In der einschlägigen Literatur tauchen sie immer wieder einmal auf: deutsche Söldner im Italien der frühen Renaissance - Condottieri der ersten Generation aus deutschen Landen und deutsche Soldritter des 14. Jahrhunderts. Manches Detail, mancher Name ist bekannt und wird immer wieder zitiert: Herzog Werner von Urslingen z.B. oder Graf Konrad von Landau, Albert Sterz oder Haneken von Bongard. Eine umfassende Untersuchung zu diesem Phänomen vermisste man bisher; mit Stephan Selzers Dissertation (bei Werner Paravicini, Kiel) liegt sie nun vor.
Die Arbeit behandelt das Thema in vier Großkapiteln: Zunächst erfolgt in "Italien und seine Söldner" (Kapitel 1) eine Einordnung des deutschen Söldnertums in die erste, die europäische Phase des italienischen Condottieri-Zeitalters. Dass deutsche Söldner dabei eine herausragende Rolle spielten, aber durchaus in Konkurrenz zu anderen europäischen Söldnern, wie vor allem Engländern, Ungarn und Franzosen, standen, wird ebenso deutlich wie das Ende des deutschen Zustroms durch die Italienisierung des Condottieriwesens im 15. Jahrhundert.
Im 2. Kapitel "In Italien" werden Organisationsstrukturen und das Dasein in Kriegs- und Friedenszeiten behandelt. Für Alltags- und Mentalitätsgeschichte bedeutsam sind dabei Untersuchungsergebnisse zu "Probleme(n) des alltäglichen Lebens": z. B. die Doppelidentität der deutschen Söldner in Italien, die nicht nur durch meist mangelhafte Sprachbeherrschung an die deutsche Heimat gebunden waren, sondern auch durch Familie und Verwandtschaft - und immer wieder durch die Reichszugehörigkeit. Sobald der Kaiser die Alpen überschritt, kamen sie in Loyalitätsprobleme - und die italienischen Auftragsgeber sorgten dann oft vor, wie Pisa, das beim Zug Ludwigs des Bayern in die Lombardei 1327 seine deutschen Söldner entließ und ihnen die Pferde abnahm. Wenn das Reichswappen auf einem Banner zu sehen war, stiftete das Identität, auch für die Deutschen auf der gegnerischen Seite. Hingegen gab es auch Trennendes für deutsche Söldner, vor allem bestand der Gegensatz zwischen Ober- und Niederdeutschen im Solddienst fort.
In "Nach Italien" (Kapitel III) geht es um die soziale und geographische Herkunft dieser Söldner und um ihre Motive. Dass im untersuchten Zeitraum immerhin vier Herzöge und 41 Grafen nachweisbar sind, mag zunächst überraschen, doch entspricht das nur einem Prozent der deutschen Söldner. 75 Prozent sind dem Niederadel zuzuordnen, der Rest entstammt dem Patriziat und wohl einer sozialen Schicht, "in der niederster Adel und Bauerntum ineinanderflossen" (195). Der italienische Quellenbestand erlaubt schließlich die Folgerung, dass nicht nur Adel für den Waffendienst qualifizierte, sondern auch Kriegsdienst zu Pferd für den Adelsstand. Schöner Beleg dafür ist der "no name" in deutschen Landen, Albert Sterz, den man in Italien unzweifelhaft als Adeligen sah und der zu den großen Condottieri zählt.
Sie kamen aus allen deutschen Landen, wobei die aus den Italien nahen Regionen wie Schwaben, aber auch aus dem Rheinland erheblich überwogen. Man suchte den Solddienst aus wirtschaftlichen Gründen, vor allem bei nachgeborenen Adelssöhnen war das ein wichtiges Motiv. Dazu kamen als Pullfaktoren die neben dem Sold zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten wie Beute, Schutzgeld- und Lösegelderpressung. Darüber hinaus ist aber die standesgemäße Betätigung nicht zu übersehen. Im Solddienst italienischer Stadtrepubliken oder des Papstes konnte man ritterlich leben. Solddienst war zudem Karrierechance - vom einfachen Reiter über die Ritterwürde zum Bannerherrn, in einigen wenigen Fällen sogar zum Condottiere. Außerdem sind, gerade in Schwaben, Familientraditionen im Solddienst nachweisbar. Insgesamt wird ein ganzes Motivbündel sichtbar, dem persönliche Gründe wie Abenteuerlust, Flucht aus der heimatlichen Enge, Neugier hinzuzufügen sind.
"Aus Italien" (Kapitel 4) schließlich behandelt das, was blieb, wenn die deutschen Söldner aus italienischem Dienst in die Heimat zurückkamen. Soweit man das nachweisen kann: Es gab doch einige, die Gewinn gemacht hatten in Italien und ihn nun in der Heimat zu ihrem und der Familie Wohl einsetzen konnten - Besitz entschuldeten oder neuen erwarben. Wesentlich schwerer war es, in Italien gewonnenes Prestige in der alten Heimat zum Vorteil einzusetzen. Die Asymmetrie zwischen italienischer und heimatlicher Position ließ so manchen in Italien bleiben, vor allem dann, wenn sich prestigeträchtige Heiratsbindungen boten. Ansonsten verweisen Mitbringsel auf die italienische Söldnervergangenheit: Siegelringe mit italienischer Umschrift, die in der Heimat weiter verwendet wurden, aber auch italienische Schuldscheine, Quittungen und Schadloserklärungen. Mit der Feststellung, dass man auch einen "militärtechnischen Kulturtransfer" (334) annehmen müsste, also die Übernahme von Waffen, Rüstungen und Taktiken, dies aber wegen fehlender Vorarbeiten noch nicht leisten könne, verweist Stephan Selzer auf ein wichtiges Forschungsdesiderat.
Zwei Aspekte der Arbeit verdienen besonders hervorgehoben zu werden:
Da ist zum einen der Abschnitt "memoria" (II. 3. c). Es geht um Gräber und Grabsteine deutscher Soldritter - und damit um deutsche und italienische Erinnerungskultur, ein grundsätzlicher Forschungsaspekt, der bei diesem Thema vom "trecento" mindestens bis ins 16. Jahrhundert weiterweißt, etwa zu den Grabdenkmälern eines Jacob von Ems im Dom von Modena oder eines Melchior von Frundsberg in der Santa Maria dell'Anima in Rom. Selzer zeigt, dass die bisher untersuchten Grabsteine - systematische Arbeiten fehlen - deutsche Söldner mit den wesentlichen ritterlichen Attributen (Wappen und Waffen) zeigen, dass es aber nur einen Beleg gibt, in dem ein Söldner auch tatsächlich als solcher benannt wird (173).
Hier wird aber nun zum anderen das grundsätzliche Problem deutlich, behandelt im Abschnitt "Söldnertum und Rittertum" (II. 2 c), der die Arbeit (wie an einigen weiteren Stellen) in den gesamteuropäischen Kontext stellt. Der Autor bezweifelt zu Recht, dass es den Gegensatz zwischen aristokratischen Rittern und professionellen Söldnern gab, vielmehr sind Rittertum und Söldnertum zwei Seiten derselben Medaille. Condottieri beriefen sich auf ritterliche Ideale und wurden als Ritter gefeiert, Solddienst, nicht nur in Italien, wurde von Dichtern als ehrenhaft und vorbildlich besungen. Die deutschen Söldner verstanden sich als ritterliche Krieger: Von Turnieren berichten die Quellen und von zahlreichen Rittererhebungen.
Stephan Selzer hat eine umfassende und fundierte Untersuchung vorgelegt, die auf außergewöhnlich breitem Quellenmaterial basiert. Dabei wertete er größtenteils bisher unberücksichtigtes Archivmaterial aus zahlreichen italienischen Archiven aus und zog in der deutschen Forschung bisher unbeachtet gebliebene italienische Sekundärliteratur heran. Unter den neuen Fragen, denen er nachging, sind die doppelte Perspektive (die deutschen Söldner in Italien und in der Heimat), der Blick auf die Berühmten und die bisher Unbekannten, die "Durchschnittlichen" (8) und die immer wieder durchscheinenende internationale bzw. europäische Ebene besonders zu unterstreichen. Von sehr großem Wert für die zukünftige Söldner- und Adelsforschung sind nicht nur die differenzierten Personen- und Ortsregister, sondern auch der Anhang, auf den im Text immer wieder verwiesen wird: "Italienischer Solddienst deutscher Grafen und Fürsten", "Deutsche Condottieri in Italien", 13 typische Dokumente und die archivalischen Nachweise deutscher Söldner in Italien. Eine Arbeit von uneingeschränkt hoher wissenschaftlicher Bedeutung!
Stephan Selzer: Deutsche Söldner im Italien des Trecento (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 98), Tübingen: Niemeyer 2001, 563 S., ISBN 978-3-484-82098-2, EUR 80,00
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