Gaza war in der Spätantike eine blühende Handelsstadt, Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen und mit seinem Seehafen Maiuma angeschlossen an den Handel mit dem gesamten Mittelmeer. Besondere Berühmtheit genoss das spätantike Gaza für seine Rhetorikschule, die Schüler aus der gesamten östlichen Reichshälfte anzog, aber auch für die in der Umgebung der Stadt gelegenen monastischen Gemeinschaften und deren führende Häupter. Nun könnte man erwarten, dass sich die Beiträge in diesem Band um diese zentralen Aspekte gruppieren. Wer aber aufgrund des Titels "Christian Gaza in Late Antiquity" einen weiteren Beitrag zu der in jüngster Zeit lebhaft geführten Debatte über 'Decline and Fall' der Stadt in der Spätantike [1] erwartet hat, dürfte enttäuscht sein. Keiner der Beiträge beschäftigt sich mit der Wirtschaft und Verwaltung der Stadt, dem politisch-ökonomischen Machtzuwachs des Bischofs oder dem Schicksal des Kurialenstandes. Die Rhetorikschule von Gaza wird nur am Rande im letzten Beitrag von Yakov Ashkenazi angesprochen. [2] Nach den ersten beiden Beiträgen zum Fortleben des Heidentums in Gaza bis ins frühe 5. Jahrhundert wenden sich alle übrigen den ab dem 4. Jahrhundert im Gebiet von Gaza sich ansiedelnden monastischen Gemeinschaften zu. Der Titel der ursprünglich geplanten Konferenz "Christianity in the Region of Gaza in Late Antiquity", die im Oktober 2000 in Jerusalem und Gaza stattfinden sollte, aufgrund des erneuten Ausbruchs der al-Aqsa Intifada aber auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste, und zu der die in diesem Sammelband vereinten Aufsätze geplante, aber nie gehaltene Beiträge darstellen, trifft die Thematik dieses Sammelbandes besser als der letztlich gewählte Titel.
Nichtsdestotrotz ist eine zusammenführende Darstellung der Geschichte der monastischen Gemeinschaften um Gaza seit langem ein Desiderat. Erst in den letzten Jahren wandte sich das Interesse der Forschung verstärkt diesem Themenkomplex zu, ausgelöst durch die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Neueditionen und Übersetzungen der literarischen Hinterlassenschaft berühmter Vertreter des Gazener Mönchtums wie Johannes Rufus, Barsanuphius, Johannes und Dorotheus.
Die sehr knapp gehaltene Einführung bietet leider weder eine hinreichende Orientierung über zentrale Fragen der bisherigen Forschungsdiskussion, noch lässt sie erkennen, welcher Binnenstruktur die Gliederung der Beiträge folgt. [3] Eine Einführung in die Geschichte des Mönchtums im Gebiet von Gaza und einleitende kurze Biografien zu dessen wichtigsten Vertretern, auf deren Schriften sich die nachfolgenden Beiträge im Wesentlichen stützen, wären für den Nicht-Fachmann wünschenswert gewesen.
Nicole Belayche (5-22) zeigt im ersten Beitrag anhand einer Untersuchung der im jahreszeitlichen Rhythmus verankerten religiösen Feste, wie lebenskräftig noch mindestens bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts das Heidentum im städtischen Leben von Gaza verankert war. Qualitativ aus der Reihe fällt der Beitrag von Zeev Weiss (23-40). Weiss beschäftigt sich mit den Austragungsorten dieser städtischen Feste. Obgleich archäologische Überreste fehlen, argumentiert er aus den literarischen Quellen für ihre Existenz. Doch auch ohne diese Untersuchung hätte man annehmen können, dass Gaza in der Spätantike ein Theater und ein Hippodrom besaß.
Leah di Segni (41-60) widmet sich dem Territorium von Gaza und dessen Ausdehnung in spätantiker Zeit. Sie betont die Schwierigkeit, die exakten weltlichen und kirchlichen Verwaltungsgrenzen und ihre Verschiebungen im Verlauf der Spätantike anhand der vorhandenen Quellen zu rekonstruieren.
Yizhar Hirschfeld (61-88) sichtet die archäologischen Hinterlassenschaften der Klöster im Umland von Gaza. Zahlreiche Fotos, Lagepläne und Skizzen veranschaulichen seine Ausführungen. Rund 15 Klöster hatten sich vom 4. bis 7. Jahrhundert im Territorium der Stadt in einem relativ eng begrenzten Raum angesiedelt und bildeten in der Spätantike damit eine der größten Klostergruppierungen in Palästina nach den Klöstern in Jerusalem und in der judäischen Wüste. Von ihrer Anlage stellten die Klöster einen Kompromiss zwischen der koenobitischen und eremitischen Lebensweise dar.
Jan-Eric Steppa (89-106) betont den Wert der Schriften des Johannes Rufus, Bischof von Maiuma gegen Ende des 5. Jahrhunderts, für das Verständnis der Haltung der verfolgten Anti-Chalkedonier. Die propagandistischen Reden des Monophysiten Johannes Rufus spiegeln den Hass und die Bedrängnis der Brüder in seiner Gemeinschaft wieder, die diese gegenüber denjenigen Glaubensgenossen empfanden, die sich mit der Orthodoxie arrangierten.
Ebenfalls auf das Werk des Johannes Rufus geht Brouria Bitton-Ashkelony (107-130) ein. Während sich Steppa jedoch vor allem mit der Schrift "Plerophoriae" des Johannes beschäftigt, setzt sich Bitton-Ashkelony mit der von Johannes Rufus verfassten Vita seines Lehrers und Vorgängers, Petrus, des Iberers, auseinander. Johannes Rufus lässt den Petrus das Grab des Moses entdecken und im Traum zu den heiligen Stätten in Jerusalem und dessen Umgebung pilgern. Über die Gründe, warum Petrus sich im Traum auf diese Pilgerreise begeben muss, kann Bitton-Ashkelony nur Mutmaßungen anstellen. Der Hinweis im vorangehenden Beitrag von Steppa, dass die Anti-Chalkedonier, wenn sie an den heiligen Stätten, die zu der Zeit im Besitz der Chalkedonier waren, beteten oder dort an der Eucharistie teilnahmen (102 ff.), sich der Gefahr aussetzten, für abtrünnig gehalten zu werden oder sich durch den geringsten Kontakt mit den Abtrünnigen mit diesem Irrglauben als einer gleichsam ansteckenden Krankheit zu infizieren, bietet meines Ermessens eine Erklärung für die literarische Fiktion einer 'Pilgerreise im Traum'.
Lorenzo Perrone (131-150) extrahiert aus der Korrespondenz des Barsanuphius und des Johannes von Gaza eine "school of Christianity", eine Botschaft oder Lehre, die deren religiöse Werte und Ideale vermittelt. Es geht um die Notwendigkeit, sich in allen Fragen des Lebens Rat zu holen bei einem geistlichen Lehrer, das heißt einem Mönch, der einen gewissen Grad der Perfektion erreicht hat und als 'Vater' angesehen werden kann.
François Neyt (151-164) arbeitet aus den Schriften des Barsanuphius und Johannes die konkreten Quellen heraus, auf denen die Apophthegmata für diese monastische Erziehung basierten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass man sich am Alten wie Neuen Testament und an den Viten christlicher Asketen aus Ägypten und Kleinasien orientierte. Barsanuphius ist auch Zeuge dafür, dass um 540 in diesem Zusammenhang auch die Kephalaia Gnostica des Euagrius im Kloster des Abba Seridos gelesen wurden. Neyt vergleicht die gemäßigte Haltung des Barsanuphius gegenüber den Origenisten mit der unversöhnlichen Haltung des Cyriacus in seiner von Kyrill von Skythopolis verfassten Vita, die nach der endgültigen Verurteilung des Origenes und seiner Lehren im Jahre 553 entstand und eine Verhärtung der Positionen widerspiegelt.
Nach einigen Vorbemerkungen über die charakteristischen Merkmale des Mönchtums um Gaza, das Wesenszüge des ägyptischen, syrischen, kleinasiatischen und westlichen Mönchtums in sich vereinte, kommt Lucien Regnault (165-172) auf die sozialen Interaktionen zwischen Laien und Mönchen zu sprechen. Regnault zitiert aus der umfangreichen Korrespondenz des Johannes von Gaza und des Barsanuphius Anliegen, mit denen sich Laien, Kleriker und auch Mönche an diese beiden Asketen wandten.
Daniël Hombergen (173-182) vergleicht die Nachrichten über das zweite origenistische Schisma in der Korrespondenz des Barsanuphius und Johannes von Gaza mit der Darstellung in der Hagiografie des Kyrill von Skythopolis. Im Zentrum der Untersuchung Hombergens steht die Bedeutung der Schriften des Euagrius für diese Auseinandersetzung. Hombergen kommt zu dem Ergebnis, dass nach den Briefen des Barsanuphius und des Johannes von Gaza, die ein zeitgenössisches Zeugnis für die Auseinandersetzungen um die Lehren des Origenes vor 543 bilden, den Schriften des Euagrius offenbar eine größere Bedeutung in der Auseinandersetzung zukam, als dies in der Vita Cyriaci deutlich wird, die wenige Jahre nach dem Konzil von 553 verfasst wurde. Hombergen vermutet daher, dass sich der zweite origenistische Streit nicht ausschließlich um die Theologie des Origenes drehte, sondern hier unterschwellig auch ein Konflikt über verschiedene Konzepte spirituellen Lebens ausgetragen wurde.
Aryeh Kofsky (183-194) wendet sich der Geschichte des monophysitischen Mönchtums um Gaza bis in die mittelbyzantinische Zeit zu. Nach dem Regierungsantritt Justinians (518) habe sich, so vermutet Kofsky, beeinflusst durch die veränderte politische Situation im Reich und der Region, der Monophysitismus des gazenischen Mönchtums in einen Krypto-Monophysitismus entwickelt, der sich der theologischen Toleranz verschrieb und ein chalkedonisches Äußeres annahm. Die Erinnerung an den monophysitischen Hintergrund und damit auch der Verdacht der noch bestehenden Anhängerschaft blieben jedoch bis ins 9. Jahrhundert lebendig.
Yakov Ashkenazi (195-208) untersucht, welche Beziehungen zwischen der Rhetorikschule von Gaza und dem lokalen Klerus bestanden. In anderen Städten des Reiches waren die Beziehungen zwischen Sophisten und der Kirche zu Beginn des 6. Jahrhunderts angespannt. Aus den Schriften des Choricius hingegen wird deutlich, dass die Rhetorikschule in Gaza und die Kirche einträchtig nebeneinander existierten und offenbar sogar eng miteinander kooperierten.
Rina Talgam (209-234) vergleicht die Beschreibung nicht erhaltener Wandgemälde bei Procopius von Gaza, die "Ekphrasis Eikonos", mit den archäologischen Zeugnissen aus der Region. Da nur ein einziges Mosaik mit mythologischer Thematik aus dem spätantiken Gaza erhalten ist, zieht Talgam weitere bildliche Darstellungen aus dem 5. und 6. Jahrhundert aus Sepphoris im unteren Galiläa und Madaba in Arabia heran. Die untersuchten Darstellungen zeigen, auf welch unterschiedliche Weise die byzantinischen Künstler sowohl im säkularen als auch religiösen Umfeld pagan-mythologische Motive einsetzten. Christliche und jüdische Elemente in mythologischen Darstellungen bilden nach Talgams Ansicht aber keine wirkliche Synthese ikonografischer Elemente, sondern stellen lediglich Anspielungen auf den neuen Kontext dar, in dem diese Motive erscheinen.
Viele der Beiträge sind von hoher Qualität und bieten neue Erkenntnisse zur Geschichte des Gazener Mönchtums. Leider finden sich zwischen vielen Beiträgen Überschneidungen und Wiederholungen, Querverweise fehlen völlig. [4] Dies mag dadurch zu entschuldigen sein, dass die Tagung, für die diese Beiträge ursprünglich vorgesehen waren, nicht stattfinden konnte. Dennoch wird dies vom Leser als sehr störend empfunden. Unschön ist auch, dass das Layout der Beiträge nicht einheitlich durchgehalten wurde. So fehlen im Beitrag von Regnault sowohl Fußnoten als auch eine abschließende Literaturübersicht; Quellenverweise werden hier anders als sonst in den Text gesetzt. Auch nicht seltene Tippfehler trüben ein wenig das Lesevergnügen.
Zusammenfassend lässt sich trotz der genannten Mängel festhalten, dass dieser Sammelband das große Verdienst hat, neueste Forschungen zu einer Region der spätrömischen Welt zu versammeln, die trotz ihres Quellenreichtums und trotz ihrer Bedeutung für die Geschichte des Christentums und des Mönchswesens in der Forschung zur Spätantike bislang nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat.
Anmerkungen:
[1] J. H. W. G. Liebeschuetz: The Uses and Abuses of the Concept of 'Decline' in Later Roman History, in: Recent Research in Late-Antique Urbanism, ed. Luke Lavan (= Journal of Roman Archaeology, Supplementary Series 42), Rhode Island 2001, 233-237 und die Antworten von Averil Cameron / Bryan Ward-Perkins/ Mark Whittow / Luke Lavan, ebenda, 238-245; J. H. W. G. Liebeschuetz: Decline and Fall of the Roman City, 2. Aufl., Oxford 2003.
[2] Auf das bisherige Standardwerk zum römischen und spätantiken Gaza von C. A. Glucker: The City of Gaza in the Roman and Byzantine Periods, Oxford 1987, rekurriert lediglich L. di Segni.
[3] Die Beiträge im Sammelband wurden offenbar mehr oder minder chronologisch geordnet.
[4] So spricht Perrone über die Lehre des Barsanuphius und des Johannes von Gaza, erst im nächsten Beitrag werden die beiden Männer dann von Neyt ausführlich vorgestellt. Neyt und Hombergen kommen unabhängig voneinander bei der Auswertung der Schriften des Barsanuphius und des Kyrill von Skythopolis bezüglich des zweiten origenistischen Schismas zu denselben Ergebnissen. Die archäologischen Ergebnisse Hirschfelds zur Lebensweise der Mönche belegen die Ergebnisse Regnaults, die dieser aus den literarischen Quellen zieht, ohne dass jeweils auf die Untersuchung des anderen verwiesen wird. Zum Teil liefern Beiträge auch Ergebnisse, deren Berücksichtigung in anderen Beiträgen reine Mutmaßungen unnötig gemacht hätten.
Brouria Bitton-Ashkelony / Aryeh Kofsky (eds.): Christian Gaza in Late Antiquity (= Jerusalem Studies in Religion and Culture; Vol. 3), Leiden / Boston: Brill 2004, VIII + 247 S., 39 fig., ISBN 978-90-04-13868-1, EUR 67,00
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