Seit jeher suchen Philosophen das Gespräch mit den großen Denkern der Geschichte. So auch Martin Schneider im vorliegenden Werk über das philosophische Denken in der europäischen Frühmoderne. Dem Autor geht es um eine ideengeschichtliche Epochendarstellung, die sich aber nicht an typischen Gelehrten und ihren Lehren, sondern an Leitideen und Themen orientiert, die das "Signum einer Epoche" (7) kennzeichnen. Es geht um "Leitgedanken" eines "neuen Weltverständnisses" (ebenda). Diese sollen jedoch nicht in ihrer Allgemeinheit, vielmehr in ihrer konkreten Ausformung bei einem Autor erörtert werden. Dabei gilt es, einen Eindruck von den brennenden Problemen der Zeit, die auch unser Interesse wecken, zu vermitteln. Mit diesem Vorgehen erhebt Schneider den Anspruch, eine - vermutlich für Studenten gedachte - handbuchartige Einführung in die Geschichte der Philosophie des 17. Jahrhunderts auf der Basis eines Ansatzes zu schreiben, der sowohl Autoren und Probleme wie auch Gegenwart und Vergangenheit mit einander zu verbinden sucht.
Hervorzuheben ist hier das Bemühen, aus dieser Perspektive eine in der Forschung notorisch vernachlässigte Zeitepoche philosophiehistorisch zu erhellen. Gemeint ist die Zeit zwischen Reformation und Aufklärung. Dementsprechend spricht Schneider diesem Abschnitt der Geschichte jedwede Eigenständigkeit ab und klassifiziert ihn als eine Epoche der Übergänge. Ein ausgedehnter Übergang freilich, denn Schneider konzediert ein langes 17. Jahrhundert, das - wollte man präzise Jahreszahlen nennen - von 1563 (dem Ende des Konzils von Trient) bis 1715 (dem Tod Ludwig XIV.) reichen würde. Den Zugang zu jener angeblich transitorischen Periode wird über das Angebot eines Gesamtbildes eröffnet, das die Vielfalt der Themen bündeln soll. Die hierzu gewählte Systematik ist überzeugend. In acht paarweise zusammengehörigen Kapiteln wird - systematisch stringent - der Weg vom Menschen zur Welt, vom theoretischen Weltverständnis zur praktischen Lebensbewältigung, vom Geschöpf zu Gott, vom Individuum zur Gemeinschaft aufgezeigt. Dabei räumt Schneider ein, dass im Rahmen eines solchen gedrängten Überblicks nur Schlaglichter und besondere Akzente gesetzt werden könnten, und stellt zu Recht fest, jede Auswahl sei naturgemäß subjektiv und selektiv und werde retrospektiv vom aktuellen Problembewusstsein des Betrachters bestimmt. Neben der Systematik überzeugt ebenfalls die enge Auseinandersetzung mit den Primärtexten. Der Gang der Darstellung, mit großer interpretatorischer Schärfe und Klarheit ausgeführt, bewegt sich in unmittelbarer Anlehnung an eine quellennahe Analyse von Autoren wie Grotius, Descartes, Hobbes oder Leibniz. Was den Philosophen interessiert, ist nicht die Forschungsliteratur, sondern der Dialog mit den klassischen Denkern selbst.
Indem sich das Buch damit ganz in den Bahnen traditioneller Philosophiegeschichte bewegt, werden zugleich auch einige Mängel sichtbar. Der Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur ist insofern bedauerlich, weil zu den älteren Gesamtdarstellungen so pointierte wie umstrittene Werke zählen - wie etwa die Arbeiten von Paul Hazard, Frances A. Yates, Reinhart Koselleck oder Panajotis Kondylis. In der jüngeren Forschung hat die traditionelle Philosophiehistoriografie indes Konkurrenz von der "Neuen Ideengeschichte" bekommen, die sich nicht mehr als Gipfelwanderung versteht, auf der die Interpreten in windiger Höhe das Gespräch mit den großen Denkern suchen, sondern als eine Sozialgeschichte der Ideen, die den einzelnen Philosophen in seinen zeitgenössischen Kontext einrückt. Aus dieser Perspektive wäre zum Beispiel auf die Einbettung der philosophischen Diskurse in die für diese Zeit typischen wissenschaftlichen Kommunikationsräume der gelehrten und geselligen Akademien sowie der gerade im 17. Jahrhundert expandierten Korrespondenzen hinzuweisen. Solche Netzwerkbildungen entsprachen dem Selbstbild der Gelehrten als grenzüberschreitende res publica litteraria. Auf diese Weise hätte man das zum Weltverständnis gehörende zeitspezifische Selbstverständnis stärker in die Untersuchung einbinden können. Zu erwähnen sei hier nur die "Querelle des Anciens et des Modernes", welche die Selbstsicht vieler Gelehrter im 17. Jahrhundert im dualen Denkschema von Verfallsgeschichte und Fortschrittsgeschichte polarisierte. Die Einbeziehung dieser philosophiegeschichtlichen Selbstverortung hätte sogar als Argument für die im Buch vertretene These der Übergangsepoche herangezogen werden können.
Auswahl und Beschränkung sind für eine solche Gesamtdarstellung freilich notwendig, indes lohnt sich aber der Blick hinunter vom philosophischen Höhenkamm. Sichtbar werden so beispielsweise die an Henry More und Bernard le Bovier de Fontenelle anschließenden Debatten über die Unendlichkeit des Weltalls und die Pluralität der Welten ebenso wie die Präadamiten-Diskussionen im Gefolge der provokanten Thesen von Isaac La Peyrère oder die an Thomas Burnets "Sacred Theory of the Earth" entzündeten Geogonie-Debatten über die Geschichte der Erde, der Natur und des Menschen. Wer diese Diskussionen vernachlässigt, der verzichtet darauf, zwei der wichtigsten philosophischen Innovationen dieser Zeit, nämlich die Reflexionen über die Entdeckung des Weltraumes und der Tiefenzeit von Mensch und Natur, zu behandeln.
Dabei wäre dies ganz im Sinne des gewählten Ansatzes gewesen, denn im Buch ist der philosophiehistorische Blick gerade auf das Neue gerichtet: etwa die methodisch geleitete Vernunft oder die empirischen Naturwissenschaften. Ausgeblendet bleiben die ebenfalls im 17. Jahrhundert florierenden Wissenschaften der Hermetik und Alchemie, obwohl man über die "okkulte Seite" von Isaac Newton, Robert Boyle und anderen Helden der "modernen" Naturphilosophie inzwischen gut informiert ist. Schneider übernimmt die traditionelle Säkularisierungsthese und verzichtet weitgehend darauf, die heute kaum mehr bestrittene Einbettung von Philosophie und Wissenschaft in religiöse Denkmuster, wie sie etwa in der Physikotheologie ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck kam, eingehender zu thematisieren.
Die Trefflichkeit der ansonsten präzise und zugleich luzide formulierten Analysen bleibt freilich unbestritten. Die Miteinbeziehung der genannten Aspekte wäre jedoch für das Gesamtbild der Epoche ein Gewinn gewesen. Während hier sprachliche Markierungen wie "noch" und "schon" die Epoche des langen 17. Jahrhunderts als eine Schwellenzeit charakterisieren, würde die Aufhebung der Beschränkung auf die Behandlung von - aus heutiger Sicht - "modernen" Gipfelphilosophen die Sicht freigeben auf ein breiteres Feld philosophischer Diskussionen. Auf diese Weise kommt dem Zeitraum sicher mehr Eigenständigkeit zu, als es der Charakter des Übergangs auszudrücken vermag. Bezieht man alle Höhenlagen und Niederungen der Philosophie mit ein, müsste man statt im Singular im Plural von "Weltbildern" des 17. Jahrhunderts sprechen.
Martin Schneider: Das Weltbild des 17. Jahrhunderts. Philosophisches Denken zwischen Reformation und Aufklärung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 320 S., ISBN 978-3-534-15764-8, EUR 34,90
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