Parallel zur historischen Würdigung der Grafen von Sulzbach durch Jürgen Dendorfer, der die reichsweite Bedeutung dieses Geschlechts im späten 11. und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufzeigt [1], hat Mathias Hensch in 10-jähriger Arbeit (1992-2002) die Stammburg der Sulzbacher archäologisch untersucht. Nun liegen seine Ergebnisse in einer umfangreichen, dreibändigen Monografie vor (571 + 72 S., 219 Tafeln, 17 Beilagen).
Dabei geht es Hensch nicht allein um die Rekonstruktion und Datierung der einzelnen Bauphasen, sondern beträchtliche Teile seiner Arbeit widmet er der historischen Kontextualisierung der Sulzbacher Burg. [2] So ergeben sich vertiefte Einblicke in die Herrschaftspraxis der Sulzbacher Grafenfamilie, wie auch die karolingisch-ottonische Geschichte des Nordgaus um mannigfache Facetten bereichert wird.
Die Besiedlung des Sulzbacher Burgbergs setzt bereits im 8. Jahrhundert ein, wobei sich dieser Periode I nur einige Pfostenspuren und Ausschnitte von Nutzungshorizonten zuweisen lassen, sodass nicht einmal eine Befestigung gesichert ist. Als entscheidende Faktoren für die konkrete Ortswahl hebt Hensch die Lage in einer "Verkehrspfortensituation" hervor, welche eine vergleichsweise komfortable West-Ost-Querung der Frankenalb erlaubte und hier auf eine Nord-Süd-Route von Forchheim über Nabburg / Premberg nach Regensburg sowie eine Fernroute nach Osten traf; Sulzbach wurde damit zu einem wichtigen Einfallstor in den böhmischen Machtbereich. Hinzu kamen die hochwertigen Eisenerzvorkommen des Sulzbacher Beckens.
Im weiteren räumlichen Kontext lag Sulzbach um diese Zeit im Schnittpunkt dreier Machtzentren: im Süden die bairischen Agilolfingerherzöge, das fränkisch-karolingische Reich im Westen und das böhmisch / mährische im Osten. Das archäologische Material lässt es zwar nicht zu, die Anlage der Burg einer dieser Mächte zuzuweisen, doch mit den nahe gelegenen Orten Lauterhofen [3] und Oberammerthal [4] wird auch in Sulzbach deutlich, wie intensiv die bairischen und fränkischen Machtsphären in den Jahrzehnten um 700 auf dem werdenden Nordgau ausgehandelt wurden.
Archäologisch deutlich klarer zu fassen sind die Perioden II und III des 9./10. Jahrhunderts, in denen ein Ausbau der gesamten Anlage in Stein erfolgte. Innerhalb einer nun sicher belegten Umwehrung entstand unter anderem ein großer, höchst qualitätvoll ausgestatteter Saalbau mit Souterrain und bemaltem Fensterglas, der im Kontext des zeitgenössischen Pfalzenbaus nur als herrschaftlicher Repräsentationsbau zu verstehen ist. Die gesamte Architekturkonzeption legt es nahe, bereits die Herren dieser Burganlage in der Reichsaristokratie zu suchen.
Neben einigen Wohngebäuden, darunter einer caminata, zählte zu dieser Anlage eine Burgkapelle. Als besonderes highlight darf die Entdeckung einer kleinen, nördlich anschließenden Nekropole des 9./10. Jahrhunderts gelten. Hensch argumentiert, den Toten im ältesten Grab mit dem Nordgaugrafen Ernst (gestorben 865) zu identifizieren und die weiteren Erwachsenengräber Angehörigen der Familie des Nordgaugrafen Berthold 'von Schweinfurt' zuzuweisen, mit deren Hauptburg er Sulzbach auch gleichsetzt. Die repräsentativen, am Königsvorbild orientierten Bauten der Perioden II/III erhalten damit einen plausiblen historischen Bezug.
Noch während des 11. Jahrhunderts wurden die Gräber in Ehren gehalten und mit einem steinernen Annexbau an die Burgkapelle angeschlossen. Inzwischen war die Burg offenbar an die Grafen von Sulzbach übergegangen, welche ihre Sippenidentität und memoria auf diese Weise um eineinhalb Jahrhunderte zurück verlängerten. Auch die Umgebung des älteren repräsentativen Saalbaus wurde nun neu gestaltetet (Periode IV), doch die gewichtige, reichsweite Bedeutung dieses Adelsgeschlechts wird dann vor allem in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit Periode V deutlich. Sie kann als deutliche Steigerung und adäquates update der Repräsentationsfunktion interpretiert werden: Hier sind insbesondere ein imposanter achteckiger Wohnturm sowie ein gewaltiger Neubau des Palas zu nennen.
Ebenso deutlich wie der Aufstieg der Sulzbacher Grafen spiegelt sich auch der Bedeutungsverfall Sulzbachs nach deren Aussterben (1188) und dem Übergang an die Grafen von Hirschberg-Grögling. Hierzu zählen Abbruch und Rückbau verschiedener Wohngebäude und insbesondere eine deutliche Reduktion des Hauptburgareals. Erst die Einrichtung eines bairischen Viztums im Jahr 1306 und noch mehr die Erhebung Sulzbachs zum Vorort "Neuböhmens" durch Karl IV. (1355) führten mit dem Bau des massiven Hofkastens und des stadtseitigen Hochbaus wieder zur Errichtung neuer, repräsentativer Baukörper.
Die jüngere Baugeschichte des Sulzbacher Burgbergs, insbesondere der Bau des heutigen Schlosses ab 1582 und eines Salesianerinnenklosters um die Mitte des 18. Jahrhunderts, fallen nicht mehr in den Rahmen der Arbeit Henschs.
Alle archäologischen Maßnahmen standen im Zusammenhang mit der Renovierung des Sulzbacher Schlosses, um es für das Straßenbauamt des Landkreises Sulzbach-Rosenberg nutzbar zu machen. Einen wichtigen Exkurs widmet Hensch nun der "denkmalpflegerischen Praxis" während dieser Renovierungsmaßnahmen: Seinem gewaltigen Enthusiasmus ist es zu verdanken, dass immerhin etwa die Hälfte der im Rahmen der Umbaumaßnahmen zerstörten Flächen untersucht wurde. Weite Areale jedoch gingen unbeobachtet - und man gewinnt den Eindruck, geradezu mutwillig, in jedem Fall aber bar jeden Interesses an der historischen Bedeutung des Platzes - verloren. Angesichts der vielfach dokumentierten und wiederholten Rechtsverstöße seitens der bauausführenden Behörde (!) stellen sich dem zunehmend sprachlosen Leser die Fragen, ob staatliche Behörden denn von der Beachtung des Gesetzes freigestellt sind, und was ein Denkmalschutzgesetz wert ist, wenn das zuständige Landesamt bei kollidierenden Interessen kaum Versuche unternimmt, es - notfalls auch gerichtlich - durchzusetzen bzw. bei wiederholten Verstößen die Verantwortlichen juristisch zur Rechenschaft zu ziehen.
So steht nun ein Flickenteppich archäologisch untersuchter Flächen zur Verfügung, der zwar fundamentale Einblicke in die Geschichte und historische Bedeutung der Sulzbacher Burg erlaubt - zugleich aber deutlich macht, wie viel mehr durch behördliches Desinteresse und Rechtsverstöße zerstört wurde.
Angesichts des beträchtlichen Preises mag ein Blick der Druckqualität der Arbeit gelten: Es handelt sich um eine Produktion in Digitaldruck, was im Textteil nicht weiter problematisch ist, wo der Leser zudem auf erfreulich wenige Druckfehler trifft. Dass es leider auch hier wieder an der Schlussredaktion gehapert hat, wird etwa in den vielfach falschen Tafelverweisen sowie den unsinnigen, automatisierten Trennungen deutlich.
Zum Problem wird der Digitaldruck trotz beträchtlicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren bei den Abbildungen und Beilagen: Hier kommt es zu schauerlichen Farbverschiebungen, welche den Sinn solcher Farbabbildungen gänzlich infrage stellen, da die "reale" Farbigkeit ja gerade verfehlt wird. Rissige, dünne und aufgepixelte Linien bei den Fundzeichnungen verunklaren die Schwarz-Weiß-Abbildungen. Wo die Vorlage und damit Sicherung des materiellen Quellenbestandes als eine zentrale Aufgabe archäologischer Grabungspublikation gilt, sind solche Qualitätseinbußen gravierend. Gleiches gilt für einige der Planbeilagen, die zudem deutlich stärkeres Papier vertragen hätten. Mit Blick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis dürfte man hier eine qualitätvollere Produktion erwarten.
Verglichen mit den langjährigen Burgenforschungen etwa in der Schweiz oder in Niedersachsen, die dort das Bild des Mittelalters inzwischen wesentlich mitgestalten, ist Bayern Diaspora. [5] Die Untersuchungen Mathias Henschs auf der Sulzbacher Burg zeigen, dass dies allein dem Forschungsstand und nicht den historischen Verhältnissen geschuldet ist. Wer Landesgeschichte ernst nimmt, wird sich in Zukunft verstärkt den archäologischen Quellen widmen müssen. Es scheint mir ein drängender Anspruch an die Denkmalpflege, diese Quellen vor zerstörerischer Ignoranz - auch seitens konkurrierender Behörden und heutiger Herrschaftsträger - wirkungsvoll zu schützen, wie es meines Dafürhaltens den verschiedenen akademischen Einrichtungen zukommt, diese Plätze mit der Sorgfalt und in einem Umfang, wie sie für eine moderne Kontextualisierung erforderlich sind, der historischen Forschung zu erschließen. Der Gang der archäologischen Untersuchungen auf der Sulzbacher Burg kann hierfür gleichermaßen als Vorbild wie als Menetekel dienen.
Anmerkungen:
[1] Jürgen Dendorfer: Adelige Gruppenbildung und Königsherrschaft. Die Grafen von Sulzbach und ihr Beziehungsgeflecht im 12. Jahrhundert (= Studien zur Bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, 23), München 2004.
[2] Vgl. hierzu auch den Sammelband: Stadt Sulzbach-Rosenberg (Hrsg.): Sulzbach und das Land zwischen Naab und Vils im frühen Mittelalter (= Schriftenreihe des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sulzbach-Rosenberg, 19), Sulzbach-Rosenberg 2003 = Tagung Sulzbach-Rosenberg 2002.
[3] Hermann Dannheimer: Lauterhofen im frühen Mittelalter (= Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, 22), Kallmünz / Opf. 1968.
[4] Peter Ettel: Karlburg - Roßtal - Oberammerthal. Studien zum frühmittelalterlichen Burgenbau in Nordbayern (= Frühgeschichtliche und Provinzialrömische Archäologie. Materialien und Forschungen, 5), Espelkam 2001.
[5] Abgesehen von der in Anm. 4 genannten Arbeit Peter Ettels vgl. den noch vergleichsweise guten Forschungsstand bei Andreas Boos: Die Burgen der südlichen Oberpfalz, Regensburg 1998 und Bernhard Ernst: Burgenbau in der südöstlichen Oberpfalz vom Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit (= Arbeiten zur Archäologie in Süddeutschland, 16), Büchenbach 2003. Für Oberbayern dokumentiert die Arbeit von Michael Weithmann: Inventar der Burgen Oberbayerns, 3. Aufl., München 1995 vor allem unser großflächiges Nicht-Wissen, denn einen historisch auswertbaren Forschungsstand.
Mathias Hensch: Burg Sulzbach in der Oberpfalz. Archäologisch-historische Forschungen zur Entwicklung eines Herrschaftszentrums des 8. bis 14. Jahrhunderts in Nordbayern (= Materialien zur Archäologie in der Oberpfalz; Bd. 3, 1-3), Büchenbach: Verlag Dr. Faustus 2005, 3 Bde., insg. 870 S., 17 Beilagen, ISBN 978-3-933474-30-8, EUR 99,80
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