Die Außenpolitik John F. Kennedys erfreut sich großer historiografischer Aufmerksamkeit. Die schweren Krisen in Europa und in der Karibik ziehen das Interesse der Historiker nahezu magisch auf sich. Dabei fällt die Bewertung des jungen Präsidenten auch vierzig Jahre nach dessen Ermordung noch sehr unterschiedlich aus. Während die einen den Berufspolitiker aus Massachusetts als eher schwachen Außenpolitiker bezeichnen, sehen andere Kennedy als durchaus erfolgreichen Staatenlenker, der hartnäckig seine Ziele verfolgt und letztlich auch durchgesetzt habe.
Der Autor der vorliegenden Studie, die überarbeitete Fassung einer von Kurt R. Spillmann an der Universität Zürich betreuten Dissertation, plädiert nachdrücklich für eine weitgehend positive Sichtweise der Außenpolitik Kennedys. Münger nutzt gekonnt die Krisen in Berlin und Kuba, um die Beziehungen innerhalb der NATO zu beleuchten, und schildert in lebendiger Sprache die tiefen Zerwürfnisse innerhalb des westlichen Bündnisses. Obschon seit langem bekannt war, dass die NATO zu Beginn der 1960er-Jahre in schweres Wasser gekommen war, gewinnt der Verfasser dieser tiefen Krise auf beeindruckender Quellenbasis neue Erkenntnisse ab. Hier zeigt sich, wie gewinnbringend Archivstudien auf internationaler Ebene sein können. Münger hat Dokumente in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland gesichtet und für seine Forschungen genützt.
Der Autor stellt zwei prozesshafte Entwicklungen in das Zentrum seiner Betrachtung: "die Herausbildung des Gleichgewichts des Schreckens sowie das zunehmende außenpolitische Selbstvertrauen der Alliierten" (20). Er hebt zudem hervor, dass Kennedy bereits 1961 von einer Parität im Kernwaffenbereich zwischen den Vereinigten Staaten und der UdSSR ausging. Münger deutet daher den Anfang der 1960er-Jahre als "Epochenwende" (37) im Kalten Krieg, der nach 1963 in eine ruhigere Phase, in eine "Epoche der Stabilität" (361) eingetreten sei. Der Autor lehnt sich damit stark an Marc Trachtenbergs Studie "A Constructed Peace" an.
Wie Trachtenberg rückt Münger die deutsche Frage in das Zentrum des Kalten Krieges und veranschlagt die potenzielle Verfügungsgewalt der Bundesrepublik Deutschland über Nuklearwaffen nicht nur als wichtigen Auslöser der Berlin-Krise, sondern auch als eine der tief sitzenden Ängste der sowjetischen Führung. Diese Sichtweise ist oft vertreten worden, ohne dass bisher eindeutige Belege aus den sowjetischen Archiven beigebracht worden wären. Für Münger war jedenfalls die Außenpolitik des Kremls cum grano salis defensiv - auch die Raketenstationierung auf Kuba.
Mit dieser Interpretation entfernt er sich jedoch weit von der damaligen Einschätzung. Kennedy sah die Sowjetunion als äußerst aggressiv an. Er glaubte in der Tat, dass, wie John Lewis Gaddis bemerkt hat, "history itself had turned against the United States". Nur aus diesem Gefühl, weltweit in die Defensive gedrängt worden zu sein, wird die Politik Kennedys letztlich verständlich. Diese psychologische Perspektive kommt bei Münger zu kurz. Er zeichnet den amerikanischen Präsident stattdessen als kühlen Realpolitiker.
Innerhalb der westlichen Allianz betont Münger an vielen Wegmarken die starke Stellung Adenauers, der lange Zeit eine Veto-Position bezüglich der Deutschlandpolitik innegehabt habe. Diese sei erst massiv unter Druck geraten, als Kennedy seine "Feuertaufe in der Karibik" (230) bestanden hatte, denn die Öffentlichkeit dies- und jenseits des Atlantiks deutete ohne Kenntnis der weitreichenden amerikanischen Zugeständnisse die Kuba-Krise als amerikanischen Sieg. Völlig zu Recht bewertet Münger - auch in diesem Fall ganz auf der Höhe der Forschung - den Ausgang als "Remis" (235).
Kenntnisreich schildert der Autor den Höhepunkt der Blockbildung innerhalb der NATO zwischen Nassau-Abkommen, de Gaulles Doublenon und der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags zum Jahreswechsel 1962-1963, als sich die USA und Großbritannien sowie Frankreich und die Bundesrepublik diametral gegenüberstanden. Vor allem zwei Faktoren führten dann zur "Marginalisierung des Elysée-Vertrags" (289): der amerikanische Druck auf die Bundesrepublik sowie die Zerstrittenheit sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch in den Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag über den einzuschlagenden außenpolitischen Kurs.
Als diese Bewährungsprobe überstanden war, habe es Kennedy mit großem Geschick verstanden, sein ursprüngliches Ziel erneut anzusteuern: eine Entspannung mit der Sowjetunion, die "auf eine beidseitig respektierte Koexistenz der beiden Blöcke in Zentraleuropa abzielte" (348). Münger deutet, wie Trachtenberg, das partielle Atomteststoppabkommen vom Sommer 1963 als verdecktes Berlin-Abkommen und billigt ihm damit ein großes Stabilisierungspotenzial zu - in letzter Konsequenz, weil damit ausgeschlossen gewesen sei, dass die Bundesrepublik Deutschland jemals Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen erlangen könnte.
Das klug argumentierende Buch hebt vollständig auf die nur scheinbar objektivierbaren Maßstäbe von Macht und Gegenmacht ab. Der Kalte Krieg wird von Münger als rationale Kabinettspolitik präsentiert. Dabei blendet er sowohl die ideologischen als auch die psychologischen Aspekte dieses weltweiten Ringens nahezu völlig aus. Auch die Persönlichkeiten der handelnden Akteure bleiben gleichsam blutleer. Der Autor setzt mit dieser Art der Betrachtungsweise einen Rahmen, in welchem er mit großem Geschick und historischem Gespür die schwere Krise innerhalb des westlichen Bündnisses intensiv beleuchtet. Dass der Kalte Krieg jenseits dieses Bezugsrahmens auch andere Facetten und Perspektiven aufwies, entgeht aber Müngers scharfem Blick.
Christof Münger: Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise. Die westliche Allianz in der Zerreißprobe 1961-1963, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, 404 S., ISBN 978-3-506-77531-3, EUR 39,00
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