In einer Zeit, in der die wissenschaftliche Spezialisierung ungehemmt fortschreitet, bedeutet es für jeden Historiker eine gewaltige Herausforderung, fundiert über die internationalen Beziehungen in einem Jahrhundert der Neuzeit zu schreiben. Viel zu verästelt ist mittlerweile die Forschung, weit der Gegenstand und knapp die Zeit, die dem einzelnen Wissenschaftler für seine Studien bleibt. Gantet spricht daher auch von ihrem Buch als "cet ouvrage déraisonnable" (415). Doch gebührt ihr Anerkennung für das Wagnis. Ebenso ist der Pariser Verlag Seuil für das Experiment einer "Nouvelle histoire des relations internationales" zu loben, das bereits nach dem Erscheinen von zwei der insgesamt sechs Bände mit aller gebotenen Vorsicht als gelungen bezeichnet werden kann.
Der Vorzug der Reihe besteht nämlich in der Pluralität der Zugangsweisen, die den Autoren und damit auch den Lesern eröffnet werden. Diese Multiperspektivität demonstriert ein kurzer Vergleich der beiden ersten Werke aus der Serie. Während der erste Band aus der Feder von Jean-Michel Sallmann (Géopolitique du XVIe siècle, 1490-1618) sich der Weltpolitik im Jahrhundert der Entdeckungen widmet und die internationalen Beziehungen um der geforderten Kürze willen auf Politik, Militärwesen und Handel beschränkt, beschreitet Gantet in ihrer Darstellung für das 17. Jahrhundert einen ganz anderen Weg, der zugleich Erweiterung und Verengung bedeutet. Während Sallmann tatsächlich Geopolitik beschreibt, ohne dabei in die Engstirnigkeit eines geografischen Determinismus Haushofer'scher Prägung zu verfallen, bekennt sich Claire Gantet mit aller Deutlichkeit zum Eurozentrismus. Sie untersucht nicht die Interaktion geopolitischer Akteure der Frühen Neuzeit, sondern erzählt von den Beziehungen zwischen Europäern in diesem "eisernen Jahrhundert". Den Faden Sallmanns, der in einer an Samuel Huntington gemahnenden Weise die drei kulturellen Blöcke der europäischen Mächte, der islamischen Welt und des chinesischen Imperiums konfrontiert, hat sie nicht aufgenommen. Mit diesen geopolitischen Kategorien lässt sich eine Geschichte der internationalen Beziehungen hervorragend strukturieren. Der Text verdichtet so seine Textur, verliert aber an Gefälligkeit, da er Machttatsachen in den Mittelpunkt stellt.
In der Tat verlieren die Konturen des 17. Jahrhunderts bei Gantet an Schärfe, weil der Beziehungen und Bezüge innerhalb des Kontinents viele waren, dafür verbreitert sich aber das Angebot an Zugangsmöglichkeiten. Um es noch deutlicher zu sagen: Ereignisgeschichte tritt zurück zugunsten thematischer Zugriffe und Strukturbeschreibungen. Wohl tauchen auch sie auf, die Schlachten und Begebenheiten, die Heerführer und Handelnden, alles Geschehen bleibt jedoch eingebettet in die Strukturen. Daher gibt es ein Defizit an Erklärungen. Dies ist nun nicht Claire Gantet anzulasten, die nicht erklären will, jedenfalls erhebt sie an keiner Stelle in dem Buch diesen Anspruch. Warum "siècle de fer", warum Jahrhundert der Konflikte? Die Zeit, um die es sich handelt, scheint nicht ganz in den Rahmen zu passen, in den sie die Verfasserin des Buches einpassen möchte. So stellt sich bei einigen Lesern sicherlich ein produktives Befremden ein, das zu weiterem Nachdenken führt.
Am Anfang stehen bei Gantet die Regeln der Diplomatie (21-60), die Normen des Heerwesens (61-87) und die Usancen des Wirtschaftens (89-113). Gerade die Diplomatie tritt in sehr plastischer Weise hervor als Instrument des frühneuzeitlichen Staates. Aber ein Instrument wozu? Die Antwort gibt implizit der zweite Teil "Geopolitik der Konflikte", der das Innenfutter der Handbücher traditioneller Prägung enthält, die sich globalisierenden Machtkämpfe Europas vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Spanischen Erbfolgekrieg (119-245). Darauf folgt ein dritter Hauptteil über Formen von Kontakt und Austausch unter den Europäern des Barockzeitalters (247-320), über die Strömungen der Informationen, über die Wanderungen von Menschen und Ideen in dieser Zeit. Dank der Disposition des Buches wird die verstörende Geschichte der Konflikte im 17. Jahrhundert gleichsam eingerahmt vom Verbindenden, vom Verlauf der Strukturen und vom Geflecht friedlicher Kontakte.
Einem rebellischen Leser drängt sich mitunter der Eindruck auf, als ob dieses in vielerlei Hinsicht so beunruhigende Jahrhundert damit als bewältigt gelten soll. Doch dies wäre gewiss eine unangemessene Unterstellung. Gantet behandelt die Gegenstände im Lichte neuester Forschungsergebnisse, die sich in der französischen, deutschen und angelsächsischen Literatur niedergeschlagen haben. Fachwelt und Publikum werden das Buch daher gut aufnehmen. Es überzeugt durch die Weite des Blickes und die Fülle der ausgebreiteten Kenntnisse. Freilich gilt, dass Gantet ein europäisches Geschichtswerk geliefert hat. Sie begründet dies damit, dass im 17. Jahrhundert kein globaler Raum existiert habe: "un tel espace mondialisé n'est que le fait du XXe siècle" (115). Für die harten Tatsachen in Politik und Wirtschaft trifft dies doch sicherlich nicht zu. Aber darüber wird zu diskutieren sein.
Claire Gantet: Guerre, paix et construction des États 1618-1714 (= Nouvelle histoire des relations internationales; 2), Paris: Éditions du Seuil 2003, 414 S., ISBN 978-2-02-039513-7, EUR 9,00
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