Die Publikation thematisiert den Kunstraub der Nationalsozialisten in Österreich in der Zeit von 1938 bis 1945 sowie die schleppende Restitution nach 1945. Zu den Autoren dieses Sammelbandes zählen Kunsthistoriker, Museumspädagogen, Zeithistoriker, Juristen und Publizisten, sodass das Thema aus verschiedenen Perspektiven behandelt wird.
Nur zwei Beiträge untersuchen die Tätigkeit einer reichsdeutschen Institution in Österreich: Das so genannte "Führermuseum Linz" spielte bei der kulturellen Ausplünderung Österreichs und vor allem der österreichischen Juden eine wichtige Rolle. Ebenso wichtig war die "Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei" in Wien, die im August 1940 von der Gestapo beziehungsweise auf Anregung des Reichssicherheitshauptamtes gegründet worden war. Die Mehrzahl der Beiträge behandelt jedoch die Rolle österreichischer Akteure, das heißt verschiedener österreichischer Kunsthändler oder Museumsfachleute.
In den letzten Jahren wurde mit jeder einschlägigen Publikation zum Thema "Kunstraub der Nationalsozialisten" die Rolle des Kunsthandels bei der Enteignung jüdischer Kunstsammlungen höher bewertet. Diese Bewertung findet ihren vorläufigen Höhepunkt in dem vorliegenden Sammelband. Ein interessanter Beitrag liegt von der Herausgeberin Alexandra Caruso vor, die die Tätigkeit des Wiener Dorotheums in der fraglichen Zeit untersucht hat und dabei insbesondere auf die Bedeutung der so genannten "Hausauktionen" (Auktionen, die in den Privatwohnungen abgehalten wurden) des Dorotheums hinweist. Der Artikel stellt einen ersten Versuch dar, die Rolle des Wiener Dorotheums in den 30er- und 40er-Jahren aufzuarbeiten. Dies ist umso bemerkenswerter, da der Beitrag aus der Not geboren wurde: Wie die Herausgeber in der Einleitung (16) bemerken, wurden zwei versprochene Beiträge zur Geschichte des Dorotheums überraschend zurückgezogen, sodass der geplante "Themenblock" zum Dorotheum nicht realisiert werden konnte. Eine Publikation über den Kunstraub in Österreich ohne eine Analyse der Funktion des Dorotheums wäre dagegen Fragment geblieben.
Der Beitrag von Caruso verschränkt sich mit dem Artikel von Monika Mayer über den Kunsthistoriker Bruno Grimschitz. Grimschitz war nicht nur der Leiter der Österreichischen Galerie in Wien 1938-1945 und spielte bei der Ausrichtung der Museumspolitik eine äußerst ambivalente Rolle, sondern er war in Doppelfunktion auch Experte und Ratgeber des Dorotheums. Die Geschichte des Dorotheums wird weiterhin ergänzt durch den Beitrag von Sabine Loitfellner über die "Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei" ("Vugesta"). Diese Organisation wurde von der Gestapo in Wien eingerichtet, um das Umzugsgut jüdischer Flüchtlinge, darunter auch unzählige Kunstwerke, zu beschlagnahmen und zu vermarkten. Ein Teil dieser Kunstwerke wurde über das "Dorotheum" versteigert.
Doch das Dorotheum war natürlich nicht der einzige Vertreter des Kunsthandels, der von der Beraubung der österreichischen Juden profitiert hatte. Gert Kerschbaumer beleuchtet die Tätigkeit des Salzburger Kunsthändlers Friedrich Welz, und Walter Schuster untersucht die Rolle des Berliner Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt, der während des Zweiten Weltkrieges nach Alt-Aussee übergesiedelt war und 1952/53 seine umfangreiche Kunstsammlung an die Stadt Linz verkauft hatte. Gabriele Anderl wiederum stellt mehrere Wiener Kunsthändler wie z.B. die Familie Otto und Maria Schatzker vor, indem sie exemplarisch deren Beteiligung an dem Verkauf der Sammlung Mendelssohn-Gordigiani untersucht. Baronin Giulietta Mendelssohn-Gordigiani, die Witwe des Berliner Bankiers Robert von Mendelssohn, war nach dem Tod ihres Mannes nach Italien zurückgekehrt und ließ ihre Sammlung in Österreich verkaufen. Darunter befanden sich zwei Rembrandts, von denen ein "Selbstporträt" an das Kunsthistorische Museum in Wien, das "Porträt der Hendrickje Stoffels" jedoch an das "Führermuseum Linz" verkauft wurde. Bedauerlicherweise erwähnt die Autorin nicht, dass die "Hendrickje Stoffels", die sich heute übrigens als Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland im Staedel in Frankfurt am Main befindet, nachträglich und fälschlich mit "Rembandt" signiert worden ist und daher bestenfalls aus der Werkstatt Rembrandts stammt. Dieser Umstand war dem damaligen Chefeinkäufer des "Führermuseums Linz", Hans Posse, nachweislich bekannt, was die langwierigen Verhandlungen über einen angemessenen Kaufpreis natürlich in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt.
Einen anderen Ansatz hat Gottfried Fliedl, der die Museums- und Ausstellungspolitik in der NS-Zeit - nicht nur in Österreich - analysiert. Er stellt die bekannteren Auswüchse nationalsozialistischer Museumspolitik wie die "Aktion Entartete Kunst", das "Führermuseum Linz" oder die Ausstellung von Propagandakunst im "Haus der deutschen Kunst" in München weniger bekannten Museumskonzepten wie dem Salzburger "Haus der Natur" oder dem Jüdischen Museum in Prag gegenüber. Der Vergleich ist grundsätzlich schwierig, weil es sich einerseits um "etablierte Museen" handelte, die sich mehr oder weniger der NS-Kulturpolitik anpassten, und Museumsneugründungen beziehungsweise neue Ausstellungskonzeptionen, die sich nur aufgrund ihrer absoluten Übereinstimmung mit der NS-Kulturpolitik durchsetzen ließen. Leider fehlt in dem Beitrag ein Resümee, das Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen diesen Konzepten aufzeigt und versucht, diese zu begründen. Der Leser ist hier auf eigene Schlussfolgerungen angewiesen.
Ein einziger Beitrag widmet sich der eher technischen Seite des Problems: die Untersuchung der Rückseiten von Gemälden. Der Autor Gerhard Plasser hat anhand von Beispielen aus der Landesgalerie Salzburg Gemälderückseiten untersucht und dokumentiert. Das klingt einfacher als es ist. Tatsächlich fehlt es an einem Nachschlagewerk für Sammlerstempel oder -vermerke des 19./20. Jahrhunderts. So sieht sich der Betrachter von Bildrückseiten häufig mit völlig unverständlichen Kürzeln, schwer leserlichen Zollstempeln oder Zahlen konfrontiert, die er nur in seltenen Fällen zuordnen kann. Es wurde daher von Seiten der Provenienzforscher schon mehrfach angeregt, ein solches Nachschlagewerk in Form einer virtuellen Datenbank zu schaffen. Leider scheiterte dies bisher an der allgemeinen finanziellen Situation in den Museen.
Die Publikation "NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen" gibt einen sehr guten Überblick über die Rolle des österreichischen und deutschen Kunsthandels in Österreich bei der Auflösung jüdischer Kunstsammlungen und die Verschleppungs- und Verschleierungspolitik in Österreich nach 1945 gegenüber den Restitutionsbegehren jüdischer Überlebender. Letztere werden in Einzelfällen immer wieder aufgezeigt. Das Besondere an dieser Publikation ist, dass mehrere Beiträge die abweichenden museumspolitischen Entwicklungen in Österreich wie zum Beispiel bei der "Aktion Entartete Kunst" beleuchten. Auch das "Gieren nach Albin Egger-Lienz..." - so der Titelanfang des Beitrags von Thomas Trenkler - dürfte eine rein österreichische Erscheinung sein, da dieser Maler im Deutschen Reich kaum bekannt und wenig begehrt war. Wichtig ist auch der Hinweis auf die verschiedenen juristischen Voraussetzungen im Deutschen Reich und in Österreich: In Österreich war 1918 ein Ausfuhrverbotsgesetz für Kulturgüter geschaffen worden, das nach 1938 instrumentalisiert und gegen jüdische Sammler und ihr Vermögen eingesetzt wurde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die einzelnen Aufsätze dieses Sammelbandes ineinander übergreifen, ohne zu lästigen Retardierungen zu führen. Das lässt auf ein "gutes Händchen" der Herausgeber schließen. Der Band leistet damit einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Vorgänge in Österreich in der NS-Zeit.
Gabriele Anderl / Alexandra Caruso (Hgg.): NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen, Innsbruck: StudienVerlag 2005, 313 S., ISBN 978-3-7065-1956-4, EUR 33,00
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