sehepunkte 7 (2007), Nr. 4

Giuseppe Parlato: Fascisti senza Mussolini

Der im Dezember 1946 gegründete Movimento Sociale Italiano (MSI) war ganz offensichtlich eine Anomalie der italienischen und der europäischen Parteienlandschaft der frühen Nachkriegsjahre. Tatsächlich entstand nur in Italien eine Partei, die sich direkt auf das Erbe des Faschismus und der Repubblica Sociale Italiana (RSI) berief, also auf den Staat, den Mussolini im September 1943 nach seiner Befreiung ausgerufen hatte, um den Krieg an der Seite des Deutschen Reiches fortzusetzen und die "Schmach" des von der Regierung Badoglio ausgehandelten Waffenstillstands mit den Alliierten zu tilgen. Eigentlich hätten die Faschisten nach Kriegsende vollkommen diskreditiert auf der Anklagebank sitzen müssen. Schließlich hatten sie in Italien nicht nur eine brutale Diktatur errichtet, sondern das Land auch in einen ruinösen Krieg geführt, an dessen Ende hunderttausende von Opfern, die Zerstörung der Heimat und der Verlust aller Kolonien standen. Überdies hatten sich die Faschisten mit den Deutschen verbündet und von diesen unterstützt zwischen 1943 und 1945 einen blutigen Bürgerkrieg geführt, dessen Wunden lange Zeit nicht vernarben wollten.

Nach einer ersten Phase der sogenannten wilden Säuberungen, die tausende faschistischer Aktivisten das Leben kostete, wurde die Abrechung mit den Gefolgsleuten des "Duce" zunächst von der italienischen Justiz gebremst, in deren Reihen zahlreiche ehemalige Faschisten standen, und dann durch eine Amnestie gestoppt, die auf Justizminister Palmiro Togliatti zurückging, den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens und Vertrauensmann Stalins in Rom. In den Gefängnissen verblieben nur wenige frühere Parteigenossen - in der Regel verurteilte Verbrecher, die für ihre Untaten während des Bürgerkrieges zu büßen hatten. Wer von den führenden Repräsentanten des Regimes die letzten Tage des Krieges und die "wilden Säuberungen" überlebt hatte, konnte sich dagegen in der Demokratie einrichten und hatte auch die Möglichkeit, politisch wieder aktiv zu werden. Rodolfo Graziani, der Kriegsminister der RSI, der wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestanden hatte, konnte sich beispielsweise problemlos zur Galionsfigur des MSI küren lassen, während ein anderer Würdenträger des Regimes, Giuseppe Bottai, ungehindert eine politische Wochenschrift namens "ABC" herausgab, ohne sich freilich offen einer Partei anzuschließen.

Giuseppe Parlato, Dozent für Zeitgeschichte an der Freien Universität "San Pio V" in Rom, versucht zu erklären, wie es möglich war, dass die Faschisten so rasch auf die politische Bühne zurückkehren konnten und welche Kräfte sie dabei begünstigten. Sein Buch basiert vorwiegend auf den Unterlagen der italienischen Geheimdienste, die kürzlich für die Forschung freigegeben wurden (es handelt sich um den Bestand "Servizi informativi speciali" im Archivio Centrale dello Stato, Rom), und des amerikanischen Office of Strategic Services, die ein sehr präzises Bild von den im Untergrund operierenden faschistischen Gruppierungen geben, die teilweise bereits während des Krieges in den von den Alliierten befreiten Teilen Italiens entstanden waren. Parlatos These ist dabei ausgesprochen einfach: Aufgrund der Bedeutung, die der Faschismus in den zwanzig Jahren der Herrschaft Mussolinis für die italienische Gesellschaft erlangt habe, sei es ganz einfach unmöglich gewesen, beim Wiederaufbau der staatlichen Institutionen auf die früheren Gefolgsleute und Steigbügelhalter des "Duce" zu verzichten. Zudem hätten sich sowohl die kommunistische Partei als auch die Democrazia Cristiana intensiv um die Gunst so vieler Ex-Faschisten - unter denen sich viele fähige Fachleute befanden - wie möglich bemüht, um ihre eigene Massenbasis zu stärken. Der heraufziehende Kalte Krieg habe ein übriges dazu getan, die Reintegration der "Ehemaligen" zu erleichtern, zumal die amerikanischen Geheimdienste noch vor dem 8. Mai 1945 Kontakt zu zahlreichen faschistischen Gruppierungen aufgenommen hätten, um sie nach Kriegsende für den Kampf gegen den Kommunismus zu instrumentalisieren.

Parlatos Studie ist nicht zuletzt deshalb von so großem Interesse, weil die Anfänge des MSI bisher kaum erforscht waren. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass das hier besprochene Buch zuweilen wenig zuverlässig ist. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich der Autor ausgiebig der neofaschistischen Geschichtsschreibung und der Memoiren hochrangiger Ex-Faschisten bedient hat, ohne sie in ausreichendem Maße kritisch zu hinterfragen. Bei seinen Ausführungen zur Auferstehung des Faschismus in Rom nach dem 8. September 1943 stützt sich Parlato beispielsweise auf die Angaben von Pino Romualdi, dem stellvertretenden Generalsekretär des Partito Fascista Repubblicano (PFR), der erklärt, allein in Rom habe die Partei bis Ende Oktober 35.000 eingeschriebene Mitglieder gezählt (14). Auf Seite 102 erklärt er dagegen mit Gino Bardi, dem Chef des PNF in Rom, in der Ewigen Stadt habe es im November 1943 15.000 eingeschriebene Faschisten gegeben - eine Zahl, die Parlato selbst als geschönt bezeichnet. Ein anderes Beispiel: In seinen unter dem Titel "L'ultimo federale" erschienenen Memoiren berichtet der Mailänder Parteichef Vincenzo Costa, ein Abgesandter der alliierten Geheimdienste habe ihn mit den Worten zur Aufgabe bewegen wollen: "Uns genügt der Sieg. Beim Wiederaufbau des Vaterlandes werden Männer wie Sie sehr nützlich sein." (83). Mit Costas Erinnerungen verhält es sich freilich wie mit vielen anderen Selbstzeugnissen ehemaliger Würdenträger der RSI: Es handelt sich um apologetische Schriften, die dazu dienten, den Verfasser in ein günstiges Licht zu rücken und die Resistenza zu diskreditieren.

Alles in allem ist Parlatos Studie ein mutiger Versuch, bislang unbekannte Aspekte des politischen Neubeginns in Italien zu beleuchten. Allerdings hätte er zuweilen mehr Sorgfalt bei der Auswertung seiner Quellen walten lassen müssen.

Aus dem Italienischen übersetzt von: Thomas Schlemmer

Rezension über:

Giuseppe Parlato: Fascisti senza Mussolini. Le origini del neofascismo in Italia, 1943-1948, Bologna: il Mulino 2006, 448 S., ISBN 978-88-15-11417-4, EUR 25,00

Rezension von:
Amedeo Osti Guerrazzi
Università degli Studi di Roma "La Sapienza", Rom
Empfohlene Zitierweise:
Amedeo Osti Guerrazzi: Rezension von: Giuseppe Parlato: Fascisti senza Mussolini. Le origini del neofascismo in Italia, 1943-1948, Bologna: il Mulino 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/04/12542.html


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