Kommunikation und Medien scheinen Modethemen in einer Welt zu sein, die sich selbst als Schnittstelle zwischen einer analogen Moderne und einer digitalen Postmoderne beschreibt. Für die Geistes- und Kulturwissenschaften sind diese Themen aber ungleich mehr: der Versuch, nach den vielen Turns der vergangenen Jahrzehnte, die von der Rezeption des älteren linguistic turn, über den visual turn, den body turn und den cultural turn reichten, einen archimedischen Punkt zu finden, von dem aus eine vergleichsweise einheitliche Basis wissenschaftlicher Thematisierung von Wirklichkeit möglich ist. Dieser Anspruch, nicht nur einen neuen Gegenstand, sondern eine neue Form der Thematisierung von Geschichte gefunden zu haben, wird im Gesamtkonzept sowie in vielen einzelnen Beiträgen des von dem Berliner Historiker Bernd Sösemann herausgegebenen Bandes zur Kommunikations- und Mediengeschichte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert deutlich. Dem Herausgeber geht es mit seinem Band um mehr als die Beschreibung eines weiteren Teilbereichs historischer Entwicklung. Kommunikation und Medien werden vielmehr als zentrale konstitutive Forschungsparadigmen für den Übergang von der Frühmoderne zur Moderne verstanden. Mit der Fokussierung auf die "öffentliche Kommunikation" ist es dem Herausgeber nicht nur gelungen, dem umfangreichen Sammelband ein stimmiges einheitsstiftendes Band zu geben. Vielmehr ist damit jener Punkt beschrieben, der am ehesten geeignet ist, die neuen Tendenzen der Forschung mit der bereits traditionellen Thematisierung von Kommunikation, wie sie in den 1960er- und 70er-Jahren entstanden ist, zu verbinden und zu einer fruchtbaren Synthese zu bringen.
Der Band geht auf zwei Tagungen der Jahre 1999 und 2000 der 'Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte' zurück, die noch mit "Kommunikation und Assoziation in Preußen" überschrieben waren. [1] Der Band ist interdisziplinär angelegt und umfasst 22 Beiträge sowie eine Einleitung des Herausgebers. Der Fokus liegt auf dem 18. und 19. Jahrhundert als Zeit der sich etablierenden Moderne, es wird aber in einigen Beiträgen versucht, das Thema 'Öffentlichkeit', das nicht nur ein Gegenstand, sondern auch ein Selbstreflexionsinstrument der aufgeklärten und frühmodernen Gesellschaft ist, auf die Vormoderne anzuwenden.
Ernst Opgenoorth geht der Begrifflichkeit einer frühneuzeitlichen Kommunikation nach und betont, dass Öffentlichkeit für die Frühe Neuzeit nicht allein aus staatlicher Perspektive beschrieben werden darf, sondern über eine "allgemeine Zugänglichkeit" (44) definiert werden muss. Daraus wird die Folgerung abgeleitet, den Begriff der "Teilöffentlichkeiten" stärker zu differenzieren und spezifisch für eine Betrachtung der Frühen Neuzeit zu entwickeln. Dies schließt an die Forschungen von Esther-Beate Körber an, die sich in ihrem Beitrag der Druckerei in Königsberg als Mediator öffentlicher Kommunikation in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts widmet.
Entsprechend der klassischen Thematisierung von öffentlicher Kommunikation beschäftigen sich eine Reihe von Aufsätzen mit der Geschichte des Zeitungswesens. Jürgen Wilke fasst ihre Frühgeschichte im 17. und 18. Jahrhundert zusammen. Die weitere Entwicklung wird von verschiedenen, zentralen Teilaspekten her aufgearbeitet, sodass ein konsistentes Gesamtbild entsteht, das in der Forschungsliteratur bislang nur selten anzutreffen war: Der Zensur widmen sich in ihren Beiträgen Gerd Kleinheyer und Grzegorz Kucharczyk, dem Verhältnis von Staat und Verleger geht Rudolf Stöber nach. Weitere Artikel befassen sich mit dem Kalenderwesen (Volker Bauer), den Lesegesellschaften (Uwe Puschner) sowie den Intelligenzblättern (Holger Böning). Jörg Requate analysiert das Gerücht als konstitutiven medialen Faktor im Zeitungswesen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. In einem kurzen Beitrag, der den Gestus des Vortrags bis hin zu den Anreden des Publikums behalten hat, umreißt Hermann Haarmann die Wandlungen, die das Theater als spezifische Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert auf Grund der Verbürgerlichung der Lebenswelt erlebt hat.
Die Beiträge zum 19. Jahrhundert fokussieren deutlicher den zumeist politisch motivierten Meinungsstreit, der die Öffentlichkeit als Forum zur Auseinandersetzung um sich ausbildende partei- und partikularpolitische Interessen nutzt. Karen Hagemann untersucht Medien und Strukturen einer Mobilisierung der politischen öffentlichen Meinung während der antinapoleonischen Kriege. Mehrere Beiträge analysieren die Publizistik im Kontext der preußischen Reformzeit mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten: Hans-Christof Kraus beschreibt den Publizisten Theodor Schmalz, Ludger Herrmann untersucht die Strukturen der Reformpublizistik und stellt deren einflussreiche Bedeutung für die Konstituierung einer breiten, öffentlich geführten politischen Debatte heraus, und Andrea Hofmeister analysiert unterschiedliche Fraktionsbildungen im Kontext der Pressepolitik mithilfe eines Netzwerkkonzepts. Ähnlich angelegt ist der Beitrag von Ursula Fuhrich-Grubert, die am Beispiel des Oberpräsidenten Theodor von Schön die Bildung von politischen Netzwerken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht. Aspekten der Kontrolle veröffentlichter Meinung und der Entstehung eines "Meinungsmarktes" (364) widmen sich die Beiträge von Jürgen Frölich und Grzegorz Kucharczyk. Dem Medium der humoristisch-satirischen Wochenblätter geht Ursula E. Koch nach. Magdalena Niedzielska untersucht die vormärzlichen Vereine als Foren und Bühnen der sich ausbildenden Öffentlichkeit. Rudolf Stöber legt einen Zwischenbericht über die Erstellung einer umfangreichen Pressestatistik in Preußen von den Anfängen des Zeitungswesens bis zum Jahr 1871 vor. Zeitlich über den im Titel genannten Zeitraum hinaus geht der Beitrag von Wilhelm Kreutz, der die Rundfunk- und Filmpolitik im Preußen der Weimarer Republik behandelt.
Der Band umkreist mithin zwei Schwerpunkte: Für die Vormoderne steht im Mittelpunkt die Konstituierung öffentlicher Printmedien, für die Moderne wird das Thema auf deren Rolle bei der Austragung partikular- und parteipolitischer Auseinandersetzungen fokussiert. Beide Schwerpunkte bilden gemeinsam das vom Herausgeber als interdisziplinär und vergleichend angelegte Fachgebiet einer "Geschichte der öffentlichen Kommunikation". Mit diesem nicht nur gegenstandsspezifisch, sondern konzeptionell verstandenen Begriff wendet sich Sösemann bewusst gegen die Verwendung des in seinen Augen unzureichend konzeptionell gefassten, derzeit aber häufig verwendeten Begriffs der "Kommunikationsgeschichte" (10). Eine "Geschichte der öffentlichen Kommunikation", zu deren begrifflicher wie konzeptioneller Fundierung der vorliegende Band Entscheidendes beisteuert, sei noch weitgehend ungeschrieben, da überzeugende, interdisziplinär ausgerichtete Forschungen fehlten (12). In seiner Einleitung stellt der Herausgeber fünf Anforderungen an eine Geschichte der öffentlichen Kommunikation(13): Sie muss erstens einer systematisch kritischen Quelleninterpretation folgen; sie muss zweitens kulturhistorisch akzentuiert sein, aber die Sozial-, Alltags- und Mentalitätsgeschichte integrieren (wobei man die explizite Nennung der Wirtschaftsgeschichte vermisst und die Politische Geschichte wohl in einem Kulturbegriff aufgehoben sehen muss, der als 'Politische Kultur' akzentuiert ist); sie muss drittens multiperspektivisch angelegt sein, was heißt, die unterschiedlichen Akteure wie Autoren oder Rezipienten ebenso berücksichtigen wie die Strukturen; sie muss viertens so angelegt sein, dass Ereignisse, Biografien und Strukturen so verbunden sind, dass sie eine Grundlage für transnationale und interdisziplinäre Forschungen bieten; und sie muss fünftens das Zusammenwirken der Medien behandeln.
Nicht jede dieser Forderungen ist spezifisch für eine neue Geschichte der öffentlichen Kommunikation, und auch wenn hier eine aus nationaler Verengung befreite Form der Thematisierung von Öffentlichkeit gefordert wird, bleiben eine Reihe von Fragen offen: Wie eine solche Geschichte konzeptionell zu fassen ist - und warum gerade die Setzung einer Differenz von Öffentlichkeit und Privatheit hinreichend ist, ein Forschungsparadigma zu konstituieren - und wie eine aktuelle Kommunikations- und Mediengeschichte zu definieren ist? Zwar gibt es unter dem Begriff der Kommunikationsgeschichte derzeit vieles, das kaum mehr als eine positivistische Beschreibung einzelner Medienentwicklungen ist - dies kritisiert der Herausgeber zu Recht. Aber unter dem Begriff formieren sich auch Forschungen, die zentrale Funktionen von Kommunikation für Gesellschaft und Kultur und damit für Geschichte untersuchen, die nicht im Begriff der Öffentlichkeit aufgehen. Als Beispiele seien nur genannt die an vielen Stellen betriebenen Untersuchungen von Verwaltungssprachen, die als Konstitutionsformen von alltäglicher Wirklichkeit beschrieben werden, oder die Formen intergenerationeller, intergeschlechtlicher und interkultureller Kommunikation, die meist im vermeintlich unwichtig erscheinenden Bereich des Privaten stattfinden, dennoch zur Konstituierung gesellschaftlicher wie kultureller Strukturen einer Epoche von hoher Bedeutung sind. [2] Solche Forschungsfragen, die auch unter dem Titel "Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" einzuordnen wären, gehen über den etablierten Medienbegriff hinaus, der darunter die öffentlich zugänglichen Massenmedien begreift, und zielen auf die Analyse von sozialen und körperlichen Praktiken, Ritualen und symbolischen Handlungen als Medien der Kommunikation, die zugleich historische Wirklichkeiten schaffen.
Die Reduktion des vorliegenden Bandes auf das Feld der öffentlichen Kommunikation ist umso bemerkenswerter, als es gerade Sösemanns Beitrag selbst ist, der sich von allen am Weitesten der neuen Symbol- und Ritualgeschichte annähert, indem er das "Medium Fest" verwendet, um Öffentlichkeit als Ort der zeremoniellen Selbstinszenierung des preußischen Königtums zwischen 1701 und 1851 zu untersuchen.
Die meisten Artikel haben handbuchartigen Charakter, was das Buch besonders für jene zur lohnenden Lektüre macht, die sich in die Facetten des Themas einarbeiten wollen. Es ist in der Breite der behandelten Phänomene einmalig und daher besonders empfehlenswert für Studierende, wobei die Einschränkung angebracht erscheint, dass "Medien und Kommunikation in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" nur insoweit thematisiert werden, als sie dem Konzept einer "öffentlichen" Kommunikation verpflichtet sind, was auf ein spezifisches Konzept von Politik und Gesellschaft referiert. Insofern wäre der Titel sicher zu modifizieren gewesen. Angesichts der Qualität des Bandes kann dies aber nicht als Kritik verstanden werden, vielmehr als eine Hoffnung, dass auch diesem Bereich der Kommunikations- und Mediengeschichte ein ähnlich engagiertes, umfassendes und fundiertes Buch gewidmet werden könnte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. http://www.fu-berlin.de/akip.
[2] Vgl. u.a. Angelika Menne-Haritz: Geschäftsprozesse der Öffentlichen Verwaltung. Grundlagen für ein Referenzmodell für elektronische Bürosysteme, Heidelberg 1999; Miriam Gebhardt: Das Familiengedächtnis. Erinnerungsstrategien im deutsch-jüdischen Bürgertum 1890-1932, Stuttgart 1999; Cornelia Vissmann: Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt a.M. 2000.
Bernd Sösemann (Hg.): Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 12), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 474 S., ISBN 978-3-515-08129-0, EUR 58,00
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