Trotz der wachsenden fachwissenschaftlichen Forschungsliteratur und der inzwischen beträchtlichen Anzahl von Anthologien, Methoden-Readern und Einführungen fehlt es bislang an übergreifenden historisch-kritischen Darstellungen, die auch der neuesten Fachdiskussion gerecht werden. Hatt und Klonk haben sich dieser Aufgabe gestellt. Ihr Buch liefert auf nur 250 Seiten eine angenehm lesbare, klar gegliederte und problembewusste Erörterung der Fachgeschichte von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Die üblicherweise Winckelmann, Rumohr oder älteren kennerschaftlichen Traditionen zugewiesene Geburtshelferrolle wird überraschender Weise Hegel zugeschrieben, denn er habe als Erster eine Lösung des so genannten hermeneutischen Problems bereitgestellt, das für Hatt und Klonk den Ausgangspunkt für die Geschichte der Kunstgeschichte darstellt: Wie konnte die (schon von Winckelmann und deutlicher noch von Herder artikulierte) Einsicht in den geschichtlichen Abstand der Kunstwerke mit der Intention ihrer Deutung vereinbart werden? Durch seine Theorie des "Weltgeistes" habe Hegels Philosophie die Gegenwart des Interpreten mit der Vergangenheitsdimension des Kunstwerks verknüpft. Deutung war auf der Grundlage eines geschlossenen Geschichtsbegriffs möglich geworden, der den Kunsthistoriker und seinen Gegenstand am selben universalen Bewusstseinsprozess partizipieren ließ. Insofern repräsentiert Hegels Kunstphilosophie den Auftakt zu den "monokausal" genannten Ansätzen der klassischen Kunstgeschichte, deren Geltungskraft bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts reiche und deren Erörterung den ersten Teil des Buches ausmacht.
Das Stichwort "Monokausalität" impliziert, dass diese klassischen Methoden einer metaphysischen Prämisse folgen, die von den pluralistisch orientierten Forschungsmethoden nach 1960 abgelegt worden bzw. diesen verloren gegangen sei. Durch diese Klammer lässt sich die wiederum überraschende Anordnung des Kapitels "Connoisseurship" im Anschluss an die Besprechung der Hegelschen Kunstphilosophie verstehen, die historisch gesehen doch die Kunstgelehrsamkeit ablöste. (Hegels bissige Kritik an Rumohr bleibt ausgespart). Den Autoren geht es weniger um die Abgrenzung als um die Gemeinsamkeit einer "absoluten" Idee: An Stelle des Weltgeistes pflegten Rumohr, Morelli und Berenson die Konzepte der Individualität und Originalität (42). Auch für die übrigen klassischen Richtungen - es folgen die Kapitel "Formalism: Heinrich Wölfflin and Alois Riegl", "Iconography-iconology: Erwin Panofsky" und "Marxism and the social history of art" - werden auf ihre Legitimationsfiguren hin geprüft. In der kritischen Würdigung, die jedes Kapitel abschließt, heißt es zum Beispiel zu Panofsky, dass seine eingeschränkt intellektualistische Weltanschauungsdeutung auch von Kritikern nicht revidiert worden sei, da zum Beispiel auch eine weniger humanistisch als sozialhistorisch oder feministisch argumentierende ikonographisch-ikonologische Analyse Panofskys Überzeugung teile, "that artworks are amenable to a coherent interpretation which can situate them meaningfully within the larger set of beliefs of their age." (117)
Die marxistischen und sozialhistorischen Methoden nehmen in der von Hatt und Klonk entworfenen historischen Konstruktion eine bedeutsame Scharnierstelle ein. Denn erstmals werde nicht mehr eine elitär-universale Perspektive angelegt, vielmehr argumentierten die Autoren nun von einem "partisan point of view" aus (121). Sie verstünden ihre wissenschaftliche Arbeit als politisch motivierte Intervention in den herrschenden Diskurs und antizipierten darin feministische und postkolonialistische Ansätze. Was den Marxismus anders als letztere jedoch dem "monokausalen" Prinzip verpflichte, sei die orthodoxe Lehre von ökonomischer Basis und ideologischem Überbau, deren Anwendung auf die Kunstgeschichte an Frederick Antals 'Florentine Painting and its Social Background' (1948) und Arnold Hausers 'Social History of Art' (1962) dargelegt wird. So wie Hegel den Geist, der Kenner das Originalgenie, Riegl und Wölfflin die Psychologie der Wahrnehmung und Panofsky den rationalen Sinn als Fundament der künstlerischen Erscheinungen und ihrer Veränderung bestimmten, hätten diese Autoren analog zu jenen Ursprungserzählungen die ökonomischen und sozialen Interessen als Ursache des Stilausdrucks behandelt. Die sozialgeschichtliche Methode eines T.J. Clark habe aus diesem Dilemma herausgeführt, indem sie das Basis-Überbau-Modell als zu simplizistisches verworfen und an seiner Stelle eine Vielzahl von Relationen zwischen Künstler, Kunstwerk und Institutionen, oder auch zwischen politischen Argumenten und ökonomischen Konflikten berücksichtige, ohne doch einem dieser Faktoren Deutungspriorität zuzumessen. Auf diesem Hintergrund sei Kunst nicht notwendig durch ökonomische Kräfte determiniert, sondern gegebenenfalls - legitimiert durch eine Äußerung von Marx selbst - auch Trägerin utopischer Ziele.
Louis Althusser, der den Ideologiebegriff von der dem Basis-Überbau-Modell impliziten Widerspiegelungstheorie löste, fungiert als Referenzautor des sozialgeschichtlichen Ansatzes, der gleichwohl, wie Hatt und Klonk zu Recht deutlich machen, auch ohne die marxistische Theorie auskommt (138). Unterschieden wird eine neomarxistische Sozialgeschichte, die von einem potenziell ideologischen, "falschem Bewusstsein" dienenden Charakter der Kunst ausgeht und einer nicht-marxistischen Sozialgeschichte, die in der Kunst den Ausdruck politischer oder sozialer Anschauungen sieht. Hatt und Klonk beschreiben am Ende präzise auch die negative Konsequenz der Absage an das Basis-Überbau-Modell, indem sie daran erinnern, dass es sich um ein Geschichtskonzept handelt. Das die kunstgeschichtliche Hermeneutik tragende Konstrukt einer Verbindung von Gegenwart (des Interpreten) und Vergangenheit (der Kunst) sei mit dem Konzept der Widerspiegelung aufgegeben worden. Es gab keine alternative Konzeption des Geschichtsprozesses, die an die Stelle des Historischen Materialismus hätte treten können Übrig blieb allein, so die Autoren, die historische Bestimmtheit der Kunst ("art's historical specifity", 141).
Besonderes Interesse dürfte der Teil 2 auf sich ziehen, denn die hier verhandelten aktuellen Ansätze, die unter dem Motto 'New Art History' von der englischen und amerikanischen Forschung seit den späten 1970er-Jahren vorangetrieben wurden, sind im deutschsprachigen Bereich verspätet aufgenommen und noch wenig erschlossen worden. Auf den ebenso emphatischen wie diffusen Sammelbegriff der "neuen" Kunstgeschichte verzichten Hatt und Klonk dabei völlig. Vergeblich wird man auch nach dem Stichwort 'Visual Culture' suchen, einem Terminus, der 2003 in die zweite Ausgabe der 'Critical Terms for Art History' (hg. von Robert S. Nelson und Richard Shiff), das Begriffskompendium der 'New Art History', aufgenommen und damit kanonisiert worden ist. Die Autoren begründen diese Ausgrenzung damit, dass noch keine theoretisch-methodische Verankerung der Visual Studies präzisiert wurde, mithin über die bloße Gegenstandserweiterung der Kunstgeschichte auf Alltagsbilder hinaus dieser Ansatz noch nicht fassbar geworden sei (2). Das Argument ist bezeichnend für die Vorgehensweise der beiden Autoren, die trotz ihrer unterhaltsam flüssigen, oft wie beiläufig erscheinenden Formulierungsweise eindringlich und mit großer Konzentration daran arbeiten, Theorie und Praxis der Kunstgeschichte aufeinander zu beziehen und dabei die Grundprobleme und ihre Lösungswege nicht aus den Augen zu verlieren. So bieten sie für das unübersichtliche Methodenfeld der neuesten Kunstgeschichte durchaus schlüssig vier bündige Zugänge an: Feminismus, Semiotik, Psychoanalyse und Postkolonialismus.
Das Kapitel 'Feminism' informiert ausgehend von der frühen, an die Sozialgeschichte anschließenden feministischen Forschung (Nochlin) über die an Foucault orientierte Genderforschung bis hin zu den Gay-, Lesbian- und Queer-Studies, deren konsequente Entfaltung der neuen, von gesellschaftlichen Randpositionen her aufgebrachten politischen Fragestellung herausgearbeitet wird. In Fortsetzung der Ausführungen über Marxismus und Sozialgeschichte wird aber auch immer wieder subtil das mit Foucaults Theorie der Macht verbundene Grundproblem eines relativistischen, allein auf partiale Interessen gegründeten Wissenschaftsparadigmas kenntlich gemacht. Zum Beispiel wird an Linda Neads Deutung des viktorianischen Frauenbilds gezeigt, dass mit dem Foucaultschen Ansatz die sozialgeschichtliche Frage nach den zeitgeschichtlichen Quellen entfällt, da das gemalte Bild auf der Basis der Diskurstheorie selbst "Text" geworden ist. Die Malerei ist demnach selbst die Institution, die etwa das Konzept der "gefallenen Frau" hervorbringt. Hatt und Klonk stellen die Innovation eines solchen Ansatzes klar, "which refuses art as an illustration of other discourses" (163), um zugleich das offene Problem zu benennen, dass damit noch nicht erklärt sei, worin die Ursache für die historische Konstruktion eines solchen Klischees zu suchen sei. Wiederum wird auf das Fehlen eines umfassenden Geschichtsbegriffes verwiesen, wenn an Pollocks und Parkers Einbeziehung marxistischer Positionen aufgezeigt wird, dass deren Aussage, Geschlecht und Klasse seien voneinander unablösbar und in ihrer Bedeutung gleichgewichtig, die Frage aufwirft: "which is the more fundamental" (170). Der Verzicht auf die "monokausalen" historischen Erklärungen der klassischen Kunstgeschichte wird auch in den übrigen Kapiteln sowohl in seiner inneren Notwendigkeit wie in seiner Problematik geschildert.
Die Lektüre des Buches ist uneingeschränkt sehr zu empfehlen, und zwar auf allen akademischen Niveaus. Vorbildlich und wohl in dieser Qualität neu ist die gelungene Verbindung von einführendem Text und kritischem Kommentar, der die virulenten Forschungsprobleme zu artikulieren vermag, ohne schon vorschnell eigene Gegenentwürfe zu liefern. Die in Überblicksdarstellungen und Einführungsliteratur grundsätzlich drohende Gefahr, dass sich in der didaktischen Aufbereitung des Materials der forschungsrelevante Gedanke verflüchtigt, ist hier meisterlich ausgeräumt. Mit welcher Genauigkeit und Grundlagenkenntnis die jeweiligen Referenztheorien, ihre Schlüsselbegriffe und ihre Anwendung in kunsthistorischen Fallbeispielen erörtert und reflektiert werden, ist bewundernswert. Auch an der Ausklammerung der Visual Studies ist nur wenig zu rütteln, denn an einer Protagonistin dieser Richtung, Mieke Bal, wird im Kapitel 'Semiotics' der entscheidende, auch nach dem "iconic turn" nicht überschrittene Theorierahmen deutlich gemacht. (Hatt und Klonk verzichten deshalb nicht von ungefähr auf jeden "turn"- Begriff). Dass dem Postkolonialismus das Schlusskapitel gewidmet ist, mag zunächst überraschen, erweist sich aber als konsequente Entscheidung, denn die mit den neomarxistischen Ansätzen einhergehende Politisierung und Pluralisierung kunsthistorischer Methodik ist mit der Infragestellung des eurozentristischen Denkens, das auch die Thematisierung des westlichen Kunstbegriffs impliziert, radikal entfaltet worden.
Anlässlich der Makrostruktur des Buches sind gleichwohl zwei Einwände zu erheben. Die Einteilung der Kunstgeschichte in einen klassischen, so genannten monokausalen Erklärungsmustern verpflichteten Abschnitt und einen nachklassisch pluralistischen Ansatz ist zwar in vieler Hinsicht plausibel, schneidet aber dadurch Entwicklungsmöglichkeiten der Kunstgeschichte ab, dass Monokausalität allzu verkürzt als einzige Struktur eines Ansatzes erscheint, der Geschichte als gerichtete Bewegung mit eigener Gesetzlichkeit begreift und damit dem geschilderten hermeneutischen Problem gerecht wird. Indem Hegels und Marx' dialektische Geschichtsauffassungen für das monokausale Geschichtsdenken der Kunstgeschichte in Haft genommen werden, scheint jeder Ansatz zu einem Geschichtsbegriff, der mehr will als das Kunstwerk punktuell in Raum und Zeit zu lokalisieren (ob historistisch in der Entstehungszeit des Kunstwerks oder postmodern in der Zeit des Interpreten), dem Mythosverdacht preisgegeben. Es gäbe keinen Ausweg aus dem doch klar aufgewiesenen Geschichtsverzicht der neuen Kunstgeschichte. Mit allem Nachdruck festzuhalten ist jedoch: Monokausalität als Leitmotiv der klassischen Kunsthistoriographie (man denke vor allem an das "Kunstwollen") ist nicht mit Hegel und Marx zu erklären, sondern ein Erbe der romantischen Kunstphilosophie und ihrem wohl wesentlich durch Schopenhauer vermittelten Monismus. Schnaase, der, einem alten Missverständnis folgend, grosso modo als Erbe Hegels dargestellt wird (38), hat ebenso wenig mit diesem gemein, wie Antal, der die kunstgeschichtlichen Grundbegriffe auf klassengebundene Weltanschauungen projiziert hat, schon als marxistischer Denker gelten kann. In dieser Hinsicht folgen die Autoren eingeschliffenen Sehweisen, entgegen ihren eigenen Beobachtungen. So melden sie keinen Zweifel an bei der Referierung von Selbstbegründungen neomarxistischer Positionen, die den angeblichen Reduktionismus des Basis-Überbau-Modells aufkündigen, obwohl sie offen legen, dass mit T.J. Clarks Verabschiedung des Historischen Materialismus eine ästhetische Utopie, mithin romantische Kunstauffassungen neue Durchsetzungskraft gewannen (140). Es würde sich lohnen, diese signifikante Begründung der postmodernen "Motiviertheit" kunsthistorischer Forschung weiterzuverfolgen.
Der zweite Einwand steht mit dem ersten in Verbindung und betrifft die ebenfalls zu reduzierte Betrachtung des hermeneutischen Grundproblems, mit der das Buch anhebt. Hatt und Klonk führen anhand von Picassos 'Demoiselles d'Avignon' zu Beginn exemplarisch die dann referierten Methoden der Kunstgeschichte vor. Diese "Vorschau" hat den Nachteil, dass sie das Grundproblem der kunsthistorischen Forschung in einem abstrakten Gegenüber von Interpret, Werk und verfügbaren Methoden zu bestimmen sucht, deren historischer Hintergrund somit ausgeblendet bleibt. Ist die kunsthistorische Forschung tatsächlich in der genannten hermeneutischen Problematik fassbar, die doch an der Prämisse hängt, dass im Kunstwerk Wahrheit aufgespeichert sei? In der methodischen Fokussierung eines Werks der modernen Hochkunst binden sich die Autoren an eine Methode, deren Substanz sie durch die abschließende Konstatierung der Unabschließbarkeit des Deutungsvorganges als aufgezehrt darstellen, was im Übrigen durch die (vielleicht doch zu Unrecht ausgesparten) Visual Studies zu der ebenso zwingenden wie fragwürdigen Konsequenz geführt wurde, die Konfrontation mit dem Einzelwerk aufzukündigen und den kunsthistorischen Interpretationsprozess zu entmaterialisieren.
Die fehlende Vertiefung in das als zentrales dargestellte hermeneutische Problem ist wohl auch der Ausgrenzung eines beträchtlichen Teils der deutschsprachigen Kunstgeschichte geschuldet: Hatt und Klonk berücksichtigen unter dem Stichwort "Formalism" lediglich die stilgeschichtlichen Traditionen, ohne die strukturanalytische und hermeneutische Fokussierung des Einzelwerks (Sedlmayr, Imdahl, Boehm) zu erwähnen, welche auch als Vorgeschichte der (ebenfalls nicht berücksichtigten) Diskussion um eine allgemeine Bildwissenschaft von methodischem Belang wäre. Hatt und Klonk haben also noch einige Probleme übrig gelassen für eine zukunftsgerichtete Selbstreflexion des Faches Kunstgeschichte. Ihr Buch bietet für weitere Versuche dieser Art einen formal wie inhaltlich unhintergehbaren Maßstab und Ausgangspunkt.
Michael Hatt / Charlotte Klonk: Art history. A critical introduction to its methods, Manchester: Manchester University Press 2006, xii + 250 S., ISBN 978-0-7190-6958-1, GBP 55,00
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