Wer sich mit der "Wende" in der DDR befasst, denkt nicht unbedingt zuerst an die ostdeutsche Frauenbewegung und ihre Rolle am Zentralen Runden Tisch (ZRT). Und doch: Im kurzen Zeitfenster eines halben Jahres - von Oktober 1989 bis März 1990 -, das den Machtwechsel von den plötzlich entmachteten starken Männern der SED zu den neuen starken Männern des Helmut Kohl markiert, versuchten einige selbstbewusste DDR-Frauen ins Machtvakuum vorzustoßen. Über die zeitlich wie inhaltlich sehr "begrenzte Teilhabe" dieser zusammengewürfelten, improvisierten DDR-Frauenbewegung handelt die in Frankfurt am Main entstandene Dissertation von Eva Sänger. Dabei werden Wortprotokolle des ZRT ausgewertet und durch Interviews mit führenden Akteurinnen ergänzt.
Die Relevanz des Themas begründet Sänger damit, dass sich "im Unterschied zu den osteuropäischen Ländern" einzig in der DDR "eine vom Staat unabhängige Frauenbewegung" entwickelt habe - mit der sie durchaus sympathisiert. Mit dem am 3.12.1989 gegründeten "Unabhängigen Frauenverband" (UFV) sei ein "zivilgesellschaftlicher Akteur" entstanden, der "eine beachtliche Rolle in den neu entstehenden pluralistischen Öffentlichkeiten" der DDR gespielt habe: "Der neu gegründete Frauenverband war in den Medien präsent, entsandte Vertreterinnen an lokale Runde Tische, nahm an Kommunal- und Volkskammerwahlen teil und wurde [...] in der Übergangsregierung Modrow vertreten." (11). Allerdings sei der UFV nach der Volkskammerwahl im März 1990 marginalisiert worden. Daher will Sänger anhand der Partizipation des UFV am ZRT der DDR demonstrieren, dass der "demokratische Umbruch in der DDR" zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume von Frauen nicht nur erweiterte, sondern gleichzeitig wieder einengte (11 f.).
Sängers "theoretische Kontextualisierung" des Konzepts der "Zivilgesellschaft" (25 ff.) steht - wie so oft - zum Rest der Untersuchung in keinem Zusammenhang, sieht man vom Bezug zwischen dem "antipolitischen" Programm Vaclav Havels und den frauenbewegten Vorstellungen Ulrike Poppes von 1985 einmal ab (88 f.). Der Forschungsüberblick befasst sich mit der Funktion der Runden Tische als "Übergangsgremien" neben den "offiziellen, delegitimierten politischen Institutionen" der erodierenden SED-Diktatur. Diese Funktion wird sehr unterschiedlich bewertet - als idealisierte "Vorschule der Demokratie" oder als basisdemokratisches Alternativmodell zum parlamentarischen System, aber auch als ein "Gremium, in dem der Kompromiss mit der Regierung institutionalisiert und die Machtfrage an die SED nicht konsequent genug gestellt worden" sei. Hier hätte man sich die deutliche Feststellung gewünscht, dass der ZRT seine politische Funktion ausschließlich während der Regierung Modrow besaß - als Dialogforum zwischen teil-entmachtetem SED-Apparat, kirchlichen Moderatoren und selbstermächtigten Bürgerrechtsgruppen, das folgerichtig mit den demokratischen Volkskammerwahlen überflüssig wurde. Die Runden Tische waren keineswegs "Räume außerhalb der offiziellen, delegitimierten politischen Institutionen" (12), wie Sänger meint, sondern Räume der situativen Erweiterung dieser Institutionen.
Sängers Blick auf die Vorgeschichte der "Geschlechterverhältnisse und informelle[n] Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre" (46-122) fällt unbefriedigend aus. Die knappe Skizze der SED-Familien- und Frauenpolitik (48 f.) und der Blick auf die "geschlechterdifferenzierte Verfügung über Ressourcen" (49) bleiben blass und schematisch. Wie in feministischer Sicht üblich, wird die SED-Diktatur als "paternalistischer Staat" definiert (52), ohne nach sozialen und mentalen Konsequenzen der hohen Frauenerwerbsquote und nach Eigendynamiken weiblicher Interessenpolitik zu fragen. Damit bleiben die zwar begrenzten, sich in vierzig Jahren SED-Herrschaft gleichwohl ausweitenden Partizipationschancen von Frauen völlig unausgelotet. Aber je dunkler der Hintergrund, desto strahlender das feministische Erwachen. Letzteres wird von Sänger treffend als Spannung zwischen SED-beherrschten "offizielle[n] Öffentlichkeiten und informelle[n] Netzwerken" (52) definiert. Ab 1980 entwickelten sich drei Netzwerke aus Frauen-Friedensgruppen, "kirchliche[n] Frauengruppen" (natürlich nur feministische!) und "Lesbengruppen" (67 f.), die zur Schaffung einer Gegenöffentlichkeit beitrugen (69 f.) und durch ihre gegenseitige Vernetzung 1989 zur Basis des UFV wurden. Mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten waren sie freilich auch der Ursprung seiner internen "Konfliktlinien" (158).
Als im Dezember 1989 1.200 in der Ost-Berliner Volksbühne versammelte Frauen den UFV gründeten (141 f.), zeigte sich eine eklatant schmale Mitgliederbasis, deren Schwäche kurzfristig durch das euphorische Erlebnis "kollektiver Stärke" (158) und die Mitgestaltungspotenziale der revolutionären Ausnahmesituation verdeckt wurden, in der hochaktive Minderheiten dominierten. Bei allen Differenzen einte den UFV und die Regierung Modrow das Interesse, die DDR als sozialistischen Reformstaat zu erhalten (144 f.). Die Dynamik des Vereinigungsprozesses führte bald dazu, dass der UFV "nicht mehr nur" feministische Reformen von der DDR-Regierung forderte, sondern Seit an Seit mit derselben sozialpolitisch motivierte "Kapitalismuskritik" übte und die einst als "paternalistisch" attackierte SED-Sozialpolitik zunehmend idealisierte (146 f.).
Im UFV als neuem "Handlungsraum für unterschiedliche politische Anliegen im Umbruch" entzündeten sich sofort zwei Konflikte: Man stritt heftig darüber, ob sich der UFV an institutionalisierter Politik beteiligen dürfe und wie er sich zur SED/PDS zu stellen habe (172). Kirchliche Gruppen standen der SED distanziert gegenüber, andere pflegten generell ihre basisbewegte Skepsis gegenüber etablierter Politik (173). Freilich wurden solch "strukturelle Konfliktlinien" kaum offen diskutiert, denn bei "unklaren Zuständigkeiten" und ungeklärter Programmatik setzten sich letztlich "politisch eher links einzuordnende, SED-nahe oder feministisch orientierte Strömungen" in der Verbandsführung durch und marginalisierten alle Kritikerinnen (173). Die Nähe zur Entscheidungszentrale bedingte eine Vormachtstellung der Ost-Berliner Frauengruppen, und diese Dominanz eines kleinen Zirkels SED/PDS-naher Akademikerinnen erstickte jeden echten Pluralismus im UFV (174). Es war diese kleine Führungsgruppe, die mithilfe der Bürgerbewegungen Ende 1989 die Teilnahme des UFV am ZRT durchsetzte (201 f.) und damit den DFD als aktuelle Fraueninteressenvertretung verdrängte - ein beträchtlicher Anfangserfolg (185 f.). Aus dieser Führungsgruppe um Ina Merkel und die ZRT-Delegierte Uta Röth ging auch die zeitweilige Ministerin der Modrow-Regierung Tatjana Böhm hervor (191 f.). Diese Gruppe zog sich allerdings bereits nach den Volkskammerwahlen vom März 1990 aus dem UFV zurück (195).
Mit der Teilnahme am ZRT zwischen Dezember 1989 und März 1990 erlag der UFV der Fehleinschätzung, er könne das Handeln der Modrow-Regierung unmittelbar beeinflussen (184). Obschon sich dies als Illusion erwies, versuchte der Verband, "Einfluss auf ökonomische Entscheidungen" und den Verfassungsgebungsprozess zu nehmen (233). Dabei erlebte er schon in der Frage der Vorverlegung des Wahltermins für die Volkskammer von Mai auf März 1990 eine schwere Niederlage, weil dies die eigenen Wahlchancen minderte (240 f.). Frauenrelevanten Subventionsabbau (249) konnte der UFV nicht verhindern. Bemühungen, eine "geschlechterdifferenzierte Sprachregelung" in Gesetzestexten zu verankern, führten zwar zu einem ZRT-Beschluss, doch wurde dieser vom LDPD-Justizminister nicht akzeptiert (273 ff.). Der feministische Vorstoß (Sprachregelung plus Frauenquote) scheiterte eklatant bei der Neufassung des DDR-Wahlgesetzes, wo sich nicht nur die meisten Parteien, sondern auch die Bürgerbewegung "Neues Forum" vom UFV distanzierte (276 ff.). Immerhin gelang es dem UFV, im Verfassungsentwurf des ZRT feministische Sprachpolitik ansatzweise zu verankern und das Recht der Frau auf "selbstbestimmte Schwangerschaft" festzuschreiben (293 ff.) - womit eine "Errungenschaft" der "paternalistischen" SED-Politik unkritisch übernommen wurde. Doch auch hier scheiterte die Quotenpolitik des UFV (297 f.), und ein "Ministerium für Gleichstellung" wurde weder von Modrow noch von de Maizière realisiert (309 f.).
Sängers Fazit fällt daher ernüchternd aus: Die frauenpolitischen Forderungen des UFV seien "marginalisiert" worden; die "Männermacht" habe sich im turbulenten Wandel stabilisiert. Gleichwohl möchte die Verfasserin das "Modell des Runden Tisches" demokratietheoretisch bewahren - worin man ihr kaum folgen wird, wenn man die unlösbare Bindung dieser Institution an die Modrow-Regierung und ihren fragwürdigen Antiparlamentarismus nüchtern betrachtet. Auch die Kritik des UFV am Rechts-"Formalismus" oder der usurpierte Vertretungsanspruch für alle "Fraueninteressen" (274, 280 f.) durch einen Verband, der bei den Märzwahlen 1990 zusammen mit den Grünen gerade einmal 2% der Wählerstimmen erreichte, wäre zu hinterfragen. Sängers Einschätzung hingegen, als "Übergangsgremium" zur "politischen Sozialisation" der UFV-Vertreterinnen sei der ZRT "durchaus erfolgreich" gewesen (325 f.), wird man akzeptieren. Freilich handelte es sich dabei nicht nur um sehr "begrenzte Teilhabe", sondern auch um eine äußerst begrenzte Zahl von Teilnehmerinnen. Die von Sänger beschworene Sozialisation trug einige UFV-Frauen nach 1990 in Gleichstellungsbeauftragten- oder Professorenstellen, aber eben nicht an "die Macht". Nicht Ina Merkel, die SED-sozialisierte Feministin, sondern Angela Merkel, das SED-ferne "Mädchen" Helmut Kohls, steht heute selbstbewusst an der Spitze im wiedervereinigten Deutschland.
Eva Sänger: Begrenzte Teilhabe. Ostdeutsche Frauenbewegung und Zentraler Runder Tisch in der DDR (= Politik der Geschlechterverhältnisse; Bd. 29), Frankfurt/M.: Campus 2005, 369 S., ISBN 978-3-593-37847-3, EUR 39,90
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