Im Vergleich mit den ersten beiden Bänden über den Mainzer Kurfürsten als Reichserzkanzler, die Peter Claus Hartmann in den Jahren 1997 und 1998 herausgegeben hat, weist die neue Sammlung eine weniger kohärente Struktur auf. Verschiedene Beiträge (René Pillorget, Eike Wolgast), so verdienstvoll sie an und für sich auch sein mögen, berühren die Thematik nur sehr indirekt. Es fehlt eine zentrale Frage und damit ein eigenständiges Profil. Trotz dieser kritischen Anmerkungen haben wir es hier ohne Ausnahme erneut mit hochkarätigen Untersuchungen zu tun, die eine Veröffentlichung rechtfertigen. Vor allem diejenigen Beiträge vermögen zu überzeugen, die sich mit der Wechselwirkung zwischen Konfessionalisierung, Staatsgewalt und kulturhistorischen Dimensionen des Mainzer Territoriums in der Frühen Neuzeit befassen.
Alois Schmid setzt sich in seinem Aufsatz mit den Klosterbibliotheken des Barock im fränkischen und kurrheinischen Raum auseinander. Zwar liegen zu einzelnen Klöstern schon mehrere Untersuchungen vor, doch eine Gesamtdarstellung über die Klosterbibliotheken in diesen Territorien, die sämtliche kulturhistorische Aspekte berücksichtigt, steht noch aus. Selbstverständlich erhebt Schmid hier nicht den Anspruch, diese Forschungslücke schließen zu können. Er führt aus: "Es gilt, ein lohnendes Arbeitsfeld zumindest einmal abzustecken und die wichtigsten Grundlinien der Entwicklung der Klosterbibliotheken im Zeitalter der Aufklärung deutlich zu machen" (54). In einem ersten Schritt beschreibt er die Räume der von ihm untersuchten Klosterbibliotheken, um sich dann anschließend den Bücherbeständen zu widmen. Zuletzt befasst er sich mit der Funktion der Klosterbibliotheken zur Zeit der Aufklärung. Dabei räumt er mit dem alten Vorurteil über die kulturelle Rückständigkeit katholischer Klöster im 18. Jahrhundert gründlich auf. Schmidt zeigt, wie die Mehrzahl der Klöster in Mainfranken und am Mittelrhein bezüglich des Erwerbs ihrer Bücher und des Bildungsprogramms bemüht war, eine Synthese zwischen katholischer Religion und Aufklärung herbeizuführen. Das Benediktinerkloster Banz hatte sich den Idealen der Aufklärung sogar voll und ganz verschrieben.
Michael Müller behandelt in seinem Beitrag das Thema der Jesuiten als Beichtväter der Mainzer Kurfürsten im 17. Jahrhundert. Er stellt - ähnlich wie Schmid für seinen Bereich - fest, dass über die Beziehungen der Mainzer Kurfürsten zur Gesellschaft Jesu bisher noch keine umfassende Darstellung vorliegt. Vor allem eine systematische Untersuchung über die Rolle der Jesuiten in der höfischen Politik des Mainzer Kurfürstentums betrachtet Müller als wichtiges Desiderat. Bei einer solchen Untersuchung seien vier Gesichtspunkte zu unterscheiden (95 f.): 1. Die institutionalisierte Funktion von Jesuiten als Beichtväter der Mainzer Kurfürsten ist zu trennen von dem mehr indirekten, ideell-geistigen Einfluss einzelner Ordensmänner am Hofe; 2. Die Förderung der Jesuiten durch Mainzer Kurfürsten ist nicht nur als Ausdruck persönlicher Frömmigkeit, sondern auch als Instrument landesherrlicher Politik zu bewerten; 3. Die Haltung einzelner Mainzer Kurfürsten gegenüber den Jesuiten weist erhebliche Unterschiede auf und verdient deshalb eine differenzierte Betrachtung; 4. Der Mainzer Kurfürst verfügte als Landesherr und als Reichserzkanzler über eine Doppelstellung im Reich, die seine Beziehungen zu den Jesuiten bestimmte - man denke in diesem Zusammenhang an den Einfluss der Jesuiten am Wiener Hof.
Im Mittelpunkt der Darstellung Müllers steht der Jesuit Johann Reinhard Ziegler (1569-1636), der für mehrere Mainzer Kurfürsten als Beichtvater tätig war. Dieser erwarb sich nicht nur aufgrund seiner seelsorgerischen und diplomatischen Fähigkeiten hohes Ansehen in Mainz, sondern er war auch ein hervorragender Mathematiker und Astronom, der unter anderem mit Johannes Kepler eine gelehrte Korrespondenz führte.
Peter Claus Hartmann beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den staatlichen Strukturen des Mainzer Kurfürstentums. Obwohl seine Darstellung keine neuen Erkenntnisse enthält, ist sie in ihrem zusammenfassenden Charakter eine vorzügliche Einführung in die Thematik. Zu Recht hebt Hartmann die Bedeutung des Kurrheinischen und Oberrheinischen Kreises für die Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Mainzer Territoriums hervor.
Zu den interessanten Aspekten des Aufsatzes von Helmut Schmahl über die Auswanderung aus Kurmainz im 18. Jahrhundert gehört neben dem dezidiert sozialgeschichtlichen Ansatz die Feststellung, dass Regierung und Lokalbehörden in dieser Frage unterschiedliche Ziele verfolgten. Während die Regierung die Auswanderung als einen Aderlass für das Land betrachtete und versuchte, sie zu unterbinden, begrüßten die Lokalbehörden die Auswanderung als eine Entlastung für die Armenfürsorge. Leider vergleicht der Autor die Ergebnisse seiner Untersuchung nicht mit der Situation in anderen Territorien.
Lesenswert ist auch der Beitrag von Ludolf Pelizaeus über die Bestechlichkeit des Mainzer Kurfürsten in seiner Rolle als Reichserzkanzler. Er behandelt die Frage anhand von zwei konkreten Fällen aus dem 18. Jahrhundert. Auch hier fehlt leider der große Bogen. Konrad Amann vermittelt zum Schluss einen informativen Einblick in das Erzkanzlerarchiv und verknüpft dies mit einer Darstellung über die Aufgaben der Erzkanzlei in der Frühen Neuzeit.
Nach der Lektüre des Bandes hegt der Rezensent noch zwei Wünsche: die baldige Veröffentlichung eines üppig ausgestatteten Bildbandes über die Klosterbibliotheken des Mainzer Kurfürstentums sowie eine Monografie über die faszinierende Gestalt des Johann Reinhard Ziegler.
Peter Claus Hartmann (Hg.): Reichskirche - Mainzer Kurstaat - Reichserzkanzler (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; Bd. 6), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 205 S., zahlr. Abb., 2 Graf., ISBN 978-3-631-37663-8, EUR 40,00
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