissertation im Rahmen der NS-Forschung der Sechzigerjahre. Aus dem thematischen Rahmen des Sammelbandes fällt allein Wolfhard Webers Beschreibung über die Entwicklung technikgeschichtlicher Interessenverbände vom Kaiserreich bis heute heraus.
Insgesamt bildet die Entscheidung, die Festschrift für Dietmar Petzina dem Thema der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte zu widmen, eine gute Wahl, da die meisten der Beiträge interessante neue Ergebnisse und einige Artikel auch grundlegende innovative Anstöße für diesen Forschungsbereich bieten. Zudem macht der Sammelband deutlich, dass die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichtsschreibung über die nationalsozialistische Zeit seit den Neunzigerjahren nicht nur durch die Vielfalt der Themen, sondern auch durch die Anschlussfähigkeit an sozialwissenschaftliche Methoden gewonnen hat.
Werner Abelshauser / Jan-Otmar Hesse / Werner Plumpe (Hgg.): Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag, Essen: Klartext 2003, 391 S., ISBN 978-3-89861-259-3, EUR 29,90
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