sehepunkte 5 (2005), Nr. 6

Sigrid Achenbach: Menzel und Berlin

Wer den Katalog zu den diesjährigen Berliner Ausstellungen "Menzel und Berlin" im Kupferstichkabinett am Kulturforum (11.3.-5.6.2005) und "Menzel und der Hof" in der Alten Nationalgalerie (9.2.-5.6.2005) aufschlägt, sieht sich schnell, bereits auf dem Vorsatzblatt, mit einem jener zahlreich publizierten Fotografien aus den letzten Jahren des Künstlers konfrontiert. Das Bild zeigt Menzel inmitten seines letzten Ateliers in der Sigismundstraße 3, das sich just neben jenem Ort befand, wo heute seine Werke im Kupferstichkabinett aufbewahrt und nun anlässlich seines 100-jährigen Todesjahres zur Hommage von Sigrid Achenbach zusammengetragen wurden. Man möchte also meinen, der Ort für die Präsentation sei gut gewählt. In der Einführung nimmt der Direktor des Kupferstichkabinetts Hein-Th. Schulze Altcappenberg diese glückliche Koinzidenz zum Anlass, das "Kulturforum als Herzstück zwischen altem Diplomatenviertel und neuem Potsdamer Platz, als Herz von weltoffener Politik, pulsierender Wirtschaft und Berliner Bürgerschaft" darzustellen. Aufmerksame Beobachter der anhaltenden Diskussion über die Konzentration der Bestände auf der Museumsinsel mögen sich daraufhin eine Hauptstadt mit, um im Bild zu bleiben, zwei Herzen wünschen.

Die beiden Ausstellungen und die Katalogbearbeitung sind das Verdienst der neuen Kuratorin der Kunst des 19. Jahrhunderts im Kupferstichkabinett, Sigrid Achenbach. Es ist nicht ihre erste Ausstellung von Werken Adolph Menzels. Bereits 1984 bereitete sie eine Schau in der Neuen Nationalgalerie vor. Nach der Zusammenlegung der Museumsbestände 1992 betreuten Marie Ursula Riemann-Reyher und Claude Keisch die Menzeliana der Staatlichen Museen. Diese Aufgabe hat für das Kupferstichkabinett nun Sigrid Achenbach übernommen.

Was ein frischer Blick auf die umfangreichen Menzel-Bestände in den Berliner Sammlungen der Staatlichen Museen vermag, hat Sigrid Achenbach mit dieser Ausstellung gezeigt. Sie gruppierte die Werke auf unkonventionelle Weise, mit persönlicher Handschrift und traf ihre individuelle Auswahl. Menzels motivische Vielfalt und seine technische Virtuosität treten hervor. So strahlt das Portrait von Menzels Potsdamer Freund, dem Oberstabsarzt Dr. Puhlmann (Gouache, 1850), auch aus großer Distanz betrachtet, wie auch die farbigen Kreidezeichnungen der Vierziger- und Anfang der Fünfzigerjahre: das Bildnis Karl Eitners (1848) oder die Modellstudie zum Flötenkonzert der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1851/52).

Die Ausstellung "Menzel und Berlin" umfasst etwa 200 Zeichnungen, Pastelle, Gouachen, Drucke sowie einige Ölbilder. Statt aber, wie üblich und wie es ja auch die Sammlungsstruktur der Museen vorgeben, Grafik von Gemälde zu trennen, Zeichnung von Druck zu separieren, ordnete die Kuratorin die Werke rein inhaltlich. Die Präsentation gliedert sich in vier Abteilungen: einem Vorspann, der das persönliche Umfeld und die menschlichen Beziehungen des Künstlers beleuchtet; dem ersten Hauptteil, der sich "Historischem und Literarischem" widmet; und dem Zweiten, welcher Menzels unmittelbare Gegenwart, sein alltägliches Umfeld beschreibt; im Ausklang stellt die Kuratorin ein weithin unbekanntes Werk Menzels vor, die Entwürfe für den Dekor eines Tafelgeschirrs zur Silbernen Hochzeit des Kronprinzenpaares Friedrich Wilhelm und seiner Gemahlin Victoria 1883.

Freilich erschließt sich die vierteilige Ordnung den Besuchern nicht auf den ersten Blick, sondern erst durch die Einführung, dem einzigen übergreifenden Textbeitrag innerhalb der Ausstellung. Das stört jedoch wenig, weil die Vielfalt der Formate, Techniken und Medien einen lebendigen Gesamteindruck erzeugt. Man möchte sowieso nur schauen. Damit ist eine gewichtige Qualität dieser Ausstellung angesprochen: Ihr thematischer Aufbau bezeugt, Menzel war ein hochprofessioneller Medienspezialist. Er spielt, mit Ausnahme der Fotografie, das Repertoire der Bildmedien des 19. Jahrhunderts durch. Zwischen Bleistiftzeichnung, Ölbild und Ölskizze finden sich Tuschzeichnung, Kreidezeichnung, Feder, Sepia, Lithografie, Radierung, Holzstich, Lichtdruck und viele Varianten und Mischungen dieser und der damaligen "bildgebenden Medien". Zudem verwendet er all diese Techniken und Medien nebeneinander. Beispielsweise, wenn sich Menzel mit der Geschichte Friedrichs des Großen beschäftigt. Dies ist nachzuvollziehen anhand von reinen Bleistiftstudien in Potsdam und Berlin (Die Neuen Kammern von Sanssouci, 1844; Am Haupteingang des Parks von Sanssouci, 1840er-Jahre), aber auch durch Mischtechnik (Bildnis Gebhardt Leberecht Blücher, 1842, Bleistift und Wasserfarbe) durch Radierung (Der tote Husar, 1844), durch Kreidezeichnung (Rokokostuhl, 1849/59) und natürlich auch mittels der Holzstiche für den großen Auftrag von Franz Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen (1840).

Vielleicht wäre es im Sinne einer stärkeren Besucherorientierung und Veranschaulichung ein Gewinn gewesen, diesem oder jenem Werk ein erklärendes Objekt oder einen Text hinzuzufügen. So wünschte man sich zu den nicht selten veröffentlichten Darstellungen von "Künstlers Erdenwallen" (11 Federlithografien, 1833), die sich ja thematisch an Goethes gleichnamige Dichtung anlehnen, diese endlich einmal hinzu. Auch dürften Betrachter zu den selten gezeigten Entwürfen für das Tafelgeschirr zur Silbernen Hochzeit des Kronprinzen und seiner Gemahlin Victoria (1883) erwarten, dass wenigstens die im Katalog erwähnten Reproduktionen aus dem Prachtband von 1886 in der Ausstellung vorliegen, zumal ja das Geschirr selbst seit Langem verschollen ist. Schön wäre auch, wenn dieser oder jener Druckstock zum ausgestellten Blatt zu sehen gewesen wäre, welche das Kupferstichkabinett schließlich auch beherbergt.

Aber all das mag kleinkrämerisch klingen. Denn Sigrid Achenbach ist mit der Ausstellung ein feines Kabinettstück gelungen. Der begleitende, gut gemachte Katalog wird Kennern wie Laien als Nachschlagewerk zu den Ausstellungsstücken dienen.

Menzel, Einstein, Schiller - der diesjährig ausgeprägte Hang zur monografischen (Jubiläums-)Ausstellung wirft Fragen auf. Können Einzelausstellungen über männliche Kunst-, Wissenschafts-, und Literaturheroen Anfang des 21. Jahrhunderts wirklich noch überzeugen? Welchen Bildungsanspruch verfolgen Kuratoren und Kuratorinnen sowie die veranstaltenden Institutionen damit? Was bedeutet es, wenn Menzels Hände als Gipsabgüsse oder Einsteins Schreibtisch (Albert Einstein - Ingenieur des Universums, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte im Kronprinzenpalais, Berlin, 16.5.-30.9.2005) in einer Vitrine präsentiert werden? Man fühlt sich unwohl bei dieserart Reliquienverehrung. Brauchen wir diese heute noch - oder wieder? Innovativer, zeitgemäß, demokratisch und allemal interessanter wäre es beispielweise, die Künstlerheroen gegenüberzustellen. Würden denn die Werke Adolph Menzels denen von Joseph Beuys standhalten - und umgekehrt?

Rezension über:

Sigrid Achenbach: Menzel und Berlin. Eine Hommage, Berlin: G & H Verlag 2005, 67 Farb-, 207 s/w-Abb., ISBN 978-3-931768-84-3, EUR 39,80

Rezension von:
Sibylle Ehringhaus
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Sibylle Ehringhaus: Rezension von: Sigrid Achenbach: Menzel und Berlin. Eine Hommage, Berlin: G & H Verlag 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/06/8276.html


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