In seinem Roman "Gähnende Höhen" (Zijajuščie visoty) karikierte Aleksandr Zinov'ev 1976 die Lebenswirklichkeit der Sowjetunion und die alltäglichen Versuche ihrer Bürger, geschützte Nischen in einem alternativlosen, totalitären System zu finden. Zinov'ev, Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Akademie der Wissenschaften, richtete seine ebenso treffsichere wie respektlose Kritik gegen Staat und Partei, aber auch gegen die staatstragende Kultur der Sowjetbürger, sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren. Für seine scharfsinnige Analyse wurde Zinov'ev aus der UdSSR vertrieben und kehrte erst 1999 nach Russland zurück, mittlerweile als ein entschiedener Kritiker des Westens.
Auch Richard Overy hat sich mit seinem viel besprochenen opus magnum in gähnende Höhen begeben, sich dabei allerdings an einigen Stellen verstiegen. Zwar macht die Lektüre der 14 Kapitel auf beinahe 900 Seiten rasch deutlich, dass der wörtlich aus dem Englischen übersetzte Buchtitel kein Marketingtrick ist. In beeindruckender Breite behandelt Overy sowohl die beiden Diktatoren Hitler und Stalin als auch die nationalsozialistischen und stalinistischen Regime in ihrer Verschränkung und Konfrontation. Zu den betrachteten Ebenen zählen die Kultur-, Wirtschafts- und Militärpolitik ebenso wie die beiden Parteiensysteme, Herrschaftstechniken, die Rolle des Terrors oder die unterschiedlichen Werteordnungen. Der größte Vorzug des Buches, nämlich sein Perspektivenreichtum, führt freilich zu einem ambivalenten Gesamteindruck. Richard Overy ist stellenweise der Versuchung erlegen, sich auf eine Art Universalgeschichte Deutschlands und der Sowjetunion zur Zeit von Nationalsozialismus und Stalinismus einzulassen. Seine Darstellung muss den analytischen Vergleich zwischen den beiden Diktaturen eben doch einbetten in das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld. Angesichts der Komplexität des Gegenstandes stößt dieses Vorgehen zwangsläufig an seine Grenzen. Das gilt nicht zuletzt für die Darstellung von Alltag und Krieg.
Overy erreicht in seinem Buch stellenweise einen Grad der Abstraktion und Verallgemeinerung, der kaum noch eine Vorstellung von der Realität der sowjetischen und deutschen "Gesellschaften" vermitteln kann und darüber hinaus offen lässt, was Overy eigentlich unter "Gesellschaft" versteht. ("Die szientistische Ausrichtung erklärt zumindest teilweise den absoluten Anspruch der kollektivistischen Gesellschaften und den grotesken Aufwand, den beide trieben, um Individuen und Gruppen, die ihnen als gesellschaftliche bzw. rassische Fremdkörper erschienen, zu isolieren und zu vernichten.", 847) Richard Overys historiografische Meisterschaft wird vor allem da spürbar, wo in großen Linien Politik-, Militär- und Strukturgeschichte geschildert wird. An einigen Stellen scheint es, als rühre die Konzentration auf die Sicht der Schreibtische, Führungs- und Planungszirkel auch daher, dass Overy selbst sich nicht um eine ausgeprägte Vorstellung davon bemüht hat, wie die Lebenswirklichkeit der Menschen im Deutschen Reich und in der Sowjetunion aussah und wo die Wurzeln der beiden Diktaturen zu suchen sind. Beide griffen nicht nur in erheblichem Umfang in die Gesellschaft und Kultur ein, sondern entstanden in Wechselwirkung mit diesen. Adolf Hitler und Josif Stalin beherrschten Deutschland und die UdSSR nicht nur durch Terror und Täuschung (859), sondern erzeugten Gefolgschaft auch durch Modernisierung, Versorgung und Sinnstiftung. Demgegenüber bleibt Overys Sicht auf die Herrschaft scheinbar allmächtiger Diktatoren eher statisch, so als hätten sich Stalin bzw. Hitler zwischen ihrer Machtübernahme und ihrem Tod Ende April 1945 und März 1953 nur mit idealen und zeitlosen Systemen auseinander zu setzen gehabt und nicht (auch innerhalb der eigenen Bürokratien) mit Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Bedürfnissen, Hoffnungen und Ängsten.
Schon für die Frühphase der UdSSR entsteht bei der Lektüre der Eindruck, als hätten die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Bolschewiki nach der Revolution einen politischen Diskurs darüber geführt, welche Rolle die Offiziere der zarischen Streitkräfte in der neuen "Volksarmee" spielen sollten, und das Ergebnis dann in ihren Planungen umgesetzt (589). Diese Sichtweise vernachlässigt den Existenzkampf, in dem sich die sowjetische Führung während des Bürgerkriegs befand, der große Teile des ehemaligen Russischen Reiches verwüstete und für lange Jahre bestimmend für die Festungsmentalität der sowjetischen Führung blieb. Die Provinzen der UdSSR waren noch Jahre nach Ende des Bürgerkriegs für die zentralen Behörden kaum erreichbar. Unter solchen Umständen verlief der Aufbau zentraler Strukturen zwangsläufig ziemlich pragmatisch, was allerdings nichts an der Brutalität änderte, mit der sich die sowjetische Führung jener "bürgerlicher Spezialisten" entledigte, die man durch selbst ausgebildetes Personal ersetzen konnte. Das Phänomen der Militarisierung betrachtet Overy insgesamt als zentrale staatliche Veranstaltung; er beschreibt deren Ergebnisse, ohne nach ihren kulturellen Implikationen zu fragen. Bei der Beurteilung der Kampfkraft von Streitkräften ist beispielsweise die Anzahl der Reservisten (597) wenig aussagekräftig, wenn nicht deren Ausbildungsstand, Herkunft und Motivation diskutiert wird, insbesondere wenn - wie in diesem Fall - zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR diesbezüglich ganz erhebliche Unterschiede bestanden.
Die auf die Zentren fokussierte Sichtweise Overys bringt auch in anderen Bereichen eine Verengung der Perspektive mit sich. Die nationalsozialistische Wehrwirtschaft beispielsweise ist gerade deshalb bis heute ein lohnender Untersuchungsgegenstand, weil sie für die expansiven Ziele des Nationalsozialismus erstmalig einen europäischen Wirtschaftsraum schuf und weil diese Erfahrung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Prozess der Europäisierung insgesamt beeinflussten. Beide Faktoren vernachlässigt Overy (etwa 531) und beschränkt sich sehr stark auf das Gebiet des Deutschen Reiches. Dabei wird nach meinem Verständnis der direkte Einfluss Adolf Hitlers überbewertet (545). Auch die sowjetische Wirtschaft erklärt Overy fast ausschließlich aus der Sicht der zentralen Planung, die die Produktivität durch zunehmende Bürokratisierung erhöht habe (540 oder 549). Eingeschüchterte Funktionäre unter dem "Schatten des Feuerwehrmanns Ordschonikidse" (538) sind lediglich ein Ausschnitt aus den Wirkungsprinzipien des Stalinismus, der sich auch in der Wirtschaft durchaus auf Unterstützung, Kreativität und Idealismus von unten stützen konnte. Die Diskussion von privatem und persönlichem Eigentum aus der Sicht der sowjetischen Kommandowirtschaft (575) sagt wenig darüber aus, welche Rolle privater Besitz im Leben der Sowjetbürger tatsächlich spielte. Etwa bei der Beschreibung von Rückzugsräumen wie Wohnungen und Datschen oder von komplexen Belohnungssystemen hat die Alltags- und Kulturgeschichte des Stalinismus diesbezüglich höchst aufschlussreiche Befunde erbracht, die jedoch kaum in Overys Betrachtungen einfließen. Die "komplexe Eigendynamik" von Wirtschaftssystemen, die aus Menschen bestehen, wird zwar erwähnt (567), bleibt in der Darstellung aber doch sehr abstrakt.
Der angestrebte Vergleich zwischen beiden Systemen gerät mitunter zur Pflichtübung. Manche Gegenüberstellung spiegelt den Wunsch nach erlösenden Kurzformeln wider und erscheint mir zu einfach, um überzeugen zu können: "Exemplarische Strafen [...] taten in Deutschland eine abschreckende Wirkung, was die neu definierten Tatbestände für Wirtschaftsverbrechen betraf. In der Sowjetunion war die Angst vor Strafe oder Schande nie groß genug, um die Menschen zur Gesetzestreue zu bewegen." (574). Die "Verschwörer" Andrej Vlasov und Carl Goerdeler (451) haben bezüglich ihrer Biografien, der Motivation zum Widerstand gegen die stalinistische bzw. nationalsozialistische Diktatur und ihrer Stellung im System zu wenig gemeinsam, um sie unter dem Begriff der "Befreiungsbewegung" in einen Topf zu werfen. Bei der Schilderung des Terrors als Herrschaftsinstrument wiederum verschwimmt ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Diktaturen: Bürger des Deutschen Reiches, die keiner als "feindlich" eingestuften Gruppe angehörten und sich systemkonform verhielten, konnten bis 1945 damit rechnen, als Mitglieder der "Volksgemeinschaft" einen relativ sicheren Stand in der Gesellschaft zu haben. Demgegenüber lebten selbst sowjetische "Leistungsträger" in dem Bewusstsein, dass sie buchstäblich über Nacht zu "Schädlingen" und "Volksfeinden" erklärt und verfolgt werden konnten. Das Fehlen von Appellationsinstanzen, die diesen Namen verdienten, war in der Sowjetunion auch keine neue Erfahrung des Stalinismus, sondern macht ein wesentliches Merkmal im Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Untertanen aus, das weit in die vorrevolutionäre Zeit zurück verweist.
Vom Zweiten Weltkrieg ist häufig die Rede, doch wird die brutale Zäsur, die er zunächst vor allem für die UdSSR bedeutete, nicht recht deutlich. In einer Passage über den improvisierten und informellen Handel in der UdSSR wird in wenigen Sätzen eine Linie vom Verbot des privaten Warenverkehrs 1930 zur Situation des Jahres 1945 gezogen, als fast die Hälfte des sowjetischen Einzelhandels nicht-staatlich abgewickelt wurde. Die "Bereitschaft der Einheimischen, alles mögliche, das auf der Straße angeboten wurde, zu kaufen, selbst wenn es abgetragen, beschädigt oder verdreckt war", über die ausländische Russland-Besucher 1945 erstaunt gewesen seien, lässt sich leicht erklären, wenn man dies nicht als Ausdruck einer sowjetischen "Mangelwirtschaft", sondern als Folge eines Krieges sieht, der große Teile der sowjetischen Infrastruktur zerstört hatte (565). Kaum erwähnt wird der Zustand jener großen Teile der UdSSR, die 1944 "zurückerobert" wurden und deren Befreiung von der deutschen Besatzung damit einhergegangen sei, dass in der gesamten Sowjetunion "ein geordnetes und berechenbares System an Stelle der Improvisationswirtschaft" (674) getreten sei.
Der Krieg, der die Sowjetunion binnen weniger Wochen an den Rand des Zusammenbruches führte und dessen Ende auch das Ende des nationalsozialistischen Deutschlands war, stärkte wie von Overy beschrieben die Stellung Hitlers und Stalins im jeweiligen System. Dennoch wurden beide Führer natürlich trotzdem für ihre "Leistungen" im Krieg kritisiert, sowohl von den Soldaten der Wehrmacht als auch von denen der Roten Armee. Die Untersuchungen von oft ebenso respektlosen wie selbstverständlich verbotenen Witzen und selbst von (der Zensur unterliegenden) Feldpostbriefen sprechen hier eine eindeutige Sprache. Darüber hinaus gehörten die Wehrmacht und insbesondere ihr Offizierkorps 1939 eben noch nicht wirklich zu der von Führer und Partei geschaffenen "neuen Elite" (325, 617), auch wenn sie den Weisungen des Führers in der Regel bedingungslos Folge leisteten. Zur Partei- oder Volksarmee wurde die Wehrmacht erst durch die exorbitanten Kriegsverluste seit dem Sommer 1941.
Durch die Konzentration auf die Führer lässt Overy die Frage nach den Gründen für die Gefolgschaft außer Acht: Die Rotarmisten, nach der Wende des Krieges aber auch die Soldaten der Wehrmacht, kämpften nicht nur für Hitler und Stalin, sondern für ihre Heimat, ihre Familien und vor allem als Angehörige ihrer Einheiten, die sie nicht im Stich lassen wollten. Was für Hitler-Jugend und Komsomol als brutale Reglementierung beschrieben wird (612), ist in Teilen nichts anderes als die in allen Armeen der Welt gängige Regel militärischer Disziplin. Hier würde vielmehr die Frage weiterführen, welche Motivation und welche gruppendynamischen Prozesse junge Männer und Frauen jenseits staatlichen Zwanges dazu brachten, sich diesen Regeln zu unterwerfen. Die Wehrmacht funktionierte bis zum Kriegsende nicht in erster Linie durch "Terrormaßnahmen" (706), sondern infolge eines ganzen Bündels von Faktoren. Diese ließen den einzelnen Soldaten Tag für Tag in einem Krieg weiterkämpfen, der in den letzten Monaten in Ostpreußen oder an der Oder auch aus individueller und subjektiver deutscher Soldatensicht durchaus ein Verteidigungskrieg war.
Ideologie, Gewaltbereitschaft, Demoralisierung und Radikalisierung reichen als Erklärungsansätze nicht aus, um den Ostkrieg zu verstehen (678). Einzelne Episoden, welche die Brutalisierung illustrieren, sollten in einen zeitlichen und situativen Kontext gestellt werden, um sie richtig interpretieren zu können (684). Die Dynamik innerhalb der besetzten Territorien im Osten, wo eben nicht nur von Overy unkritisch als "Kollaborateure" bezeichnete Opportunisten und wirre Nationalisten mit der deutschen Besatzungsmacht zusammenarbeiteten, übergeht er fast vollständig, obwohl mittlerweile für die Gebiete vom Baltikum bis zum Kaukasus eine beinahe unüberschaubare Fülle von Regionalstudien vorliegt. Die Ausführungen Overys zur sowjetischen Nationalitätenpolitik, wo die Völkerschaften der UdSSR zumindest als Feinde und Opfer Erwähnung finden (Kapitel "Nationen und Rassen"), werden kaum in diesen Zusammenhang eingebunden. Die "komplexe Gemengelage von Loyalitäten und Frontverläufen im Partisanenkrieg" (690) spricht Overy zwar an, kommt in der eigenen Schilderung jedoch nicht über die eindimensionale Perspektive deutscher Akten hinaus. Letztlich erscheinen das Baltikum und die Ukraine als von "Nationalisten" "aufgewühlte Grenzprovinzen" der UdSSR (694), die erst in den 1950er-Jahren zur Ruhe gekommen seien. Hier wird dem Leser nicht nur ein Bereich vorenthalten, in dem Stalinismus und Nationalsozialismus so direkt wie nirgendwo anders aufeinander prallten, sondern der zudem tiefe Einblicke in die Funktionsweise der beiden Systeme ermöglicht hätte.
Der fehlende Zugang Overys zur russischen Sprache und Forschungsliteratur erweist sich für eine Darstellung des Stalinismus als Problem, das durch die Übersetzung ins Deutsche noch vergrößert wird. Die als Abbildung 25 reproduzierte Besatzungsverordnung ist nicht in weißrussischer, sondern in russischer Sprache verfasst. "Gosplan" ist nicht die "Staatliche Plankommission", sondern das "Staatliche Plankomitee beim Ministerrat der UdSSR" (Gosudarstvennyj planovyj komitet Soveta Ministrov SSSR, 534). Für einige russische Begriffe wurde bei der Übersetzung offenbar einfach die englische Umschrift übernommen, die aber vom deutschen System abweicht. Das Wort tolkach existiert im Russischen nicht, der staatliche geduldete, informelle "Flottmacher" zentral geplanter Projekte (wörtlich eine Lokomotive, die am Ende eines Zuges zusätzlichen Schub gibt) heißt tolkač bzw. Tolkatsch (571). Eine sowjetische "Heeresdienststelle für politische Erziehung" (650) kann ich auch durch Rückübersetzung nicht erschließen. Bei der "eigenartigen Mischung aus modernem Krieg und traditioneller Kunst" (Abbildung 23) handelt es sich um ein sowjetisches Propagandaplakat, bei dem der Künstler Michajl Pikov auf das traditionelle und populäre Stilmittel russischer Holzschnitte (lubki) zurückgriff. Diese waren schon lange vor der Revolution selbst unter wenig gebildeten Lesern auf dem Land beliebt, Vladimir Majakovskij beispielsweise nutzte sie für die plastische Illustration seiner revolutionären Dichtungen. Manchen im Deutschen allzu blumigen Formulierungen ("Goldbarren, gegossen aus dem Blut und Schweiß eines Heers von Zwangsarbeitern", 552; "Staaten, die den Krieg als einen Wettstreit zwischen den Seelen einer Gesellschaft betrachteten", 603) hätten die Übersetzer zu Leibe rücken sollen.
Richard Overy hat trotz der aufgezeigten Kritikpunkte eine vielschichtige Überblicks- und Epochendarstellung des Nationalsozialismus und Stalinismus vorgelegt. Das Buch macht für manche Bereiche aber auch die Wegstrecke deutlich, die bei der Historisierung von Nationalsozialismus und Stalinismus sowie insbesondere des Zweiten Weltkrieges noch zurückzulegen ist. Diese muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Perspektiven der gähnenden Höhen und der tiefen Täler finden, in denen einfache Menschen leben - und wo Rezensionen entstehen, die in wenigen Absätzen tausendseitigen Werken gerecht werden sollen.
Richard Overy: Die Diktatoren. Hitlers Deutschland, Stalins Rußland. Aus dem Englischen von Udo Rennert und Karl Heinz Siber, München: DVA 2005, 1023 S., 32 s/w-Abb., 6 Karten, ISBN 978-3-421-05466-1, EUR 48,00
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