Das "Arts & Crafts Movement" - die in der Nachfolge von William Morris und als Reaktion auf die industrielle Produktion sowie der davon abhängigen Erscheinungsweise der Objekte und ihrer sozialen Auswirkungen erfolgte Rückbesinnung auf traditionelle handwerkliche Verfahren und auf Vorbilder aus dem Bereich des "Vernacular" - war als Begriff bisher auf den englischen und amerikanischen Bereich konzentriert. Nun versuchen zwei große Ausstellungen nahezu gleichzeitig, begleitet von umfangreichen Katalogen, dieses Phänomen international darzustellen, wie es bereits 1991 in Isabelle Anscombes Publikation "Arts & Crafts Style" anklang. [1] In früheren Veröffentlichungen erfolgte der Bogenschlag zum Kontinent in Form eines Ausblicks, einer kurzen Darstellung vom Aufgreifen und Umsetzen englischer Vorbilder. Es handelt sich bei beiden Publikationen nicht um Kataloge mit einzelnen, erläuternden Katalognummern, sondern um Katalogbücher mit verschiedenen Beiträgen zum Thema, die durch die Ausstellungsstücke illustriert werden.
Das Grundproblem beider Kataloge liegt eher im Konzept. Diese Problematik fällt besonders bei dem von Karen Livingstone und Linda Parry edierten Katalog des Victoria & Albert Museums auf. Im Vergleich mit dem Katalog der "Art Nouveau"-Ausstellung des V&A von 2000 (hrsg. v. Peter Greenhalgh) wird deutlich, dass viele der deutschen, österreichischen, nord- und osteuropäischen Künstler bereits hier vorgestellt wurden. Dieses doppelte Erscheinen unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit eines überlegten Umgangs mit der Begrifflichkeit bei Kunstäußerungen um 1900. Zwar formulieren die Herausgeberinnen, dass die einzelnen Äußerungen des Movements verbunden werden durch ein "idealistic set of principles for living and working" (10), verweisen auf grundlegende, gemeinsame Ideen bei optischen Unterschieden, doch gerät der Versuch einer Differenzierung zwischen den einzelnen Ausprägungen der Länder und einer Abtrennung gegenüber dem Art Nouveau (12) letztlich zu pauschal und ohne Erörterungen zum Problem des Stilbegriffs, zumal das Arts & Crafts Movement in Unterscheidung zum Aesthetic Movement in der englischen Kunstgeschichte durchaus in dieser Hinsicht Verwendung findet. Eine Schwierigkeit der Einordnung in Hinblick auf die Begrifflichkeit mag auch durch den Kontext entstehen: Das V&A organisiert seit 2000 jedes Jahr ein oder zwei Ausstellungen zur angewandten Kunst bestimmter Epochen oder Stilstufen - Art Nouveau, Art Déco, Gotik und demnächst Renaissance -, sodass vorab beim Leser eine gewisse Neigung entstehen mag, auch diese Ausstellung in dieses stilorientierte Konzept einzuordnen. Die einzelnen Beiträge machen jedoch dann deutlich, dass das Arts and Crafts Movement vielmehr als eine Einstellung unter anderen aufzufassen ist, die mit verschiedenen Einflüssen und durchaus unterschiedlichen Anliegen kombiniert wird.
Wie in den früheren Publikationen zum Arts & Crafts Movement von Wendy Kaplan und Elisabeth Cumming [2] oder Gillian Naylor [3] dargestellt, entstanden die das Handwerkliche und die "Volkskunst" betonenden, künstlerischen Äußerungen in den USA und auf dem Kontinent unter englischer Anregung. Von diesen unterscheidet sie jedoch wesentlich der Einbezug maschineller Fertigung oder ein starkes patriotisches Moment.
Im Londoner Katalog wird das Anliegen, das Arts & Crafts Movement als internationales Phänomen zu bewerten, auch darin deutlich, dass zwischen die Aufsätze der vier Hauptteile (England, USA, Europa, Japan) farbig hinterlegte Kurzkapitel eingefügt sind, in denen die Objekte nach Gattungen geordnet vorgestellt werden, wobei hier (wenn auch sehr knapp) auf künstlerische Aspekte eingegangen wird. Diese objektbezogenen Zwischenteile ersetzen in ihren konkreten Angaben die Katalognummern. Der Londoner Ausstellungskatalog unterscheidet sich in zwei wesentlichen Aspekten von früheren Publikationen zu dem Thema: zum einen durch den interessanten Einbezug Japans mit einem zeitlich etwas versetzten Arts & Crafts Movement (1926-1945), zum anderen durch die Konzentration auf die historische Genese des Movements, seine Entstehungsbedingungen, Institutionen, Käuferschichten, Strukturen und Organisationsformen für den englischen Raum. Diese Fokussierung mit Verzicht auf die Herausarbeitung der Charakteristika der einzelnen englischen Werkstätten und Entwerfer macht deutlich, dass sich die Herausgeber der umfangreichen Literatur zu diesem Thema, in der auch gerade eine solche objektorientierte Vorstellung vorgenommen wird, äußerst bewusst sind. Zugleich reflektiert dieser Ansatz auch das in den British Galleries des V&A verwirklichte kulturgeschichtliche Konzept, dem das "klassisch" kunsthistorische Vorgehen untergeordnet wird. Aspekte wie die Rolle der Fotografie, das Verhältnis von Stadt und Land für Produktion und Inspiration, die spezifischen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen der englischen Zentren des Movements erfahren eine Betonung. Diese Elemente - mit Ausnahme der Fotografie - spielten auch in den früheren Publikationen eine Rolle, werden hier jedoch erweitert und verfeinert, ohne entscheidend Neues beizutragen.
Der der USA gewidmete Teil wird nach "Kunstlandschaften" (Ostküste, Prairie School und Nordwesten) mit ihren jeweiligen Ausprägungen und Vertretern untergliedert. In den drei Aufsätzen erfolgt eine gelungene und präzise Verbindung von kulturellem Hintergrund und künstlerischer Charakterisierung. Der auf Europa bezogene Abschnitt stellt die Ausprägungen der einzelnen Länder kompetent, aber sehr kompakt vor und schildert die jeweiligen Bedingungen und Hintergründe für das Interesse an volkstümlichen Objekten, handwerklicher Fertigung, Materialbewusstsein, funktionellen und schlichten Gegenständen, die sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. Das Japan-Kapitel ist mit der Vorstellung der Mingei-Bewegung gerade für einen eher in der westlichen Kunstgeschichte erfahrenen Leser interessant, doch auch hier handelt es sich letztlich um eine Reflektion von englischen Einflüssen, die dann für die eigenen Bedürfnisse in etwas Eigenes umgewandelt und mit spezifischen Anliegen verbunden werden.
Bei der Lektüre des Katalogs drängt sich die Frage nach dem "Zielpublikum" auf. Für einen unvorbereiteten Leser bleiben im englischen Teil die ästhetischen Aspekte unterrepräsentiert, sind die künstlerischen Einzelleistungen eher durch die Kombination der verstreuten knappen Angaben und über die hervorragenden Abbildungen zu erschließen. Für einen informierteren Leser bietet der englische Teil zwar eine Erweiterung der Hintergrundinformationen zum Movement, doch insgesamt wenig Neues, auch in Hinblick auf einzelne Kapitel der europäischen Bewegung. Es bietet sich eine Addition von Einzelbeiträgen, die Phänomene behandeln, die eine handwerkliche Fertigung, eine Rückkehr zu einfachen Formen und zu traditionellen, volkstümlichen Formen oder Techniken schildern, ohne dass die Zusammenhänge untereinander detaillierter dargelegt würden.
Der Katalog der Ausstellung in Los Angeles wurde von Wendy Kaplan betreut, die sich bereits in früheren Arbeiten mit dem Arts & Crafts Movement besonders in den USA beschäftigt hat. Auch in ihrer mit Elisabeth Cumming publizierten Einführung zum Arts & Crafts Movement von 1991 wurde in einem knappen Ausblick auf die Einflüsse und Anregungen der englischen Ideen auf den Kontinent eingegangen. Als Grundprinzipien formulierten die Autorinnen hier: "design unity, joy in labour, individualism and regionalism" (7), die auch im Katalog als Grundprinzipien der englischen Ausprägung und als Vergleichspunkte für die anderen Kapitel wiederkehren.
Kaplan gibt in ihrer äußerst klaren und knappen Einleitung präzise Parameter für Ausstellung und Katalog. Sie betont ebenso wie Alan Crawford in seinem England-Kapitel, das es sich beim Arts & Crafts Movement nicht um einen Stil handle, sondern um einen zugrunde liegenden "approach to making objects" (11). Sie skizziert die Grundideen des Movements und nennt die Leitmotive der Ausstellung: Kunst und Industrie, Design und nationale Identität, Kunst und Alltag (12). Hiermit ergibt sich für den Leser ein klares Gerüst, mit dem er die verschiedenen vorgestellten Äußerungen betrachten kann. Zugleich verzichtet Kaplan auf jegliche definierende Eingrenzung, sondern betont abschließend, dass dieses Movement mit seinen Grundideen jeweils für die eigenen Anliegen und Bedürfnisse variiert wurde. Es wird darauf geachtet, den Äußerungen in den anderen behandelten Ländern (wobei hier nun Japan fehlt), einen entsprechenden Raum zukommen zu lassen, sodass statt vier großen Abschnitten sieben einzelne Kapitel erscheinen. Hierin erfährt die Gleichwertigkeit der jeweiligen Äußerungen und ihre Eigenständigkeit Anerkennung.
Auch in diesem Katalog wird zu Recht England als Ausgangspunkt des Movements beschrieben und aufgefasst. Ausführlich wird begründet, warum gerade in England diese Bewegung ihren Ausgangspunkt nahm: England als fortschrittlichste Industrienation wurde am schnellsten mit den Problemen im Hinblick auf Stadtleben, Produktionsmethoden und ästhetischem Erscheinungsbild der Objekte konfrontiert und unternahm somit bereits früh Versuche einer Reform. Dabei macht Alan Crawfords kompakte Darstellung des britischen Arts & Crafts Movements deutlich, dass sich schon in den irischen und schottischen Zentren andere Grundanliegen und Motivationen nachweisen lassen als in England selbst. Crawfords komprimierte Darstellung lässt in der äußersten Verknappung der Informationen wieder die Probleme deutlich werden, die mit der Ausweitung auf eine internationale Darstellung verbunden sind. Er entscheidet sich für eine Mischung aus chronologischer Darstellung des Verlaufs in Großbritannien, wobei er basierend auf den Ausstellungen der Arts & Crafts Exhibition Society drei Phasen herausarbeitet und Angaben zu lokalen Ausprägungen, Organisationsformen und wichtigen Künstlerpersönlichkeiten macht. Auch Crawford, der übrigens für den Londoner Katalog über "The Importance of the City" schrieb, hält Darlegungen zum künstlerischen Erscheinungsbild der jeweiligen Objekte sehr knapp. Er schildert wie der Kundenkreis des Movements, die obere Mittelschicht, durch ihre "gentry values" die Werte vom Landleben und die anti-industrielle Einstellung förderten (66). Wie Kaplan ist er um Klarheit der Darstellung bemüht, wodurch er dem unvorbereiteten Leser einen guten Einstieg gewährt und dem informierteren Leser das Internationale des Konzepts nochmals plausibel machen kann. Seine Herausarbeitung der "qualities" des Movements im Unterschied zu Stilmerkmalen gibt eine Basis für die folgenden Kapitel, von der aus Ähnlichkeiten und Unterschiede deutlich werden können.
Auch die anderen Katalogautoren orientieren sich an Kaplans Leitmotiven und handeln diese in ihren Darstellungen überzeugend ab. Die Verbindung zum englischen Vorbild wird durch eine genaue Schilderung der Vermittlungswege gezogen und nachgewiesen. Davon ausgehend erfolgt eine fundierte Darlegung derjenigen Faktoren, die für die Reformbewegung in den jeweiligen Ländern relevant wurden und über die sich daraus ergebenden Erscheinungsformen. Die Aufsätze lassen deutlich werden, dass das Arts & Crafts Movement im Sinne einer Reformbewegung zu sehen ist, die wie Kaplan in ihrem Amerika-Kapitel abschließend nochmals betont, keinesfalls als einheitlich aufzufassen ist. Die Orientierung der Autoren lassen das Buch zu einer gelungenen Schilderung der Konzeption von Kunsthandwerk und Design unter englischem Einfluss für eigene Zwecke und Anliegen werden, die mit der Geschichte und Kultur der Länder verbunden ist. Dabei trifft Kaplan eine interessante Wahl: Neben Deutschland und Österreich, Ungarn, den skandinavischen Ländern und Amerika sind nun auch Frankreich und Belgien vertreten, die hier weniger zu vermuten wären und auch im Londoner Katalog zu Gunsten Hollands fehlen. Der Beitrag von Amy F. Ogata ist deswegen so interessant, weil versucht wird, den von den Zeitgenossen und der Forschung gepflegten Gegensatz zwischen Art Nouveau und Arts & Crafts Movement, auch in Hinblick auf die Terminologie, kritisch zu beleuchten. Sie erarbeitet, dass sich in Belgien einige mit England gemeinsame Interessen nachweisen lassen, die mit den Aspekten von Komfort, Funktionalität und Landleben verbunden sind, während in Frankreich eine Bevorzugung der aristokratischen Kultur des 18. Jahrhunderts diese Aspekte zurückdrängt.
Beide Kataloge bieten kompetente Darstellungen anhand von Aufsätzen, die von jeweils anerkannten Fachleuten verfasst wurden. Ihre Darlegungen bilden gelungene und solide Einführungen, enthalten allerdings streckenweise wenig Neues. Dabei ist der von Kaplan edierte Katalog aufgrund der Fragestellung, die von den einzelnen Autoren aufgegriffen wird, der interessantere, da er das von England ausgehende Phänomen der Reformbewegung in seinen jeweiligen Varianten untersucht und gut begründet darlegt. In beiden Publikationen tritt die Darstellung stilistischer Aspekte zu Gunsten von grundlegenden Überlegungen zur Genese der jeweiligen Ausprägungen zurück.
Anmerkungen:
[1] Isabelle Anscombe: Arts & Crafts Style, New York 1991.
[2] Wendy Kaplan / Elisabeth Cumming: The Arts & Crafts Movement, London 1991.
[3] Gillian Naylor: The Arts & Crafts Movement (1. Aufl. 1971), London 1990.
Wendy Kaplan: The Arts and Crafts Movement in Europe and America. Design for the Modern World, London: Thames & Hudson 2004, 320 S., ISBN 978-0-500-23815-8, GBP 60,00
Karen Livingstone / Linda Parry (eds.): International Arts and Crafts, 2005, 368 S., 300 Farb-, 50 s/w-Abb., ISBN 978-1-85177-446-3, GBP 40,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.