sehepunkte 7 (2007), Nr. 5

Petra Werner: Der Fall Feininger

Der Maler Lyonel Feininger ließ bei seiner Emigration nach Amerika 1937 einen Teil seines Werkes in Deutschland zurück, wo es von einem Freund der Familie, Hermann Klumpp, im Anwesen seiner Eltern, später seinem eigenen, aufbewahrt wurde. Da Klumpp schließlich die Meinung vertrat, die Kunstwerke seien in sein Eigentum übergegangen, klagten die Erben Feiningers nach dem Tod von dessen Witwe auf Herausgabe der Gemälde. 1972 begannen die gerichtlichen Verhandlungen. 1984 gelangten 49 der strittigen Gemälde nach New York. Die Geschichte dieser Rückerstattung, beginnend mit einem Brief der amerikanischen Anwälte vom Dezember 1970 an Klumpp, bei der persönliche Interessen und Antipathien ebenso eine Rolle spielten wie der kunsthistorische Rang Feiningers oder die politische Situation zwischen Ost und West, ist Gegenstand des Buches. Da sich all diese Vorgänge weitgehend hinter verschlossenen Türen vollzogen, ist das Thema auch für diejenigen von außerordentlichem Interesse, die mit den Ereignissen in ihren Eckpunkten bereits vertraut waren.

Petra Werner beschreibt die Vorgänge von der Kontaktaufnahme an über die Sichtung der Gemälde bei Klumpp, ihre Verwahrung und restauratorische Sicherung in den Depots der Ostberliner Nationalgalerie, den Prozess in Halle, der 1975 für die meisten Bilder zu Gunsten der Erben ausging, die langwierigen diplomatischen Verhandlungen über die Ausfuhr nach Amerika, bei denen das Streben nach internationaler Anerkennung der DDR und nach Einnahmen für den devisenschwachen Staat sowie nach Rückerstattung kriegsbedingt verlagerter oder in der Nachkriegszeit gestohlener Werke aus Museumsbesitz eine Rolle spielten, die Klage auf Herausgabe gegen die DDR bis zur Ankunft der Gemälde in den USA und zur Gründung der Lyonel Feininger Galerie in Quedlinburg aus den Hermann Klumpp verbliebenen Beständen. Dabei geht sie im Prinzip chronologisch vor. Allerdings werden immer wieder Rückblenden eingeschoben. Es gibt Zeitsprünge zur Entstehung der Gemälde, zur Herausbildung der Freundschaft zwischen Klumpp und Feininger, zur Zeit vor und nach der Emigration des Künstlers, zur Nachkriegszeit und der Entwicklung bis 1970 und schließlich zur Gegenwart der Autorin. Das ist manchmal auch für den gut informierten Leser schwer zu durchschauen. Und Petra Werner selbst verliert gelegentlich den Überblick, wenn sie z.B. schreibt, Feininger habe "unter diesen Umständen" die Einladung zum Sommerkurs im Mills College in Oakland 1936 gern angenommen (65), und die geschilderten Umstände beziehen sich auf die Verkäufe der in den Museen beschlagnahmten Werke, also auf die Jahre 1939/40.

Es verwundert ja nicht mehr, wenn der vom Verlag verfasste so genannte Klappentext, der oft - wie auch hier - ein Rückdeckeltext ist, haarscharf am Inhalt des Buches vorbeizielt. In diesem Fall enthält er zwei irreführende Bemerkungen: die Autorin habe die Gerichtsakten zu Grunde gelegt, und die Gemälde Feiningers seien mehr als 30 Jahre lang "vor dem Fachpublikum und der interessierten Öffentlichkeit verborgen" gewesen. Wer die Danksagung am Schluss des Buches liest, stellt fest, dass kein Gerichtsarchiv gesichtet wurde, sondern lediglich dasjenige der amerikanischen Anwälte. Dass nur die Quellen der Klägerseite zur Verfügung standen, hätte zu ganz besonderer Vorsicht mahnen müssen. Doch im Verlaufe des Buches wird Klumpp immer deutlicher parteiisch gesehen. Wenn er in seinen Briefen an die Emigrierten an die vergangene gemeinsame Zeit erinnert, wird dem Leser der Schluss nahe gelegt, das sei taktisches Kalkül, um aus der sentimentalen Stimmung Vorteil ziehen zu können (92), und nicht der normalste Inhalt solcher Korrespondenz. Klumpps Versicherung, die Kunstwerke Interessierten stets zugänglich gemacht zu haben, wird zwar mehrfach zitiert, schließlich aber durch das Wörtchen "angeblich" diskreditiert (227). Ich selbst habe mich 1964 in Quedlinburg angemeldet und die Sammlung besichtigt. Wenn man nicht im Verdacht stand, in staatlichem Auftrag zu kommen, war man bei Klumpps gern gesehen. In der Wohnung hingen damals auch zwei Gemälde des Feininger-Sohnes Lux. Dass Klumpp dessen Werke nicht geschätzt hätte (183), ist also unzutreffend.

Es ist unstrittig, dass Klumpp dazu neigte, seine Berichte über die Gefahren, unter denen er die Kunstwerke verwahrte, zu dramatisieren. Es ist aber auch eine Tatsache, dass man in der SBZ und noch in der DDR in den Fünfzigerjahren aus weit nichtigeren Gründen, als es die Aufbewahrung der Bilder eines amerikanischen "formalistischen" Malers und der Kontakt zu ihm sind, zum amerikanischen Agenten abgestempelt und entsprechend behandelt werden konnte. Die amerikanischen Anwälte stellten Klumpps entsprechende Briefstellen an Feininger und seine Frau als absichtsvoll falsche Informationen dar. Warum dem im Prozess von DDR-Seite nicht widersprochen wurde, ist durchsichtig. Der Autorin jedoch hätte es einer Überlegung wert sein müssen (102). Die amerikanischen Anwälte und ihre deutschen Partner hingegen werden für die normalsten Äußerungen wegen ihrer "bestechenden Klarheit" gelobt (84), und ihre Fähigkeiten werden nochmals zusammenfassend geradezu hymnisch gepriesen (190), so dass insgesamt doch Zweifel an der notwendigen sachlichen Distanz aufkommen.

Die verschiedenen Bilderlisten und Zahlenangaben zur Sammlung Klumpp wurden nicht genügend gegeneinander abgeglichen. Sicher lassen sich solche Unstimmigkeiten nicht immer restlos klären, hier aber bleibt zu viel offen. Kleine und größere Ungenauigkeiten und Fehler treten in dem Buch zu häufig auf. - Wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, sollte es einem schon auffallen, dass ein Gelmeroda-Bild nie im Besitz des Hallenser Museums war. Aber Petra Werner erzählt eine ganze Geschichte davon (72). - Wilhelm Frick war nicht "1933 Reichsminister des Innern und späterer Thüringischer Innen- und Volksbildungsminister" (45), sondern dies letztere bereits 1930. Gelegentlich wird versucht, den Text durch Bildungssplitter literarisch aufzuwerten, die aber unter Umständen völlig fehl am Platze sind. - Dass bei einem Handel beide Seiten etwas zu bieten haben müssen, liegt im Wesen der Sache, dazu bedarf es keines "alten diplomatischen Grundsatzes" (193). - Talleyrands Gedanken an Frauen und Blüchers Äußerung über die Federn der Diplomaten haben mit dem Fall Feininger keinerlei Vergleichsebene (190). Falsche Verwendung von Wörtern führte zur einen oder anderen Unsinnigkeit oder Stilblüte. - Feininger und seine Frau hätten Deutschland am 11. Juni 1937 "buchstäblich auf die letzte Minute" verlassen (66). Was für eine letzte Minute soll das denn gewesen sein? - Bei der mit der Ausfuhr der Feininger-Werke verknüpften Rückgabe zweier Dürer-Bilder an das Weimarer Museum stellte sich die Frage: "Wann und wo sollten die Bilder aus dem Safe entnommen werden?" (206), dabei stand der Ort doch gewiss fest. - Ein DDR-Funktionär führte etwas "mit viel Sinn für unfreiwilligen Humor" aus (209). Es ging um seinen eigenen unfreiwilligen Humor, und sobald er dafür einen Sinn hatte, war dieser freiwillig. Besonders ärgerlich aber ist die außerordentliche Naivität und Unkenntnis, die aus allen Äußerungen über kunstgeschichtliche und künstlerische - und ab und zu auch über juristische - Fragen spricht. Ein spannendes und aufschlussreiches Kapitel Kunst-Politik-Geschichte wurde mit dem Buch aufgeschlagen, aber zuschlagen kann man es noch nicht, dafür wurde es nicht mit der nötigen Sorgfalt behandelt.

Rezension über:

Petra Werner: Der Fall Feininger, Leipzig: Koehler & Amelang 2006, 256 S., 54 Abb., ISBN 978-3-7338-0341-4, EUR 24,90

Rezension von:
Andreas Hüneke
Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Hüneke: Rezension von: Petra Werner: Der Fall Feininger, Leipzig: Koehler & Amelang 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/05/10675.html


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