1589 und 1610 fielen zwei Könige von Frankreich, Heinrich III. und Heinrich IV., Attentaten zum Opfer. Im ersteren Fall galt die Urheberschaft der Jesuiten den Zeitgenossen als erwiesen, und auch im letzteren Fall regte sich mehr als Argwohn. Dennoch standen beide Königsmorde und mit ihnen die Krone Frankreich wie die Gesellschaft Jesu in einem ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen bzw. politischen Kontext. Den Wandel dieses gesellschaftlich-politischen Kontextes untersucht Eric Nelsons Oxforder Dissertation von 1999.
Während der Religionskriege waren die französischen und besonders die Pariser Jesuiten als Wortführer einer sich immer radikaler gebärdenden katholischen Liga hervorgetreten, die zunächst nicht nur den in ihren Augen diskreditierten letzten Valois Heinrich III. bekämpfte, sondern auch und vor allem die drohende Thronfolge des in dieser Phase noch bzw. wieder protestantischen Heinrich von Navarra. In diesen Jahren spaltete sich Frankreich nicht nur entlang der Konfessionsgrenze, sondern es spaltete sich auch der französische Katholizismus - in die gemäßigten, auf einen Ausgleich mit den Hugenotten wie protestantischer Thronfolge setzenden "Politiques" oder "bons Français" einerseits und die intransingenten Vertreter der reinen Lehre, die "bons Catholiques", die Anhänger der Liga, andererseits.
Nach dem militärischen Sieg Heinrichs IV. und der protestantischen bzw. royalistischen Bürgerkriegspartei bemühte sich der Monarch ostentativ um seine Gegner. Das Land musste zusammengeführt, die Krone, die Dynastie und ihre Herrschaft mussten stabilisiert werden. Zu diesem Programm gehörte bekanntlich die abermalige Konversion des Königs, dazu gehörte die Einbindung prominenter ligistischer Gegner wie des Herzogs von Mercoeur, dazu gehörte aber auch die gezielte Indienstnahme gerade der französischen Jesuiten durch die Krone. Ausbildung und Ausgestaltung dieser, auf den ersten Blick wenig natürlichen Allianz stehen im Focus von Nelsons Arbeit.
Zwar war die Gesellschaft nach dem Mord an Heinrich III. von seinem Nachfolger - aus gegebenem Anlass - zunächst des Landes verwiesen worden, doch Heinrich IV. entwickelte nachhaltiges Interesse an den Jesuiten. Dieses Interesse des mehrfachen Konvertiten richtete sich auf ihr das intellektuelles Potenzial der Gesellschaft, noch mehr jedoch zielte es auf ihr moralisches Gewicht unter den "bons Catholiques". Indem Heinrich IV. die Gesellschaft Jesu nicht nur 1603 zurückberief, sondern sie nachdrücklich förderte, seine Herrschaft sogar auf sie stützte, konnte er den Zweifeln an der Ernsthaftigkeit seiner erneuten Konversion die Spitze nehmen; indem er seine ehemals erbittertsten Gegner für sich gewann und von sich abhängig machte, machte er jedes Neuaufleben des Bürgerkrieges, jeden Versuch des großen Gegners Spanien, erneut eine innerfranzösische Partei zu rekrutieren, nahezu unmöglich.
Der Chronologie folgend, zeichnet Nelson diesen Annäherungsprozess detailliert nach. In der politischen Debatte besaßen zunächst die großteils aus den Obergerichten, den Parlements, stammenden Gegner der Jesuiten eine noch recht starke Position. Diese Kreise waren ob der neuen königlichen Politik der Förderung der Jesuiten naturgemäß zunächst einigermaßen irritiert. Allerdings war diese Irritation nicht stark genug, um nun ihrerseits in Fundamentalopposition umzuschlagen, und indem die Jesuiten sich in einen neuen, reformkatholischen, gesellschaftlichen "mainstream" eingliederten, ging die antijesuitische Polemik rasch zurück, ohne indes ganz zu verschwinden. Die Parlamente strengten auch nach 1603 mehrere Verbotsverfahren gegen Schriften prominenter Jesuiten an - namentlich des Widerstandstheoretikers Mariana - , doch wurden diese auf königlichen Druck hin zu "Einzelfällen" deklariert, die nichts mit dem Orden als ganzem zu tun haben sollten.
Die Jesuiten nahmen die ihnen von der Krone zugedachte Rolle als Speerspitze des französischen Reformkatholizismus im Dienste der Monarchie bereitwillig an; römische oder gar spanische Loyalitäten wurden weitgehend zurückgedrängt. Der Königsmord von 1610 erschütterte das Bündnis mit der Krone daher nicht, und für die Generalstände von 1614 war die jesuitische Präsenz im Lande kein wirkliches Thema mehr - zumal auch der Adel inzwischen, dem königlichen Vorbild folgend, auf die Jesuiten setzte, ihre Einrichtungen förderte und sich - als Seelsorger oder Pädagogen - ihrer Dienste versicherte.
Nelson erkennt die Gesellschaft Jesu als eine der tragenden Säulen der französischen absoluten Monarchie. Deren Krise in der Mitte des 18. Jahrhunderts bedeutete daher auch unweigerliche eine Krise der Jesuiten. Allerdings wurde, worauf Nelson in seiner Einleitung hinweist, die Debatte der 1760er Jahre keine Neuauflage der 1590er: Waren seinerzeit die Jesuiten beschuldigt worden, die königliche Souveränität zu unterminieren, so klagte man sie nun an, monarchische Tyrannei zu stützen.
Das Buch Nelsons ist materialreich, argumentiert schlüssig und zeichnet ein präzises Bild der französischen Innenpolitik wie des geistigen Klimas bzw. "Klimawandels" unter Heinrich IV. und der anschließenden Regentschaft Marias von Medici. Zweifellos wird, was Materialreichtum und Präzision angeht, dabei etwas zuviel des Guten getan, denn Nelsons Kernthese - Ausgleich zwischen Krone und Jesuiten aus rationalem Kalkül, Annäherung zwischen Jesuiten und Parlamenten aus politischer Notwendigkeit - ist leicht zu akzeptieren und nicht wirklich kontrovers.
Angesichts der Vollständigkeit der Quellenauswertung überraschen mehrere Lücken in der Literaturauswahl. Die Bibliographie nennt etwa weder die einschlägigen Arbeiten von Myriam Yardeni noch jene von Jean-Marie Constant. Dass eine thematisch ebenfalls "nahe liegende" Arbeit wie die Alexandre Yali Harans über französischen Messianismus und Antihispanismus im 16. und 17. Jahrhundert nicht berücksichtigt wurde, ist hingegen eher dem Zeitabstand zwischen Abschluss (1999) und Drucklegung (2005) des Manuskripts geschuldet. Diese Lücken sind insofern zu bedauern, als eine breitere Literaturnutzung es Nelson erlaubt hätte, seine Ergebnisse besser zu kontextualisieren, zu verallgemeinern (etwa in Hinsicht auf das von Yardeni, Yali Haran u.a. diskutierte, schon von den Zeitgenossen gerade mit Blick auf die Jesuiten hinterfragte Verhältnis von Religion und Nation) und so die Linien länger und kräftiger auszuziehen als mit einem bloß andeutenden Verweis auf 1762.
Eric Nelson: The Jesuits and the Monarchy. Catholic Reform and Political Authority in France (1590-1615) (= Catholic Christendom, 1300-1700), Aldershot: Ashgate 2005, xiv + 275 S., 7 fig., ISBN 978-0-7546-3888-9, GBP 47,50
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